Keinen Ausweg

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Allana

Einen Moment lang war Sirius wie erstarrt. Dann blinzelte er wie in Trance und drehte sich langsam zu uns um. Er blickte uns stumm an, dann wandte er sich zu Voldemort. ,,I- Ich ... ich glaube dir nicht."
Aber das Zittern in seiner Stimme strafte ihm Lügen. Es war nicht so, dass er Voldemort nicht glaubte, sondern, dass er es nicht glauben konnte. Die Ungeheuerlichkeit, dass Voldemort Kinder besaß, war so abartig, jedoch schien Sirius zu wissen, dass Voldemort nicht bluffte. Manchmal konnte eben nichts so sehr schmerzen wie die Wahrheit.
,,So?", zischte Voldemort und seine Stimme hatte einen triumphierenden Klang angenommen. Seine roten Augen flogen gierig zu uns. ,,James, Allana, sagt eurem Onkel doch bitte die Wahrheit."
Sirius' Blick lag auf uns und in seinen Augen sah ich den verzweifelten Wunsch, dass alles nur gelogen war, dass Voldemort nur versuchte ihn zu manipulieren ...
Ich kannte diesen Blick. Ich hatte ihn letztes Jahr auch gehabt. Aber das änderte nichts an der Wahrheit.
Mein Kopf fühlte sich tonnenschwer an, als ich mich zu einem Nicken zwang. ,,Es ist wahr", hörte ich mich sagen. Mein Gesicht fühlte sich taub an.
Sirius' Muskeln erschlafften. Er taumelte und wäre beinahe gestürzt. Seine Schultern hingen herab.
Ich senkte den Blick, denn ich konnte ihn nicht länger ansehen. Ich konnte diesem Gefühl von Betrug, von Fassungslosigkeit, von Schock, von Qual in seinen Augen einfach nicht begegnen.
Jaime neben mir starrte heftig blinzelnd auf seine Schuhe.
Irgendwann hätten wir ihm die Wahrheit über uns gesagt. Wenn der richtige Zeitpunkt da gewesen wäre. Das war unser Recht, unsere Pflicht gewesen. Aber Voldemort hatte uns diesen Zeitpunkt, diese Chance genommen.
Sirius war noch nicht bereit für die Wahrheit gewesen. Und wir auch nicht.
,,W-wir wollten es dir sagen", murmelte Jaime leise. Er stand leicht gebeugt da, seine Schultern als Abwehrhaltung hochgezogen. Jetzt war er nicht mehr Jaime, der Jahrgangsbeste, Jaime der Slytherin, sondern einfach nur Jaime, der Junge, der sich schämt und der sich vor der Reaktion seines Onkels fürchtet.
Voldemort klatschte einmal langsam in die Hände. ,,Sie haben dich die ganze Zeit belogen, Black", zischte er voller Häme. ,,Hast du ernsthaft geglaubt, sie würden dir die Wahrheit sagen, wo sie doch so offensichtlich mein Fleisch und Blut sind? Meine Kinder." Sein Blick zuckte zu uns zu uns und für einen Moment lang glaubte ich etwas Anderes in seinen Augen aufblitzen zu sehen. ,,Meine Erben."
Sirius hustete einmal. Dann wurde mir bewusst, dass er keuchend lachte. ,,Ich verstehe, dass sie es mir nicht gesagt haben", brachte er hervor. ,,Wer will schon von einem Monster abstammen?"
Voldemort drehte sich langsam um.
Mein Atem ging in abgehackten Zügen. Er wird ihn umbringen! Mein Körper zitterte unkontrolliert und gleißende Punkte tanzten vor meinen Augen. Ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten.
Voldemort hob seinen Zauberstab. Jaimes Augen waren weit aufgerissen. Ich unterdrückte ein Wimmern.
Sirius schien nun jedoch vollkommen ruhig zu sein. ,,Wenn du mich tötest, werden sie dich immer hassen. Willst du das wirklich, Voldemort?!"
Voldemort blickte kurz zu uns, dann begann er zu meiner Überraschung schmal zu lächeln. Er senkte leicht den Zauberstab. ,,Lauf, Black", flüsterte er kalt. ,,Lauf, so schnell du kannst."
Jaime runzelte kaum wahrnehmbar die Stirn. Er wusste so gut wie ich, dass Voldemort unseren Onkel nicht einfach so davonlassen konnte. Dafür wusste er einfach zu viel. Was also bezweckte Voldemort damit? Eine kleine Stimme meldete sich in meinem Kopf: Vielleicht hast du ihn falsch eingeschätzt. Vielleicht sorgt er sich tatsächlich um euch. Vielleicht steckt sogar in ihm noch etwas Gutes.
Sirius schluckte, offensichtlich genauso verwirrt von diesem plötzlichen Wandel der Situation wie Jaime und ich es waren. Er machte einen zögerlichen Schritt zurück. Und noch einen. Dann blickte er uns an. Als würde er auf unsere Zustimmung warten.
Ich wollte nicht, dass er ging ... dass er uns mit ihm allein ließ ... Aber Sirius wäre zweifellos überall sicherer als hier. Ich nickte leicht in seine Richtung. Geh, bitte geh!
Voldemort schwenkte einmal den Arm und ein Zauber raste nur Zentimeter an Sirius vorbei. ,,Ich sagte: Lauf!", zischelte Voldemort. Sirius zuckte merklich zusammen und drehte sich dann um. Dann rannte er mit gezücktem Zauberstab weg von Voldemort. Weg von uns. Weg von der Gefahr.
Vorerst schien er also sicher zu sein. Ich gestattete mir einen kleinen Seufzer. Aber beruhigt war ich keineswegs. Würde Sirius Harry von unserem Geheimnis berichten? Oder noch schlimmer Dumbledore?! Was würde dann geschehen? Würde man uns nach Askaban bringen? Würde man uns vielleicht sogar töten?!
,,Wa- Warum hast du ihn am Leben gelassen?", stotterte ich hilflos. Ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Zeigte Voldemort gerade tatsächlich Zuwendung? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Nicht bei ihm.
Voldemort lächelte erneut und diesmal ließ es mich erschaudern: Es war voller Grausamkeit. ,,Warum sollte ich meine Hände mit dem Blut dieses Verräters besudeln, wenn eine meiner Getreuen dieses Opfer nur allzu gerne auf sich nimmt? Ich bin mir sicher, Bellatrix Lestrange freut sich ihren Lieblingscousin erneut zu begegnen."
Die Panik war wieder da, schlimmer als je zuvor.
Sirius ... sie würde ihn umbringen! Da war nichts mehr, nur noch dieser eine quälende Gedanke. Dann hätte ich auch ihn verloren. Nach Cedric, meinem Bruder. Aber das durfte nicht geschehen!
Ich konnte ihn retten. Wenn ich schnell genug, stark genug, gut genug war!
Meine Hände zitterten und plötzlich war da wieder dieser Schub an Adrenalin, der wie flüssiges Feuer durch meine Adern strömte.
Ich holte tief Luft und rannte. Vorbei an Jaime, vorbei an Voldemort. Er hielt mich nicht auf. Ich hörte nur wie sein abschäuliches Lachen hinter mir immer leiser wurde.

Seine Erben (2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt