9. Kapitel

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Sanft bewegte er seine Lippen auf meinen und meine bewegten sich synchron zu seinen. Seine Hände wanderten vorsichtig durch meine Haare, zupfte leicht an den Spitzen bevor er mich noch näher zu ihm zog. Meine Hände vergruben sich in seinen Haaren und ich spielte mit seinen weichen Locken.

Bevor es jedoch in irgendeiner Weise intensiver werden konnte, drückte ich in schnell von mir, oder mehr drückte ich mich von ihm und sprang auf. Brachte einen Abstand von gut zwei Metern zwischen uns. Er schaute mich verwirrt an, doch ich schüttelte nur den Kopf. Ich konnte das nicht. Ich drehte mich auf dem Absatz um und trat aus dem schützenden Blätterdach hervor und merkte, dass es angefangen hatte zu regnen.

Das eiskalte Wasser benetzte meine Haut. Riss mich in die Gegenwart. Zeigte mir, dass nicht alles perfekt war. Nicht über allem die Sonne scheint. Und das es doch wunderschön sein kann. Aber vielleicht war der Regen diesmal ein Zeichen. Ein Zeichen das es nicht sein sollte. Auch wenn ich nicht wusste, was das zwischen mir und Harry war. 

Es war gut so. Negativ war gut. Denn wie willst du das Positive würdigen, wenn es das Negative nicht gäbe? Du wüsstest nicht einmal, dass du glücklich wärst, denn du hattest es nie anders kennengelernt.

"Lia! Lia warte!" Seine Stimme klang dumpf durch den Lärm des Regens. Ich schüttelte den Kopf, traute meiner Stimme nicht.

"Bitte", der flehende Unterton brachte mich dazu mich umzudrehen. Umzudrehen, aber nicht stehen zu bleiben. Und so lief ich rückwärts durch den Regen. Über die nasse Wiese.

"Rede mit mir. Bitte. Was ist los?" 

Ich schnaubte auf.

"Was los ist? Ich weiß ja nicht ob du es mitbekommen hast, aber wir haben uns gerade geküsst!" ein leichtes Lächeln umspielte meine Lippen, aber es fühlte sich falsch an. Ich hoffte, er hatte es nicht gesehen.

"Ich weiß. Und?"

"Was und?! Ich... Ich kenne dich doch gar nicht! Ich kenne deinen Charakter nicht! Ich kenne dich nicht! Ich weiß nicht wer du bist!"

"Man braucht einander nicht zu kennen um zu fühlen, dass es richtig ist. Und du kennst mich."

"Nein ich kenne dich nicht! Ich habe keine Ahnung was ich von dir halten soll. Du bist völlig widersprüchlich. Fällt dir das nicht selbst auf? Weil wenn das so ist, kennst du dich selbst nicht! Und wie soll ich jemanden kennenlernen, der sich selbst nicht kennt?"

"Du hast doch keine Ahnung  von mir und meinem Charakter und Verhalten!"

"Ja, eben! Und deswegen werde ich mich ganz sicher nicht von dir küssen lassen! Weil ich dich nicht kenne!"

Und genau jetzt passierte das, was nicht hätte passieren dürfen. Ich rutschte auf der nassen Wiese aus. Harry war jedoch geistesgegenwärtig genug um mich aufzufangen.

"Dann lerne mich kennen." flüsterte er leise.

Der nächste Schritt fiel mir schwerer als alles jemals zuvor. Ich drückte ihn weg. Ich schüttelte den Kopf.

"Was wenn ich das nicht will?"

Es war eine Frage und doch zugleich eine Antwort. Ich sah sein Gesicht. Er sah verloren aus, verloren und verletzt. Und es war meine Schuld. Die Tränen strömten mein Gesicht hinab. Vermischten sich mit dem Regen und ich hoffte, dass man sie nicht sah.

Und ich ließ ihn stehen. Drehte mich um und ging.

Ich lief an Gemma vorbei die mir verwirrt nachstarrte. Vorbei an Niall, der gerade aus der Küche kam. Vorbei an Anne die mit einem Wäschekorb gerade die Stiegen hinunter kam. Ich lief schnurstracks in mein Zimmer und ließ meinen Tränen freien Lauf. 

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