Das Leben danach

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Drei Monate. Drei Monate in denen ich fast täglich zu meiner Therapeutin ging und mit ihr über die Zeit im Dorf sprach. Drei Monate hatte ich mich jetzt langsam wieder gewöhnt zu Hause zu sein und in meinem Bett zu schlafen. Drei Monate waren vergangen, als Andre, meine Freunde und ich bei der Opfergabe standen. Ich konnte Tag für Tag besser einschlafen, hatte weniger Albträume und konnte endlich die Beziehung von Andre und mir genießen. Wir trafen uns jeden Tag, nach unserer Therapie und unternahmen diese normalen Dinge, nach den ich mich vor drei Monaten so gesehnt hatte. Andre zog in eine WG ein, die ziemlich nah an meinem Haus lag. In dieser Zeit erfuhr ich auch vieles über meinen Freund. Er hatte schlechten Kontakt zu seinen Eltern und sah sie fast gar nicht. Er meinte, sie hätten eine kaum beschreibliche Distanz zu einander. Doch den genauen Grund würde ich schon irgendwann herausbekommen. Schließlich vertraute er mir ja.
An einem anderen Morgen ging ich runter zu meiner Mutter, begrüßte sie und schmierte mir ein Marmeladen Brot. Dabei las ich, ganz altmodisch, die Tageszeitung. Als ich umblätterte erstickte ich fast an einem Brotbissen. Der dickgedruckte Titel ließ mich kurz zusammen schrecken: 'Die Dorf Mörder gefunden'. Meine Mutter schaute mich besorgt an. "Was ist denn los, Emi?" Ich spürte, wie mein Gesicht immer blasser wurde und schluckte mein Brotstück herunter. Ohne etwas zu erwidern las ich laut vor: "Vor wenigen Monaten schlugen die bekannten Mörder in der Nähe von Weslow wieder zu. Eien Gruppe von Jugendlichen verirrten sich in dem Waldstück der Mörderbande. Sie entführten sie und waren bereit sie mit grausamen Foltermethoden umzubringen. Glücklicherweise konnten sie rechtzeitig aus dem Dorf befreit werden. Unter einen der Mörder befand sich auch ein ehemaliger Freund der Schüler. Weitere Details sind der Redaktion noch nicht vorhanden." Ich schaute in die Augen meiner Mutter, die sich immer mehr verkleinerten. Sie setzte sich abrupt auf den Stuhl. Meine Stimmenbänder kratzten und zitterten. Natürlich wusste ich, dass es irgendwann an die Öffentlichkeit dringen würde, aber in diesem Moment war ich darauf nicht vorbereitet. "Emi ist alles okay?", fragte sie verunsichert. Ich nickte zögernd. "Ja, es war doch klar, dass es irgendwann kommen musste. Geht schon." Kurz nachdem ich den Satz aussprach klingelte es an der Haustür. Ich stand schnell auf, lief zur Tür und begrüßte Andre liebevoll. Er trug eine schwarze Jeans, die er zu einem grau melierten T-shirt kombiniert hatte. Er sah gut aus. Fast zu gut, für diese bedrückende Situation. "Hey Emi!" Er gab mir einen zarten Kuss aif die Schlefe und grüßte dann meine Mutter, die immer noch betroffen auf unseren Glastisch starrte. "Frau Trast? Ist alles okay mit ihnen?" Meine Mutter schreckte auf und lächelte Andre gequält an. "Alles super und bei dir? Ach und wie oft habe ich zu dir gesagt du sollst mich dutzen?" Ein wenig beschämt schaute Andre zu Boden. "Wir müssen auch jetzt los. Mama ich wünsch dir einen schönen Tag." Ich küsste sie auf die Wange und flüsterte ihr ein: "Es ist alles okay Mama.", zu. Dann stürmte ich mit Andre zur Tür. Er schaute mich verwirrt an. "Was ist mit dir los? Wir haben noch zwanzig Minuten. Emi irgendetwas stimmt doch nicht." Ich stoppte. Mein Blick wanderte über Andres Körper, bis hin zu seinen Augen. "Sie haben einen Bericht über das Dorf geschrieben." Er schluckte. Dann erzählte ich ihm von dem Artikel, während wir im langsamen Tempo zur Schule gingen. "Okay. Ich meine das war ja klar oder? Aber wir sollten uns darüber keinen Kopf machen." Ich nickte. "Ja da hast du Recht." Er lächelte mich kurz an und riss einen Grashalm aus der knie hohen Wiese heraus. "Wie läuft deine Therapie so?" Ich sah zu meinen Füßen, die in rosa farbenden Turnschuhen eingehüllt waren. "Ziemlich gut. Ich vertraue ihr und kann ihr alles erzählen. Und bei dir?" Ich kickte einen kleinen Kieselstein bei Seite. Die Morgensonne wärmte meinen Nacken. "Auch gut." Ich lachte kurz auf. "Was?", fragte Andre gespielt empört. "Weißt du eigentlich, dass du der tollste Junge bist, den ich jemals kennenlernen durfte?" Nun lachte er mit mir und zog mich zu sich heran. Ich drehte mich zu ihm und schaute ihm tief in seine wunderschönen Augen. Er küsste mich und griff mir immer wieder in meine Haare. "Emi du bist toll.", grinste er nachdem wir weiter gingen. Ich nickte und schmunzelte darüber. "Du auch. Ich denke wir sollten schon über unsere Zukunft sprechen. Ich meine du bist der perfekte Mann." Wieder ein schallendes Gelächter. Zukunft. Das war ein gutes Wort. Ein Wort, dass mir Hoffnung und Mut schenkte. Meine Therapeutin hatte mir vorgeschlagen ein Buch über das Dorf zu schreiben. Ein Buch. Gar keine so abwegige Idee. Vielleicht würde ich mich in den nächsten Tagen echt an meinen Laptop setzten und ein wenig schreiben. Aber zu erst würde ich den Tag genießen. Denn jetzt wusste ich endlich wieder, was es hieß zu leben.

Das Dorf des Schweigens Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt