Gespaltene Gefühle

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Allana 

Ich rieb mir die Stirn. Ich hatte in der Nacht nur wenig Schlaf gefunden, was nur zum Teil an Jaimes Auftauchen vor den Gemeinschaftsraum lag. Meine Schlaflosigkeit war eher von quälenden Gedanken über Draco hervorgerufen worden und ich hatte mich voller Sorge im Bett gewälzt. An Schlaf war nicht zu Denken gewesen.
Und selbst nach dieser langen Nacht des Grübelns wusste ich noch immer nicht genau, was ich tun sollte. Natürlich musste ich Draco darauf ansprechen, dass er heimlich im Raum der Wünsche an etwas arbeitete. Ich würde ihn mit fester Stimme darauf hinweisen, dass wir eine Abmachung geschlossen hatten: Er musste Jaime und mir von seinen Plänen erzählen und im Gegenzug dafür würden wir ihm helfen Dumbledore zu töten. Aber er hatte uns nichts über dem Raum der Wünsche gesagt, seine Abmachung also bereits gebrochen. Oder hatte sein heimlichher Aufenthalt im Raum der Wünsche womöglich gar nichts mit seiner Aufgabe zu tun? Aber das bezweifelte ich irgendwie. Warum sonst hatte er den unaufspürbarsten Raum in Hogwarts gewählt, noch dazu mit Crabbe und Goyle als Wachposten?
Ich seufzte and massierte mir die Schläfen. Das eigentliche Problem war gar nicht, dass Draco heimlich im Raum der Wünsche war. Das Problem  würde darin bestehen, dass Draco uns vielleicht nicht sagen würde, was er dort tat. Was sollten wir dann gegen ihn unternehmen? Sollten wir konsequent unsere Hilfe verweigern? Aber dann bestand die Gefahr, dass Draco es nicht schaffen könnte, Dumbledore zu töten. Womöglich würde er nach Askaban gebracht werden. Oder Voldemort würde ihn für sein Versagen töten.
Und wenn Draco uns von dieser weiteren Aufgabe erzählen würde? Sollten wir ihm weiterhin helfen? Er hatte die Aufgabe bestimmt nicht ohne Grund vor uns geheimgehalten ... Gab es also vielleicht noch einen weiteren Auftrag, der noch gefährlicher war als Dumbledore umzubringen? Hatte er uns deswegen nichts davon erzählt?
Oder ... betraf diese geheime Aufgabe womöglich uns? Draco hatte mit beiden von uns Kontakt, es war also durchaus möglich, dass Voldemort dies zu seinen Gunsten ausnutzen würde ...
Ich blickte auf und sah Jaime, der in die Halle schlürfte und sich an den Tisch der Slytherins setzte. Er wirkte mindestens genauso müde wie ich. Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen und sein Haar war ein wenig zerzaust. Er rieb sich kurz über die Augen und griff nach einer silbernen Karaffe mit Kaffee, aus der er sich bis zum Rand seines vergoldeten Bechers einschenkte. Mein Bruder hob den Blick und erkannte, dass ich ihn ansah. Er prostete mir grimmig zu und leerte den Becher in einem einzigen Zug binnen weniger Sekunden. Dann gähnte er vernehmlich.
Ich fühlte eine tiefe Verbundenheit für ihn in mir aufwallen.
Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Hermine sich neben mir nebenließ. ,,Hi", murmelte sie leise.
Gleichzeitig bemerkte ich, dass Jaime sich merklich versteifte und hastig den Blick abwandte. Er fuhr sich etwas fahrig durch die Haare und richtete seine grüne Krawatte. Sogar von hier konnte ich seine Panik spüren. Ich versuchte ihm einen aufmunternden Blick zuzuwerfen, doch dann erkannte ich, dass Draco, flankiert von Crabbe und Goyle, die Halle betrat und sich nur ein paar Plätze neben Jaime niederließ.
Sogleich war ich es nun, die hektisch an meiner Kleidung zupfte, damit ich wenigstens einigermaßen präsentabel aussah.
Jaime sah immer wieder unauffällig von Hermine zu mir und gestikulierte dann wild in meine Richtung.
Was?, formte ich mit den Lippen. Er schien das gleiche noch einmal stumm zu wiederholen. Meine Verwirrung musste mir wohl anzusehen sein, denn er seufzte. Dann stand er plötzlich auf und machte Anstalten die Halle zu verlassen.
Oh, nein, das lässt du gefälligst bleiben! Ich wusste gar nicht, dass ich ihm einen gedanklichen Ruf geschickt hatte, doch er zuckte zusammen und blieb stehen.
Doch!, arikulierte er stumm in meine Richtung.
Nein! Wenn ich schon mit Draco spreche, wirst du auch mit Hermine sprechen!
Er schenkte mir einen säuerlichen Blick, drehte sich um und ging dann mit schweren Schritten langsam zum Tisch der Gryffindors. Gleichzeitig stand ich auch auf und näherte mich Draco. Zwischen den beiden Tischen trafen wir uns.
,,Mach's gut", murmelte mir Jaime im Vorbeigehen zu und klopfte mir kurz auf die Schulter.
Ich holte tief Luft. ,,Mach's besser."
Seine Antwort war ein Schnauben.

Seine Erben (2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt