Erwischt

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Allana

Meine Lippen hoben sich zu einem grimmigen Lächeln, als ich das Gespräch einiger kleiner Ravenclaws belauschte.
,, ... Ich habe ihn genau gesehen! Er trug eine dunkle Kapuze und ging leicht gebückt ... sein Rücken war krumm. Seine roten Augen haben ganz komisch geleuchtet und er ist quer über das Schlossgelände gehastet. Dann hat er einen Zauber gewirkt und konnte plötzlich fliegen! Dabei hat er laut gelacht, ich habe eine Gänsehaut bekommen von diesem Lachen ... ich habe mich nie getraut darüber zu sprechen, aber das muss der Sohn gewesen sein!" Der Junge blickte seine Freunde begeistert an, die prompt eine bereits vollkommen zerlesene Ausgabe des Klitterers hervorzogen und eifrig die Absätze nachlasen.
Ich konnte gar nicht fassen, in welchen Wahn Hogwarts gerade steckte. Einige Schüler schienen Harrys Aussagen nun geradezu fanatischen Glauben zu schenken und das Interview im Klitterer wurde mehr analysiert als so manches Schulbuch. Die Vermutung, dass der Sohn ein Schüler auf Hogwarts oder sich zumindest während der letzten Aufgabe des Trimagischen Turniers auf Hogwarts und den Ländereien befunden hatte, breitete sich schneller aus als ein Laubfeuer. Innerhalb kürzester Zeit betrachtete man sich als Experten im Bereich schwarze Magie und begann schnell alle möglichen Vermutungen über schräge Verwandte, unheimliche Schüler aus Durmstrang und Slytherin, sowie den Zaubereiminister persönlich anzustellen.
Die Krönung der entstandenen Gerüchte war noch immer ein aufgeplusteter Cormac McLaggen, der großspurig behauptete, sich mit dem Sohn am See duelliert zu haben. Als Beweis zeigte er jedem Mädchen eine kleine Narbe an seinem linken Handrücken.
Natürlich musste auch hinzugefügt werden, dass nur eine kleine Minderheit so ein extremes Verhalten an den Tag legte. Die meisten nahmen den Artikel stillschweigend zur Kenntnis, andere hielten das Ganze noch immer für einen schlechten Scherz. Trotzdem schien die überwältigende Anzahl der Schüler Harry Glauben zu schenken, wenn auch häufig nur bis zu einem gewissen Grad. Auch außerhalb von Hogwarts schienen die Ansichten ähnlich gespalten zu sein, was man an Harrys bunt gemischter Fanpost erkennen konnte, die von Mordrohungen bis hin zu seitenlangen Entschuldigungen reichten.
Ich überlegte kurz, ob ich Jaime von dem gerade gehörten Gespräch erzählen sollte, aber vermutlich würde das seine Laune nicht gerade steigern. Natürlich galt er unter Harrys neuer "Fangemeinschaft" bereits als willkommener Verdächtiger, glücklicherweise jedoch mit allerlei anderen Personen, aus Gründen, die teilweise so surreal waren, dass ich nur darüber lachen konnte. Deswegen konnte ein Teil von mir diese Verdächtigungen gar nicht ernst nehmen. Jaimes Gesicht hatte jedoch bei jeder weiteren fantasievollen Geschichte die Farbe von saurer Milch angenommen und seine Miene war immer finsterer geworden. Ich wusste, dass er sich sorgte - ich tat es auch und es konnte es vollkommen nachvollziehen. Sein dunkelstes Geheimnis war der Öffentlichkeit preisgegeben worden, auch wenn noch niemand um seine Identität wusste ...
Ich seufzte und fuhr mir durch die Haare. Irgendwann würde man seine Identität herausfinden. Und dann wäre auch ich nicht mehr sicher. Die Wahrheit über uns würde ans Licht kommen. Ich wusste weder wann noch wie, aber es würde geschehen.
Letztendlich konnten wir nur auf das Beste hoffen.
Dies stellte jedoch auch keinen Trost für mich da.
Apropos schlechte Laune ... Die schlanke Gestalt meines Bruders quetschte sich durch zwei begeistert quatschende Schüler aus Ravenclaw hindurch. Seine Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst und er funkelte einen Drittklässler genervt an, als dieser ihm unabsichtlich den Weg versperrte.
Ich konzentrierte mich auf Jaime. Nicht auf sein Aussehen oder sein Gesicht, sondern seine nicht wahrnehmbare Präsenz, seinen Geist. Ich stellte mir vor wie ich ein einzelnes Wort zu ihm schickte. In meiner Vorstellung war dieses Wort wie ein spitzer Pfeil. Ich ließ diesen Pfeil in Jaimes Richtung fliegen und er bohrte sich durch die schützende Hülle seines Geistes.
Jaime, rief ich ihn gedanklich.
Sofort zuckte er merklich zusammen und drehte den Kopf suchend umher, während sein Blick durch die Masse fiel. Ich winkte ihm zu. Er verzog den Mund zu einem matten Lächeln und bahnte sich seinen Weg zu mir.
,,Wie machst du das nur?", fragte er mich, als er endlich neben mir stand. ,,Du weißt schon ... diese gedanklichen Rufe. Ich kann es immer noch nur, wenn ich dich direkt berühre."
Ich zuckte die Schultern. ,,Es ist eigentlich gar nicht schwer. Du musst es dir ..." - ich suchte einen Augenblick lang nach dem passenden Wort - ,, ... vorstellen. Es ... es ist nicht leicht zu erklären, aber im Prinzip stelle ich mir deine Präsenz vor und in meinem Kopf rufe ich dich." Ich überlegte weiter und schüttelte dann den Kopf. ,,Ich stelle es mir sehr bildlich vor. Vermutlich wird dir das nicht helfen. Du musst es selbst herausfinden."
Er schnaubte leise. ,,Ich habe gerade vermutlich wichtigere Dinge zu tun." Er ruckte mit dem Kopf in die Richtung einiger anderer Schüler. ,,Alle reden darüber. Obwohl Umbrigde den Klitterer verboten hat, werden die Gerüchte nicht weniger."
,,Mach dir nicht zu viele Gedanken", mahnte ich ihn sanft. ,,Harry war zu vage. Es kommen zu viele Leute infrage und da es noch keinerlei Beweise für Voldemorts Rückkehr gibt, glaubt ihm ein Großteil der Zauberer noch immer nicht."
Er schien nicht beruhigt zu sein. ,,Voldemort wird sich aber irgendwann zeigen. Und spätestens dann wird man zugeben, dass er die Wahrheit gesprochen hat."
Darauf fiel selbst mir keine aufmunternde Antwort ein.
Er blies kurz die Wangen auf und starrte ins Leere. Dann schien er sich zu besinnen und schenkte mir ein kleines Lächeln. ,,Wie dem auch sei ... gleich haben wir doch wieder ein DA-Treffen." Er streckte seine Hand nach mir aus. ,,Komm schon!"

Seine Erben (2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt