Die Wahrheit

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Ich spürte auf meiner Wange einen warmen, zärtlichen Kuss und öffnete verschlafen meine Augen. "Guten Morgen!" begrüßte mich Andre lächelnd und stand aus dem Bett auf. Ich gähnte und streckte mich. "Morgen Andre!" Langsam stieg auch ich auf und umarmte ihn. Dann gingen wir gemeinsam nach unten und erforschten erst einmal unsere kleine Küche. Da wir gestern sofort ins Bett gegangen waren und nichts gegessen hatten, inspizierten wir den Kühlschrank. Tatsächlich war er mit Marmelade, Käse, Wurst, Quark und sogar Orangensaft gefüllt. Alles sah ziemlich frisch aus, was mich ein wenig stutzig machte. Wussten diese Menschen schon, das wir oder andere Leute kommen würden? "Damit hätte ich nicht gerechnet." sagte Andre grinsend. Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange und deckte den Tisch. Genüsslich aßen wir die Brote und erzählten uns lachend ein paar Geschichten. Plötzlich klopfte es an der Tür. Andre stand auf und öffnete sie. "Ich soll euch abholen!" Ein großer, dicker Mann stand vor uns. Er war ungefähr vierzig Jahre alt und hatte fettige, braune Haare. Andre und ich zogen uns sofort an und folgten dem Mann. "Das ist doch die Strecke zum Karton!" flüsterte Andre mir ins Ohr. Ich nickte und runzelte meine Stirn. Würden sie uns jetzt schon alles anvertrauen? Tatsächlich gingen wir zu dem schwarzen Bunker und blieben vor der Tür stehen. "Alles was wir hier besprechen, bleibt hier drin verstanden?" Er zeigte auf das Gebäude und ließ uns eintreten. Wir folgten den lauten Stimmen, die von dem Raum kamen, an dem es nur einen großen, runden Tisch gab. Als wir den Raum betraten, sahen uns alle an. Ich blickte in junge, alte, verwirrte, gruselige und grinsende Gesichter. Wir setzten uns auf zwei frei Stühle, die vorne aufgestellt waren. Tara kam uns entgegen und stellte sich neben uns. Die Bewohner standen auf. " Tormentum mortis!" sagte Tara. Die Menschenmenge antwortete:" In perpetuum!" Dann setzten sich alle wieder hin. "Das sind unsere beiden neuen Mitglieder, Andre und Emilia." Tara zeigte auf uns. Plötzlich begonnen alle mit den Fingern zu schnipsen. Wir nickten nur. Tara ging auf uns zu. "Es wird Zeit euch aufzuklären!" Ich schluckte. Jetzt war der Moment gekommen, in dem alles ans Licht kam. Warum dieses Dorf so komisch war, warum sie unsere Freunde entführt hatten und welches Geheimnis sie hatten. "Ihr wisst das dies ein ganz besonderes Dorf ist. Hier kann jeder so sein wie er will. Seine Fantasien ausleben, wild und frei sein. Bei uns ist alles erlaubt!" Wieder schluckte ich. "Vor vielen Jahren wurde die Folterstrafe bei uns in Deutschland abgeschafft! Eine Schande finden wir!" Plötzlich trampelten und schrien alle wild durcheinander. Tara schien dies zu gefallen. "Vor vierzig Jahren entstand dieses Dorf. Zuerst war es nur eine kleine Gemeinde, die gegen alle Regeln waren und frei leben wollten. Doch immer mehr Leute sind hinzugekommen." Sie zeigte auf die große Menschenmenge. "Nun," sie räusperte sich, "meint ihr, ihr seid wirklich stark genug?" Entschlossen nickten wir, wobei ich mir nach und nach, bei diesen Irren, nicht mehr so sicher war. "Also das erste Projekt war erst 1990. Es war noch nicht so groß, da zu dem Zeitpunkt erst fünfzig Leute im Dorf waren. Habt ihr etwas von dem Baumtoten gehört?" Wir beide schüttelten langsam den Kopf. "Naja, ein Mann hatte sich in unser kleines, süßes Dörflein am vierten September 1990 verirrt und suchte Unterschlupf. Den gaben wir ihm auch. Wir fütterten ihn, gaben ihm ein gemütliches Bett und kümmerten uns um den Mann. Hilde wusste sofort das er das perfekte Opfer sein würde. Dann gab sie ihm nachmittags Tabletten, die sie in sein Essen heimlich mitkochte. Als er bewusstlos wurde ging der Spaß dann los." Das ganze Dorf lachte. So wild und gruselig, wie ich es in meinem Leben noch nie gehört hatte. Ich hatte Angst, große Angst und griff nach Andre's Hand. Sie erzählte weiter:" Naja, sagen wir es mal so, das ganze Dorf durfte sich an ihm austoben! Als sein Geist den Körper verließ hingen wir ihn an einem Baum, in einem Stadtpark auf. Und diese Projekte führen wir, bis heute jede zwei Jahre geplant durch. Wir suchen uns labile Opfer und machen, das was wir wollen, mit ihnen." Ihre Augen funkelten. "Wir sind das mächtigste Dorf ganz Deutschlands." Plötzlich rief ein anderer Mann laut:"Und bald auf der ganzen Welt!" Alle stampften und schrien wild durcheinander. Sie lachten. Frauen, die normal, lieb, familiär aussahen rasteten aus und jubelten. Auch Tara lachte boshaft. Ich schaute Andre ängstlich an, der meinen Blick erwiderte. "Wieso guckt ihr denn so trüb? Habt ihr doch Schiss oder was?" Andre stand entschlossen auf. "Wir haben doch keine Angst!" Auch ich stellte mich hin. "Wir wollen mitmachen!" Wieder rasteten alle aus und auch Tara lächelte zufrieden.

Das Dorf des Schweigens Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt