Eine Person des Vertrauens

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Allana

Ich war auf mich allein gestellt.
Da war kein Jaime mehr, der mir mit Tipps und klugen Sprüchen zur Seite stehen konnte.
Nur ich.
Ich musste auf mein eigenes Urteil vertrauen, mich von meinen Instinkten leiten lassen, meinen eigenen Weg beschreiten.
Es war beängstigend. Und gleichzeitig berauschend.
Es war meistens Jaime gewesen, der unsere Pläne ausgearbeitet hatte, Jaime, der im Vordergrund gestanden hatte, Jaime, der die Kontrolle gehabt hatte.
Ich hatte vermutlich immer ein wenig in seinem Schatten gestanden, was mich weder gekümmert, noch mir großartig aufgefallen war. Ich war immer eher die etwas Stillere von uns gewesen, diejenige, die sich lieber im Hintergrund aufhielt, anstatt im Bühnenlicht zu stehen.
Und jetzt war es mein Bruder, der meine Hilfe so dringend benötigte und mir blieb gar keine andere Wahl, als aus mir herauszutreten, Stück für Stück.

Es war nervenaufreibend. Nervenaufreibend und merkwürdig süchtigmachend - auf eine gute Art und Weise. Langsam glaubte ich zu verstehen, warum Jaime so gerne über Probleme grübelte und knobelte; Diese Herausforderung war mehr als nur anspruchsvoll, Zeit hatte ich auch nur wenig, aber genau das machte auch einen gewissen Reiz aus: Ich ging gedanklich mögliche Pläne durch (und verwarf sie wieder), überlegte, was ich zu meinem Vorteil benutzen konnte und welche Folgen durch mein Handeln entstehen würden, kurz: Ich konnte meine Fertigkeiten testen. Unter Beweis stellen, wozu ich in der Lage war.
Alles oder nichts. Keine zweite Chance und kein Probeversuch.

Es war die oberste Priorität, dass Jaime unbeschadet fliehen konnte, nur wie sollte ich das anstellen?
Es gab mindestens drei Auroren, welche die Zelle bewachten und selbst wenn es mir gelingen würde, sie zu überwältigen, musste ich immer noch eine Möglichkeit finden, meinen Bruder unbemerkt aus Hogwarts zu schmuggeln - und wenn nötig sogar aus dem Land selbst. Dafür hatte ich weder die richtigen Kontaktpersonen, noch allgemein Hilfe im In- oder Ausland. Genau genommen konnte ich sogar nicht auf Hilfe in Hogwarts selbst zählen, denn es war schließlich Jaime, von dem wir hier sprachen, also der - mehr oder weniger - überführte Sohn von Voldemort persönlich.
Und doch ... je länger ich darüber nachdachte, desto sicherer wurde ich mir, dass es doch jemanden gab, auf dem ich mich hier verlassen konnte. Jemand, der ebenfalls nach Dumbledores Tod fliehen müsste und Jaime bereitwillig helfen würde. Jemand, dem ich vertrauen konnte und der uns beistehen würde: Draco.

Ich wusste, dass Draco nur noch selten im Gemeinschaftsraum der Slytherins oder in der Großen Halle war, weshalb ich mich entschloss, genau dort zu warten, wo er auf alle Fälle auftauchen würde.
Und so setzte ich mich auf die oberste Treppenstufe, nur ein paar Meter entfernt von der vertrauten steinernen Wand, die uns letztes Jahr gegen Umbrigde so gute Dienste geleistet hatte ... Ich wusste, dass Harry bereits mehrmals versucht hatte in den Raum der Wünsche zu gelangen, um Dracos Geheimnis zu lüften, doch all seine Bestrebungen waren erfolglos geblieben und er hatte es schlussendlich aufgegeben.
Jaime und ich hatten unabhängig von ihm herausgefunden, dass Draco in diesem Raum irgendetwas ungeheuer Wichtiges plante, aber er hatte uns nie verraten, was genau.
Aber seine Arbeit schien viel Zeit zu beanspruchen, denn sein Name tauchte nur noch selten auf der Karte der Rumtreiber auf. Er musste also fast seine gesamte Zeit hier verbringen ... Und deshalb würde er früher oder später hier auftauchen.

