JaimeDer Schlafsaal war so dunkel, dass es mir beinahe unmöglich war, meine eigene Hand vor Augen zu sehen. Jemand schnarchte pfeifend. Nott wälzte sich immer wieder im Bett herum, sein Mund war leicht geöffnet.
Ich war so müde, dass ich ebenfalls ins Land der Träume driften wollte, aber ich musste wach bleiben. Blinzelnd rieb ich mir den Schlaf aus den Augen und huschte auf Zehenspitzen ins Badezimmer, um mich des Kaffees zu entledigen, den ich heute abend literweise getrunken hatte, um der Müdigkeit vorzubeugen. Danach spritzte ich mir noch etwas Wasser ins Gesicht und spürte, wie langsam wieder Leben in meinen Körper zurückkehrte.
Ich tapste zurück zum Bett und zog vorsichtig das schwere, zerfledderte Buch über dunkle Magie aus dem untersten Teil meines Koffers. Dann legte ich mich wieder ins Bett und zog mir die Decke über den Kopf.
Ich seufzte. Am liebsten würde ich jetzt einfach schlafen ...
Aber es gab wichtigere Dinge zu tun. Zum Beispiel einen Weg zu finden, um den dunkelsten schwarzen Magier zu töten, der obendrein noch der eigene Vater ist.
Das Leben war wirklich nicht immer einfach.
Ich fingerte den Zauberstab vom Boden auf und hielt ihn dicht an das Buch. ,,Lumos", wisperte ich leise. Ein winziges Licht entsprang der Spitze meines Zauberstabs und spendete einen kleinen Schimmer, gerade genug um die Buchstaben des Titels entziffern zu können: Schwarze Magie - Der Weg zur vollkommenen Macht. Schon jetzt lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Ich schluckte und schlug mit leicht zitternden Fingern das Buch auf.
... um Inferi zu erschaffen, ist es nötig, die Leichen ...
Ich schnappte hörbar nach Luft. Leichen... In meinem Kopf drehte sich alles. Das Buch war eindeutig böse. Schon allein, dass es hier Anweisungen gab, mit denen man aus Leichen willenlose, blutrünstige ... Zombies machen konnte, war ekelerregend.
Ich blätterte weiter, überflog nur die Seiten nach einzelnen Schlüsselbegriffen, bemühte mich nicht zu viel von diesem kranken Gedankengut zu lesen. Ich hatte das Gefühl, dass die Magie immer bösartiger wurde, desto weiter ich las. Und noch hatte ich nichts über Horkruxe gefunden ...
Da! Mehrere Kapitel weiter fiel mir endlich ein bekannter Begriff ins Auge: Animus. Die Seele. Hastig blätterte ich zum Anfang des Kapitels zurück.
Die Erschaffung ewigen Lebens, lautete die Überschrift. Ich las weiter.
Schwarze Magie ist der Weg zu mannigfaltigen Fähigkeiten, die ein Unwissender naiverweise als unnatürlich einstuft. Aber warum sonst gibt es diese Magie, wenn nicht, um sie zu nutzen und sich von den Normalsterblichen abzuheben? Und was wäre ein Zeichen von größerer Macht, wenn nicht das ewige Leben? Die Macht, den Tod nicht fürchten zu müssen, da man selbst über ihn erhaben ist.
Um das eigene Leben zu verlängern, ist es nur verständlich ein anderes dafür zu nehmen. Dieses Opfer ist nötig, um die Seele erfolgreich spalten zu können, was essentiell für den nächsten Schritt ist.
Mir wurde übel. Mord. Hier war von tatsächlichen Mord die Rede! Für einen Moment spielte ich mit dem Gedanken das Buch einfach zu verbrennen. Dieses Wissen war gefährlicher und grausamer als alles, was ich bisher gelesen hatte!
Das nun abgespaltene Stück der Seele wird in ein Gefäß verstaut und sichert nun das Überleben des Individuums, selbst wenn die körperliche Hülle zerstört wird.
Mir schwirrte von all diesen Informationen bereits der Kopf. Wie sollte man seine Seele in ein Gefäß verstauen? Gut, es war zwar durchaus möglich, dass Mord die Seele auseinanderreißen konnte - zumindest im übertragenden Sinn - aber trotzdem klang der ganze Ablauf noch sehr theoretisch ...
Ich las weiter.
Doch nach der Zerstörung des ursprünglichen Körpers wird eine neue Form benötigt. Diese setzt sich idealerweise aus dem leiblichen Erbe des Magiers zusammen. Außerdem ist es zu empfehlen der dunklen Magie der Horkruxe eine reinere Variante entgegenzusetzen, um für eine gewisse Balance im Körper zu sorgen. Zu viel dunkle Magie zehrt den Körper aus und droht ihn zusätzlich zu schwächen.
Ich hob den Blick und starrte in die Schwärze. Das war es also. Es stand hier zwar nicht ausdrücklich, dass Kinder für das Ritual benötigt wurden, aber ich konnte durchaus das eben gelesene interpretieren.
Ein leibliches Erbe. Und einen Ausgleich zu der Magie der Horkruxe.
Bestimmt würde ich hier auch den Zauber finden, durch den unsere Mutter schwanger geworden war ... Vermutlich war es ein genau für das Ritual abgestimmter Zauber gewesen.
Das ganze war einfach nur widerwärtig. Ein Verbrechen gegen die Natur.
Was war paradoxer als zu morden, um ewiges Leben zu erreichen? Was war paradoxer als ein Mörder, der so viel Böses getan hatte, aber trotzdem zwei Kinder nicht töten konnte, da diese für sein Überleben verantwortlich waren? Es war ein kranker, unendlich verdrehter, paradoxer Witz.
Ich spürte ein Brennen in meinen Augen und schlug wütend gegen das Kissen.
Dann wandte ich meinen Blick erneut auf die geschriebenen Zeilen, obwohl ich am liebsten gar nicht mehr weiter lesen wollte
Der Magier ist nun unsterblich. Die Horkruxe konservieren seine Seele und die Nachkommen sind das Grundgerüst für einen neuen, starken Körper, der Krankheit und Zeit überstehen kann. Doch weiterhin soll mit Bedacht gehandelt werden, denn sollte eine der beiden Stützen zur Gänze zerstört werden, bedeutet dies gleichermaßen die Sterblichkeit des Magiers.
Angewidert klappte ich leise das Buch zu und versteckte es wieder ganz unten in meinem Koffer.
Wir schützten nicht nur sein jetziges Leben, sondern waren auch tatsächlich dafür verantwortlich, dass Voldemort immer an einen neuen Körper gelangen konnte, sollte seine bisherige Gestalt zerstört werden. Natürlich nur, wenn seine Horkruxe noch nicht vernichtet waren ... Oder wenn die andere Stütze, nämlich Allana und ich getötet wurden. Aber das würde ich nicht zulassen!,,Halt, halt, halt. Nochmal langsam, ja?"
Ich holte tief Luft. ,,Regulus hatte Recht. Entweder wir oder die Horkruxe. Ohne eines von beiden bleibt er tot, sollte man seinen jetzigen Körper irgendwie vernichten."
Allana fluchte unterdrückt und raufte sich die Haare. ,,Dieser verdammte-"
Ich schenkte ihr einen mahnenden Blick. Sie schloss kurz die Augen und atmete tief durch. ,,Sorry", murmelte sie etwas ruhiger, ,,es ist nur ... wir sind nur geboren wurden, um das Leben von Voldemort zu verlängern ... da ... da fühlt man sich schon ..." Sie schüttelte hilflos den Kopf. Ihre Augen glänzten verräterisch.
,,Ungeliebt, wertlos, besudelt?"
Sie blinzelte kurz. ,,Ja ... ja, ziemlich genau das ... und noch einiges mehr."
Ich merkte, wie sie sich innerlich straffte. Ihr Blick wurde spürbar härter. ,,Jetzt wissen wir wenigstens, warum er mich in die Kammer des Schreckens gebracht hat. Nur so konnte er an einen neuen Körper gelangen." Ihre Stimme klang vollkommen sachlich. Genauso wie ich auch klang, wenn meine negativen Gefühle so stark wurden, dass ich am liebsten meinen Ärger in die Welt hinausschreien wollte und ich deswegen all meine Empfindungen ignorieren musste, um mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ich konnte nur ahnen, was jetzt für ein Sturm in ihrem Kopf tobte.
,,Miss Diggory, bitte konzentrieren Sie sich", quiekte Professor Flitwick von seinem Stapel aus Büchern und meine Schwester nickte artig und murmelte mehrmals einen Zauber. ,,Natürlich, Professor."
Im nächsten Moment drehte sie sich jedoch wieder zu mir. Eine besorgte kleine Falte hatte sich in ihre Stirn gegraben. ,,Aber diese Horkruxe ... weißt du überhaupt wie sie aussehen?"
Ich schüttelte den Kopf. ,,Es sind Gegenstände. Theoretisch kann alles ein Horkrux sein!"
Allana seufzte hilflos. ,,Wir fangen also bei Null an?"
,,Genau."
Eine Zeit lang schwiegen wir.
,,Also, wenn ich Voldemort wäre-" Allana unterbrach sich. Voldemort war noch immer ein Tabu-Thema. Schon allein sich vorzustellen, so zu sein wie er, so zu handeln wie er, so zu denken wie er ... Es erinnerte uns immer daran, ob wir nicht tatsächlich so dachten, so handelten, so waren wie er. Vielleicht wurden wir immer mehr zu Voldemort.
Sie räusperte sich verlegen. ,,Also, ich dachte ... ein Gegenstand, der eine Bedeutung für ihn hat, ein Symbol für etwas."
,,So weit wir wissen, ist ihm aber nur Macht wichtig", grummelte ich, ,,hat er jetzt die Krone der Queen im Tower of London in einen Horkrux verwandelt?"
Allana warf mir einen strafenden Blick zu. ,,Hast du eine bessere Idee?"
,,Ich- ... keine Ahnung. Wir wissen einfach nichts über ihn. Weder über seine Vergangenheit, noch über seine Eltern, sein Leben ... rein gar nichts! Das einzige, was wir tun können, ist Nachforschungen anzustellen."
,,Na ja, wir wissen, dass er die Kammer des Schreckens geöffnet hat, stimmt's? Da war er noch Tom Riddle. Und er war Schulsprecher. Und du erinnerst Dumbledore an ihn."
Ich warf ihr einen dunklen Blick zu. Dumbledore hatte tatsächlich gemeint, dass ich Tom Riddle ähnlich sein würde ... und das nicht nur vom Aussehen, sondern auch vom Verhalten und vom Charakter her. Die Frage war also: War ich sehr so wie Voldemort? Ähnelte ich einen Mörder? Würde ich irgendwann zu den gleichen Dingen fähig sein wie er?
Allana sah mir tief in die Augen. ,,Du weißt, dass ich das nicht so gemeint habe, oder? Du bist nicht wie er und wirst es auch niemals sein."
Ich nickte eilig.
Aber wie konnte sie das denn schon wissen?
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Seine Erben (2)
FanfictionEs ist das fünfte Jahr für Allana und Jaime auf Hogwarts. Voldemort ist zurück und es wird für die Zwillinge immer schwerer ihre Geheimnisse zu bewahren. Denn eines ist sicher: Niemand darf je erfahren, dass sie seine Kinder sind ... Zweiter Teil de...