Das Blut spritzte wenige Zentimeter an mir vorbei. Ich hörte einen dumpfen, mädchenhaften Schrei und zuckte zusammen. Er brach, direkt vor mir, in sich zusammen. Die Erde bebte und das Gras verformte sich in die grobe Haut hinein. Der Kopf lag auf meinem rechten Fuß. Er war schwer. Im ersten Augenblick konnte ich die Erleichterung gar nicht wirklich spüren. Die Bewohner schauten schockiert und mit beiden Armen nach oben gerichtet, zu uns. Der Anblick war erbärmlich. Sie wollten immer groß und stark sein. Doch in ihren Augen konnte man nur die Angst erkennen. Die Angst vor dem was ihnen passieren würde. Was ihre Strafe werden würde. Als sie uns quälten hatten sie keinerlei Reue oder Furcht gezeigt. In dem Moment war es fast ein Wunder, dass niemand in ein lautes Geschluchze oder Wimmern ausbrach. Langsam schlief mein großer Zeh ein. Ich versuchte ihn irgendwie zu bewegen, doch es gelang mir nicht. Eine ganze Mannschaft von großen Männern stürmte auf uns zu. Sie sahen genauso aus, wie ich mir diesen 'Trupp' vorgestellt hatte. Wie in einem Tatort oder Actionthriller. Nur das, dass die pure Realität war. Ihre Gewehre bewegten sich, während des Rennens auf und ab. Sie teilten sich auf. Zwei Männer zerten an meinem Körper, bis das Kabelband schließlich nachlas und sie löste. Den Gorilla Typen auf meinem Bein schob ich grob beiseite. Er wimmerte und schrie vor sich hin. Es war nur ein verschissener Streifschuss, dachte ich abwertend. Ich schüttelte wild meine tauben Hände, die mit rötlichen Einkerbungen versehrt waren. Meine Beine zitterten. Genau so erging es meinen Armen, meinen Händen und meinem restlichen Körper. Erleichtert atmete ich aus. Einer der Männer legte zärtlich seine großen Hände auf meine Schultern. "Alles gut? Sind sie verletzt?" Ich schüttelte, ein wenig geistesabwesend, den Kopf und zwang mir ein kleines Lächeln auf meine Lippen. Er nickte und schob mich in Richtung der anderen Männer. Andre ging wenige Meter hinter mir. Ich genoss seinen Geruch und spürte ein erleichtertes ausatmen an meinem Nacken. Langsam drehte ich meinen Kopf. Mein Blick schweifte zu Marcel, der ziemlich verärgert und aggressiv aussah und abgeführt wurde, bis hin zu Tara die ihren emotionslosen Blick aufgesetzt hatte. "Emi wir haben es geschafft." Andre lächelte mich vorsichtig an und huschte zu mir. Ich nickte und nahm seine Hand. "Ja das haben wir." Das Gefühl, das ich empfand konnte sich niemand vorstellen. Es war wie eine riesige Welle, die auf dich zu kam und mitriss. Eine Welle aus Glück, Erleichterung und Mut. Ein uns bekanntes Gesicht stand zufrieden am Ende der Wiese. "Es tut uns leid, dass es so lange gedauert hat. Aber euch geht es gut, oder?"
"Ja soweit es einem gut gehen kann, wenn man einen Tag im Verließ verbringt und Angst um sein Leben hat.", erwiderte ich. Es sollte nicht schnippisch oder zickig klingen. Es war einfach nur die Wahrheit. Das erkannte auch der jüngere Dorf Polizist. "Ein Hubschrauber wird euch gleich nach Hause bringen. Dann wird hoffentlich wieder alles normal." Normal. Ein Wort, dass ich die letzten paar Wochen so lang nicht mehr gehört hatte. Er schenkte uns noch ein kurzes Lächeln und drehte sich dann um. "Warten sie.", rief ihm Andre hinterher. "Woher wussten sie das wir hier und vor allen Dingen jetzt geopfert werden würden?" Der Polizist dachte kurz nach und sagte dann: "Das war Intuition. Ihr habt euch nicht mehr gemeldet, deswegen sind wir losgegangen und haben die Lichtung entdeckt, auf der schon alles präpariert wurde. Kommt gut nach Hause und passt auf euch auf!" Wir nickten dankbar und verabschiedeten uns von ihm. Nach etwa zehn Minuten landete ein ziemlich großer, dunkelblauer Hubschrauber, auf der noch größeren Wiese. Wie stiegen, mit einem zugegebenerweise mulmigen Gefühl, ein und setzten uns in das Fahrzeug hinein. "Wahnsinn. Das alles hier. Wir wären fast gestorben." Rina lief eine dicke Träne die Wange hinunter. Wir nickten und schnauften fast gleichzeitig aus. Das Zittern meines Körpers hatte sich nicht wirklich verbessert und auch das flaue Gefühl in meinem Magen war immer noch da. Ich schaute auf den Wald hinunter. Der Wald, der uns verschluckt hatte. Der Wald in denen Monster lebten. Der Wald, der plötzlich klein und erbärmlich erschien. Erbärmlich. Das war das richtige Wort für dieses Dorf. Jahrelang lebten sie dort und mordeten Unschuldige. Sie schwiegen über ihre Taten. Die Täter schwiegen. Das ganze Dorf schwieg. Und endlich würden sie ihre Strafe erhalten. Endlich war alles vorbei. Und wir haben an diesem Fall mitgewirkt. Schließlich landete der Hubschrauber auf einer Segelflugzeug Wiese, die abgesperrt war. Wahnsinn, was die Polizisten schon alles abgeklärt hatten. Unten angekommen standen am Rand der großen Wiese weinende Menschen. Aber es waren nicht irgendwelche Menschen. Es waren unsere Eltern. Die bleichen, verquollten Gesichter starrten uns ungläubig an. Ich rannte los. Alles um mich herum wurde unwichtig. Das einzige was ich sah war meine Mutter, die weinte. Sie weinte so sehr, wie ich zuvor noch niemanden weinen gesehen hatte. Und mein Vater, der mit beiden Händen vor dem Mund liegend zu mir schaute. Sie stürmten auf mich zu und umarmten mich. Die Gerüche von ihnen, von meinem Hausgeruch, explodierten förmlich. Das Gefühl der Heimat und Geborgenheit war plötzlich so stark.Zwei Wochen vergingen. Zwei Wochen in denen wir nichts vom Dorf, den Bewohnern und der Polizei hörten. Doch dann an einem Samstag, rief der Wachtmeister bei uns an und teilte uns mit, dass Andre, die anderen und ich wichtige Zeugen seien und wir zu einem Verhör kämen müssten. In diesen zwei Wochen ging es mir so gut. Andre wohnte bei uns, meine Beziehung zu meinen Eltern und meiner Familie war so gut wie noch nie und auch in die Schule ging ich wieder. Am ersten Tag verhielten sich alle komisch. Andre, der auf meine Schule wechselte, und ich wurden mit bemitleidenswerten Blicken durchlöchert und auch die anderen spürten eine Veränderung. Aber niemand verlor auch nur ein Wort über Marcel oder das was wir erlebt hatten. Bis zu diesem Samstag. Wir kamen an der Polizeiwachstelle an. Die ganze Erinnerung riss mich fast um. Fast, weil Andre bei mir war und mich auffing. Egal was auch bei diesem Verhör passieren würde, ich wusste das Andre und auch meine Freunde bei mir waren.
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Das Dorf des Schweigens
Mystery / ThrillerDie 18 jährige Emilia ist auf Klassenfahrt in einem kleinem Dorf. Aus Langeweile macht sie mit ihren Freunden eine Mutprobe. Sie und ein, bis vor ein paar Stunden noch, fremder Junge müssen in ein verlassenes Gebäude gehen. Dort finden sie Zeitungs...