Trotzdem musste ich beinahe zwei Stunden warten, bis ich am frühen Abend endlich Dracos blonden Haarschopf am Fußende der Treppe entdeckte.
Dieser blickte sich immer wieder nach hinten um, während er eilig die Treppe nach oben stieg. Doch bis jetzt schien er mich nicht entdeckt zu haben.
Und so stand ich auf und winkte.
Dracos Blick ruckte nach oben und er zuckte so fest zusammen, dass er sich am Geländer festhalten musste, um nicht zu stolpern. Sein Gesicht war schlagartig bleich geworden und er starrte mich geschockt an. Dann nahm er hastig mehrere Stufen auf einmal, bis er genau vor mir stand. ,,Was machst du denn hier?!", flüsterte er und schob mich gleichzeitig in den Schatten einer nahen Säule, geschützt vor neugierigen Blicken. ,,Hör zu, man sollte uns hier nicht zusammen sehen, sonst denken Leute noch, du würdest mir helfen und-"
Ich konnte trotz meiner Nervosität ein kleines Schmunzeln nicht unterdrücken. ,,Draco, wir sind zusammen, da ist es doch wohl logisch, dass man sich mal zu einem abgelegteren Ort begibt, um für sich zu sein!"
Er presste die Lippen aufeinander, hatte jedoch anscheinend keine passende Antwort parat. ,,Meinetwegen", grollte er nur.
Dann wurde sein Blick etwas weicher und er seufzte. ,,Tut mir leid ... hier geht gerade nur alles drunter und drüber ..."
Wem sagst du das? ,,Hast du ... hast du schon das über Jaime gehört?"
Dracos Blick sagte nur zu gut, dass er genau wusste, worüber ich sprach.
,,Jaa ... ich kann es immer noch nicht glauben. Ich meine, es ist Jaime, aber allein schon die Vorstellung ...- Ich bin dem Dunklen Lord schon mehr als einmal begegnet, aber er hat nie etwas in der Richtung angedeutet ..." Er schüttelte den Kopf. ,,Ich- Glaubst du es? Dass Jaime dieser ... dieser "Sohn" ist, meine ich?"
Ich zögerte, überlegte, was ich nun antworten sollte. Keine weiteren Lügen. Draco verdiente es die Wahrheit zu wissen, wie kein anderer.
Zumindest bei den Personen, die uns etwas bedeuteten, war es unsere Pflicht, es ihnen persönlich zu sagen. Voldemort würde uns diese Chance nicht noch einmal nehmen, wie er sie uns bei Sirius genommen hatte. Jaime hatte gegenüber Hermine den Anfang gemacht. Nun würde ich es fortsetzen.
,,Ich glaube es nicht", meinte ich und kurz glaubte ich Erleichterung in Dracos Augen aufblitzen zu sehen. ,,Ich weiß es. Und es ist wahr."
Die Schultern meines Freundes sackten herab. ,,Verdammt", flüsterte er tonlos.,,Und ist er- ist er der - du weißt schon - richtige Sohn?"
Ich blickte Draco fest an. ,,Voldemort ist sein leiblicher Vater, ja."
,,Bei Merlins Bart", hauchte Draco kraftlos. Er wirkte auf einmal nur noch erstaunlich müde. Resigniert.
Er stieß schwer die Luft aus. ,,Trotzdem ... das ist vermutlich mein geringstes Problem" Er schnitt eine gequälte Grimasse. ,,Und doch ... Jaime ... hätte es nicht für möglich gehalten. Wir kennen uns seit fünf Jahren und er hat nie auch nur ein Wort darüber verloren!"
,,Er weiß es selbst erst seit zwei Jahren."
Sein Blick wurde misstrauisch. ,,Hat er mit dir etwa darüber gesprochen?"
,,Ja. Aber darum geht es jetzt nicht. Ich brauche deine Hilfe." Ich holte tief Luft. ,,Ich plane, Jaime zu befreien."
,,Was?!", explodierte Draco. ,,Al, das ist vollkommen verrückt! Du- das ist unmöglich! Du kannst nicht einfach in seine Zelle spazieren und erwarten, dass du- ... dass du unbehelligt mit dem Sohn des Dunklen Lords entkommen kannst! Das ist doch Wahnsinn!"
,,Ich kann und ich werde es tun", meinte ich mit aller Überzeugung, die ich aufbringen konnte. Aber ... es ist wirklich ein Ding der Unmöglichkeit ... Und wenn Draco dieser Meinung ist, wird es nur noch schwerer ihn umzustimmen ...
,,Aber warum?", flüsterte Draco heiser. ,,Warum bringst du dich in so eine Gefahr für ihn?"
,,Das ist kompliziert", meinte ich ausweichend. ,,Hör zu, ich brauche nur ein Ablenkungsmanöver, mehr ni-"
,,Nein, ich will es wissen. Warum setzt du dein Leben für ihn aufs Spiel? Ich weiß, ihr beide seid befreundet ... steht euch nahe ..."
Dracos Blick schweifte kurz in die Ferne als würde er plötzlich angestrengt überlegen. Doch er verlor jedoch nichts von seiner Intensität, als sich Dracos stahlblaue Augen wieder in die meinen bohrten. ,,Irgendetwas verheimlichst du mir, Allana ..." Sein Blick verdüsterte sich wenn möglich noch mehr. ,,Oder ... ist etwas im Malfoy Manor ... geschehen? Hast du einen Schwur geleistet? Ein Ritual? Wurdest du in den Kreis aufgenommen?"
Ich seufzte. ,,Bevor du fragst: Ich rette Jaime nicht, weil ich Voldemort unterstütze - du weißt, dass ich ihn hasse! Und wenn du noch eine weitere Vermutung hast ... zwischen Jaime und mir läuft nichts und das wird auch garantiert nie so sein!",  erklärte ich hitzig.
,,Du hast meine Frage trotzdem nicht beantwortet! Wenn du offensichtlich nicht zum Dunklen Lord gehörst und zwischen Jaime und dir keine ... keine Verbindung bestehst, warum willst du ihn retten?!"
Ich schwieg.
,,Du meintest, du hasst den Dunklen Lord und Jaime in Gefangenschaft würde bestimmt nicht in seinen Plan passen - warum also tust du es? Ist Jaime dir wirklich so wichtig? V-vertraust du ihm so sehr?"
Er war verletzt, ich wusste es. Allein schon wie seine Stimme kurz geschwankt hatte ...
,,Euch beiden würde ich ohne Zögern mein Leben anvertrauen. Aber jetzt musst du Jaime und mir vertrauen! Ich weiß, dass du nach Dumbledores Tod so schnell wie möglich fliehen musst und genau das muss auch Jaime! Du hast abgelehnt, als wir dir gegen Dumbledore helfen wollten ... aber wir sitzen alle im selben Boot und sind aufeinander angewiesen! Mehr denn je! Und wenn du schon nicht willst, dass ich dich bei dem Mord an Dumbledore unterstütze, dann will ich euch beiden wenigstens zur Flucht verhelfen!" Ich blickte ihn heftig atmend an, die Arme trotzig vor der Brust verschränkt.
Draco atmete tief ein. ,,Ja, ich arbeite an einer Möglichkeit wie man Hogwarts problemlos verlassen kann und theoretisch kann ich Jaime helfen. Aber dafür muss ich wissen, was hier überhaupt los ist! Ich will die Wahrheit!"
Ich hielt seinen eisernen Blick ohne Blinzeln stand. ,,Okay. Du willst die Wahrheit." Meine Stimme klang seltsam flach und tonlos. Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen.
Draco verdiente die Wahrheit. Und außerdem würde er es verstehen können. Er wusste wie es war, wenn man keine Wahl hatte. Er hatte erlebt, wie es war, wenn Voldemort die Oberhand hatte und Kontrolle über einen ausübte - sei es auch nur indirekt. Er kannte die Angst jemanden ein dunkles Geheimnis anzuvertrauen.
Er würde es besse- anders verstehen als Hermine, die doch zu fixiert war auf schwarz und weiß ...
Und gleichzeitig könnte auch er sich von uns abwenden. Dann wäre Jaime verloren. Und ich würde Draco verlieren.
Wir hatten noch keiner Person so viel Wissen anvertraut. Dumbledore und Hermine besaßen zwar nun die eine Hälfte des Puzzles, aber über die andere Seite wussten selbst sie nicht Bescheid.
Zwei Jahre hatte ich verborgen, wer ich wirklich war, noch konsequenter und vehementer als Jaime. Ich hatte teilweise nicht einmal gewagt daran zu denken, was Voldemort für uns war: Unser Vater.
Denn das bedeutete es zu akzeptieren. Auch die Vergangenheit zu akzeptieren. Cedrics Tod. Barty Crouch Jr und der Dementor. Sirius' Tod. All dies war geschehen aus diesem einen simplen Grund.
Draco sah mich abwartend an. Er hatte eine Braue gehoben. ,,Also. Die Wahrheit. Was ist da zwischen Jaime und dir?"
Ein Herzschlag. Und noch einer.

,,Er ... er ist mein Bruder. Jaime und ich sind Zwillinge."

Seine Erben (2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt