Der Verrat

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"Pulchram?" Ein lautes Gemurmel drang in mein Ohr. Es war gedämpft. Immer wieder ertönte die männliche, kernige Stimme. "Pulchram!" Irgendetwas hinderte mich daran meine Augen zu öffnen und etwas zu erwidern. Ich genoss das Gefühl der Ruhe. Niemand fasste mich an. Keiner berührte meine Wunden. Die Blauenflecke. Die Blutspuren. "Pulchram. Wachen sie auf!" Zwei große Hände streiften meine Schulter und begannen leicht zu rütteln. Ein Stöhnen entfuhr mir und augenblicklich saß ich kerzengerade auf einem Krankenhaus ähnlichem Bett. Einer der Soldaten, Jäger oder wie auch immer diese Kerle hießen, stand vor mir und musterte mich mit einem strengen Blick. "Wir müssen los!" Er zog mir die Decke von Leib. Seine Arme näherten sich meinem Körper, bis er mich schließlich auf seinen, ziemlich muskulösen Armen, trug. Doch der Moment, der in allen anderen Filmen, Serien oder Bücher sehr romantisch gewirkt hätte, war in diesem Fall einfach nur unangenehm und ungemütlich. Doch trotzdem war ich dankbar, dass ich nicht selbstständig gehen musste. Wobei ich vermutlich eh sofort wieder mein Bewusstsein verloren hätte. "Wo gehen wir hin?",fragte ich ihn. Er schnaubte angestrengt durch die Nase. "Wirst du schon schnell genug erfahren." Ich nahm diese Antwort so hin und schaute mich um. Wir durchquerten einen langen, weißen Flur, bis er schließlich eine Tür öffnete. Hinter ihr befand sich ein Gang. An der Decke des meterlangen Tunnels, hingen Lampen, deren Lichter grell auf uns hinab schienen. Das Licht brannte in meinen Augen, die ich augenblicklich zusammen kniff. Der Typ raste. Bei jedem Schritt spürte ich die Wunden, die an meinem ganzen Körper verteilt waren. Noch nie zuvor hatte ich so etwas erleiden müssen. Ich dachte urplötzlich an meine Eltern. Natürlich hatte ich auch die Tage davor immer wieder über meine Familie nachgegrübelt, hatte mich in den Schlaf geweint und verspürte große Sehnsucht sie wiederzusehen. Doch trotzdem war der Gedanke und das Vermissen noch stärker als zuvor. Wenn meine Kratzer und meine Schrammen mir so unfassbar weh taten, wie fühlten sich dann wohl meine Eltern? Sie wussten nicht wo ich war, ob ich überhaupt noch lebte. Die Polizei hatte ihnen auch nichts erzählt, da sie so die Ermittlungen des Falles gefährdet hätten. Ein Riss im Herzen war vermutlich schlimmer, als Narben am ganzen Körper. Ein Schauer kroch sich meinen Rücken entlang. Ohne Vorwarnung begann ich zu schluchzen. "Die Wunden verschwinden irgendwann. Keine Sorge!", brummte der Mann lieblos. Wir erreichten eine Stahltür mit drei Schlössern. Er ließ mich von seinen Armen runter. Kurz drehte sich der Gang um mich herum und Sterne tauchten am helllichten Tage vor meinen Augen auf. Doch als ich mich ein wenig an der Wand abstützte und ich meine Augen schloss, ging es mir langsam besser. Mit einem kräftigen Ziehen öffnete der Kerl die Tür und schob mich grob hinein. In meine Nase drang ein bekannter Duft. Es war modrig, kalt und ein Hauch schimmelig. Ich schaute mich zögernd um und betrachtete das Gemäuer. Mein Blick fiel auf eine Steintreppe. "Warum sind wir im Verließ?", fragte ich den Typen skeptisch. Er beachtete mich überhaupt nicht und schloss stattdessen eine Holztür auf. "Da seid ihr ja endlich!" Tara wirbelte um uns herum und lächelte uns zufrieden an. "Pulchram, komm mit. Du möchtest doch deine Freunde sehen oder?" Sie zog mich in den dunkelen Raum. Die Tür knallte laut zu. Nun standen wir in dem Verließ. Meine Freunde. Verteilt auf dem Boden. "Schwach oder?" Sie grinste. "Deine Freunde meine ich." Ich nickte zögernd und musterte den Raum. Sophies Augen leuchtete im schwachen Licht. Ein Leuchten von Hoffnung und Sieg. Alle waren wach und sahen zu uns auf. "Weißt du," begann Tara leise zu reden, " ich habe dich gehasst." Meine Augen entwickelten sich zu Schlitzen und mein Herz pochte immer schneller. Ich spürte das irgendetwas nicht stimmte. "Verabscheut. Der Meister schrie mich vorgestern noch an, wie nutzlos ich wäre. Pulchram, hat er gesagt, Pulchram wird dich noch überholen. Sie würde besser als du sein. Er meinte du wärst besonders. Einzigartig. Er hätte etwas in deinen Augen gesehen. Du könntest dazu gehören." Sie machte eine kurze Pause, um langsam auszuatmen. "Dabei bist du nichts. Rein gar nichts, außer ein armseliges Geschöpf, das versucht Aufmerksamkeit zu erhalten." Verständnislos schüttelte ich mit dem Kopf. "Tara."
"Nein. Ich will nichts hören. Dreh, dreh dich bitte um." Ein Schmunzeln machte sich auf ihren Lippen breit. Langsam neigte ich mich nach hinten. Mein Herz setzte für einen Moment aus. Die Übelkeit stieg in mir hoch. Augenblicklich drehte ich mich wieder zu Tara, die weiter hinten stand. "Warum?" Sie lachte laut auf. "Fragst du das wirklich?" Ich schaute noch einmal zu Andre, der bewusstlos und gefesselt auf dem dreckigen Boden lag. Tara musterte meine Freunde, die nur verwirrte Blick austauschten. "Marthy, jetzt ist deine Zeit gekommen!" Ich stand wie angewurzelt in der Mitte des Raumes und traute mich keinen Zentimeter zu bewegen. Mein Blick vereiste sich, als Marcel sich von den Fesseln befreite und triumphierend aufstand. "Hat aber lange gedauert!",grinste er. Eine beängstigende Stille machte sich breit. "Damit hättet ihr nicht gerechnet, oder?",sprach Marcel abgehackt. Verzweiflet blickte ich ihn an. "Das ist ein Witz. Sag bitte das es ein Witz ist. Marcel!" Meine Stimme klang, wie ein jaulender Wolf, deren Tatze in einer Falle steckte. Meine glasigen Augen verdeckten mir die Sicht auf seinen Gesichtsausdruck. "Weißt du, die Welt ist ungerecht! Die Guten werden belohnt, sie werden von allen anderen vergöttert und verehrt. Aber was ist mit allen anderen. Sie werden abgestoßen, werden bestraft und verhöhnt. Das ist nicht fair." Ich schüttelte wild mit meinem Kopf. "Weißt du was nicht fair ist? Wir sind befreundet. Seit der fünften Klasse sind wir befreundet. Wir haben so viel miteinander erlebt." Er kicherte leise vor sich hin. "Wir? Für dich gab es kein wir! Ich war immer der Looser, mit dem keiner etwas zu tun haben wollte!"
"Marcel du bist mein Freund!"
"Emilia ich rede von einer Beziehung." Ich blickte ihn fragend, verzweifelt und zu gleich verständnislos an. "Seid der sechsten Klasse, war ich unsterblich in dich verliebt. Ich schickte dir Briefe, ein Packet mit Pralinen und du? Du hast mich ausgelacht, mich bloß gestellt!"
"Ich dachte es wäre Spaß! Nicht Ernst gemeint!" Er nickte zustimmend und grinste weiter. "Richtig. So sahen mich alle. Keiner hat mich wahr genommen. Keiner hat die Gefahr in mir gesehen. Erst als ich hier landete, war mein Leben erfüllt." Die Sätze schossen durch meinen Körper und setzten sich dort einzelnt fest. "Sie manipulieren dich! Dieses Dorf ist böse." Ein lautes Krächzen ertönte von Tara, die in der Ecke kauerte und uns lächelnd beobachtete. "Nein, sie sind meine Familie!" Tara ging auf Marcel zu und schlung ihren Arm, um seinen Körper. "Wir haben ihm Schutz angeboten. Ihm das gegeben, wonach er sich sehnte. Dann sprach er von dir. Du warst das perfekte Opfer. Doch wir wussten nicht das ihr so hartnäckig seid." Tara lächelte. Ich schnaubte hörbar aus. "Was hat Andre damit zu tun?"
"Purer Zufall. Aber es war gut, da du dich wahrscheinlich sonst nie so angestrengt und gekämpft hättest." Die Ereignisse wirbelten durch meinen Kopf herum, wir ein riesen großer Hurricane. Ich konnte es einfach nicht begreifen und wollte es nicht glauben. "Also war alles geplant?", flüsterte ich. "Das Ritual, die Aufnahme, die Phasen?" Tara nickte schelmisch. Auch Marcel sah höchst zufrieden aus, was meinem Herzen ein Stich versetzte. "Bye, bye Pulchram.", rief Tara. Ein Tuch presste sich auf meinem Mund und meiner Nase, so das ich nach wenigen Sekunden mein Bewusstsein verlor.

Das Dorf des Schweigens Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt