Lügen und die Wahrheit

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Jaime

,,Kannst- ... kannst du nicht einfach bei mir bleiben?", stotterte ich leise und blickte meine Schwester flehentlich an.
,,Jaime ... ich- es tut mir leid, aber- du weißt, es geht nicht", antwortete sie so verzweifelt wie ich mich selbst gerade fühlte.
Aber Allana hatte Recht. Wenn sie bleiben würde ... es würde einmal mehr zeigen, dass sie ein viel größeres Wissen hatte als erwartet. Und es würde sie womöglich in immense Gefahr bringen.
Ich streckte den Arm aus und berührte ein letztes Mal ihre Hand. Dann ging sie mit zittrigen Schritten auf die verschlossene Tür der Zelle zu und klopfte einen bestimmten Takt. Ich hörte das Klappern von Metall, dann wurde die Tür scheinbar von Außen aufgeschlossen.
Allana drehte sich zu mir um. Ihre grauen Augen bohrten sich in die meinen. Wie ein Spiegel. ,,Mach's gut", hörte ich sie flüstern.
Ein grimmiges Lächeln stahl sich auf meine Lippen. ,,Mach's besser."
Ihre Mundwinkel hoben sich für einen Moment und ich glaubte ihre Augen kurz aufblitzen zu sehen. Dann verließ sie die Zelle.

Einige Minuten saß ich alleine in dem halbdunklen Raum. Nur das Geräusch meiner Atemzüge war zu hören. Genauso wie das immer schneller werdende Klopfen meines Herzens in der Brust. Mit jeder Sekunde schien es an Geschwindigkeit und an Lautstärke zu gewinnen.
Selbst das Konzentrieren auf die Düsternis vor mir, vermochte meine Panik und meine Furcht nicht zu mindern. Ich versuchte rational zu denken, mir Strategien zu überlegen, aber ... ich hatte Angst. Wirklich.
Ich schluckte und schloss die Augen. Versuchte meine Glieder zu entspannen. Ruhige Atemzüge.
Ich vernahm das Knarren der sich öffnenden Tür und kurz darauf drang Helligkeit durch meine geschlossenen Lider. Blinzelnd öffnete ich die Augen und wurde sofort von dem gleißenden Schein einer magischen Lichtkugel geblendet. Ich wandte hastig den Blick ab und hielt schützend meine Hand vor die Augen.
,,Verzeih mir", vernahm ich Dumbledore sachte sagen und darauf erklang eine kurze Beschwörung. Das Licht wurde merklich matter.
Erst jetzt nahm ich Dumbledores Gestalt wahr. Der Schulleiter trug wie immer ein wallendes Gewand und hielt seinen Zauberstab in der unverletzten Hand. Er wirkte müde und erschöpft.
,,Professor", begrüßte ich ihn knapp.
,,Guten Tag, Jaime", meinte Dumbledore ruhig. ,,Nimm es mir nicht übel, wenn ich uns Stühle herbeizaubere ... die Jahre fordern langsam ihren Tribut." Er wedelte mit dem Zauberstab und zwei gepolsterte Sessel erschienen mit einem kleinen Puffen in der Zelle.
Dumbledore deutete mit einer einladenden Handbewegung auf die Möbelstücke und schenkte mir ein kurzes Lächeln. ,,Setzen wir uns."
Ich zögerte kurz - verfolgte Dumbledore mit dieser Geste irgendeinen Plan? -, doch dann überwog der Wunsch endlich wieder vernünftig sitzen zu können, anstatt mit angewinkelten Beinen auf dem staubigen Untergrund zu knien.
Wir setzten uns und ich konnte ein kleines Seufzen nicht unterdrücken; Verglichen mit dem harten Kerkerboden war dies eine Wohltat für meine steifen Gelenke.
Dumbledore musterte mich über seine halbmondförmige Brille hinweg und ich konnte einen angespannten Schauer nicht unterdrücken. Seine hellblauen Augen schienen sich immerzu in mich hineinzugraben und mein Innerstes freizulegen.
Ich rutschte nervös hin und her.
,,Es tut mir aufrichtig Leid, dass man dich in diese Zelle gebracht hat", meinte Dumbledore schließlich. ,,Ich war dagegen, dass man dich so behandelt. Du bist kein Verbrecher."
Meine Haltung entspannte sich ein wenig. Das war gut, oder? Wenn es Spannungen zwischen Dumbledore und den Auroren gab, konnte mir das helfen ... und wenn Dumbledore tatsächlich glaubte, dass ich keine Gefahr darstellte, würde ich womöglich wieder freigelassen werden ... schließlich konnte sich das Ministerium nicht einfach in Hogwarts einmischen ... Aber wenn hier ein Fall nationaler Bedeutsamkeit vorlag, wäre es trotzdem möglich, dass Dumbledores Einflussbereich hier enden würde und das Ministerium sich meiner annahm. Ich würde aus Hogwarts weggebracht werden und irgendwo anders gefangengehalten werden, möglicherweise in Askaban und über Jahre hinweg-
Ganz ruhig. Tief durchatmen. Konzentrier dich auf die Fakten. Du schaffst das ...
,,Das- das weiß ich zu schätzen, Professor", meinte ich so ruhig wie möglich, konnte jedoch ein kleines Zittern in meiner Stimme nicht unterdrücken.
So viel hing jetzt davon ab, wie das Gespräch mit Dumbledore verlaufen und welchen Eindtuck er von mir haben würde. Er war der Einzige, der den Minister und die Auroren möglicherweise umstimmen konnte, der Einzige, der den Einfluss und die Macht dafür besaß, ich musste ihm vertrauen-
Doch konnte ich das überhaupt? Sollte ich ihm wirklich die Wahrheit sagen? Selbst über Allana?
Nein, ich würde ihm nicht von Allana erzählen. Es stand immer noch zu viel auf dem Spiel ... ihr Leben sollte nicht ebenfalls so zerstört werden wie das meinige ...
,,Jaime, ich möchte dir helfen. Ich denke nicht, dass alle der Anschuldigungen gegen dich wahr sind, aber du musst mir sagen, was du weißt." Eine gewisse Dringlichkeit lag in Dumbledores Stimme. Er schien auf eine Bestätigung meinerseits zu warten, aber ich war mir noch immer nicht sicher.
Wie viel konnte ich Dumbledore erzählen? Was konnte ich ihm anvertrauen und was lieber für mich behalten?
Und so schluckte ich nur schwer und wartete, bis Dumbledore mit einem kleinen Seufzer weitersprach. ,,Also gut ... Im Ministerium wird behauptet, du wärst ein Todesser. Ist dies korrekt?"
Diese Frage war leicht zu beantworten. ,,Nein", murmelte ich.
,,Man glaubt auch, du wärst ein Spion, aber dies scheint ebenfalls nicht der Wahrheit zu entsprechen oder?"
Ich nickte eilig und wurde langsam ein wenig zuversichtlicher. Doch diese Erleichterung verschwand schlagartig, als Dumbledore erneut das Wort ergriff. ,,Während der letzten Aufgabe des Trimagischen Turniers ... du warst mit Mr Potter auf dem Friedhof, nicht wahr?"
Er sagte weder "Warst du an Voldemorts Rückkehr beteiligt?", noch "Bist du der dort betitelte Sohn von Voldemort?" Das war auch gar nicht notwendig. Diese Fragen bedeuteten im Kern das Gleiche: Ist Voldemort dein Vater? Diese letzte Frage, die noch einer Antwort bedurfte, die finale Frage.
,,I-ich-" Meine Stimme versagte. Konnte ich Dumbledore wirklich vertrauen?
Ich holte tief Luft und straffte die Schultern. ,,Ich möchte, dass Sie mir schwören, alles in Ihrer Macht stehende zu tun, um mich vor dem Ministerium und den Auroren zu schützen. Ich möchte eine faire Gerichtsverhandlung und wenn es zu meiner Verhaftung kommt ... Askaban ist keine Option für mich. Außerdem möchte ich Ihr Versprechen, dass Sie mir nichts antun, egal wie meine Antwort ausfallen wird."
Dumbledore musterte mich für mehrere Sekunden aus seinen blauen Augen. Sein Blick war wachsam. Dann seufzte er. ,,Jaime, du magst von mir halten, was du willst, doch ich hatte nie nie Absicht dir in irgendeiner Art und Weise zu schaden. Und auch künftig werde ich diese Absicht nicht haben."
Ich schnaubte nur und schwieg trotzig. Wartete auf eine Antwort.
,,Ich verspreche dir, dass ich dich schützen werde."
Ich atmete die Luft aus, von der ich gar nicht bemerkt hatte, dass ich sie abgehalten hatte. Und dann sprudelten die Worte, die ich so lange geheimgehalten hatte, nur aus mir heraus:
,,Voldemort ist mein Vater."

Seine Erben (2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt