Die zweite Phase

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Hinter uns räusperte sich jemand. Die Stimme kam mir bekannt vor, also drehte mich schnell um. Shone stand grinsend vor uns. "Ich gratuliere euch." Er hielt uns seine Hand entgegen, die wir daraufhin zögernd schüttelten. Irgendwie war dieser Typ komisch. Aber komisch sonderbar. Nicht so wie Tara. Oder die anderen Bewohner. Er schien verrückt und lebenslustig zu sein. Nicht für dieses Dorf geschaffen. "Wo ist denn deine Freundin?" Mit einer hoch gezogenen Augenbraue schaute er mich an, bis er allmählich verstand, dass ich Helam meinte. "Ach die. Was weiß ich denn? Vermutlich hat sie es nicht geschafft!" Er zeigte hinter sich. Verletzte wurden mit einer gelblich, weißen Trage von der Lichtung geschleppt. Ich verzog schockiert meinen Mund. War die Betäubung so stark, dass sie nicht mehr gehen konnten? Es waren, so wie es aussah, ziemlich viele, die aus dem Test ausgeschieden waren. Ich schaute mich neugierig um. Tatsächlich fand ich nur fünf, mit mir mitgezählt sechs Frauen. Wow, ich hatte es echt weiter als Helam und die anderen sportlichen, muskulösen Mädchen geschafft. "Willkommen zur zweiten Phase!" Ich schaute zu dem Meister, der auf dem Podest stand und anfing breit zu grinsen. Er musterte uns Frischling für Frischling. Sein Blick blieb bei Andre und mir hängen. Er nickte und sah ziemlich überrascht aus. Vermutlich eher von mir, als von Andre. Im Gegensatz zu ihm, war ich nicht gerade die sportlichste Person. Lauter Applaus und Gelächter übertönte das rauschen des Mikrofons. Der Meister hob seine Hand und symbolisierte uns damit, dass wir leiser sein sollten. "Die Regeln der zweiten Phase sind ziemlich simpel: Haltet aus solange ihr könnt." Verwundert schauten Andre und ich uns an. Sollte das jetzt irgendeine Folterprobe sein oder wie? "Diese Phase besteht aus eurer größten Angst, das 'Überwinden'." Er machte eine kurze Pause, lächelte furchteinflößend und sprach dann weiter: "Wir sind das Dorf. Wir kennen euch. Ihr vertraut uns. Wir vertrauen euch. Ihr müsst es nicht hinterfragen. Wir wissen alles. Tormentum mortis- in perpeetum." Warum sprach der Mann in Rätseln? Konnte er nicht einfach sagen, was wir machen mussten? "Zum Test: Die Lichtung wird gleich halbiert. Der eine Teil ist das Warte zentrum. Der andere ist das Geschehniss. Euch werden gleich Nummern gegeben. Dann werdet ihr nach und nach aufgerufen und in den zweiten Teil gebeten. In diesem Teil wird dann eure persönliche Angst simuliert, wo gegen ihr ankämpfen müsst. Wir werden dies genaustens beobachten und analysieren wie ihr mit eurer Angst umgeht und sie ausbremst. Der jenige der einen kühlen Kopf behält, übersteht die zweite Phase und gelangt zur dritten und damit letzten." Für einen Augenblick setzte mein Herz aus. Fragen türmten sich in meinem Kopf. Wie um alles in der Welt sollte so etwas gehen? Woher kannte er unsere Ängste? Wie sollten sie so etwas simulieren? "Habt ihr so weit alles verstanden oder gibt es Fragen?" Stille. Keiner sagte etwas. Das unbesorgte Lächeln in den Gesichtern der Frischlinge war verschwunden. Alle sahen ziemlich mitgenommen und schockiert aus. Es war eine Sache, Leute mit Betäubungspfeile abzuschießen, aber eine völlig andere Sache war es in unsere tiefsten Ängste einzudringen. Und was war eigentlich meine größte Angst? Schlangen? Kröten? Nein, ich wusste das es etwas persönlicheres sein musste. Diese Angst, die man nicht zu gibt. Man sie vielleicht gar nicht wahr nimmt oder überhaupt kennt. Ich spürte wie blass mein Gesicht wurde. Meine Finger fingen an zu pochen. "Dann ist ja gut. Viel Glück Frischlinge. Ihr schafft das!" Dann ging er von dem Podest und verschwand weiter hinten. Ich drehte mich zu Andre, der genauso bleich war, wie die Wand am hinteren Ende der Lichtung. "Meinst du wir schaffen das?" Leicht schüttelte er mit dem Kopf. "Ich weiß es nicht!" Seine Stimme krächzte. Er war vollkommen aufgelöst. Ich schlug ihm vor, uns erst einmal auf den Waldboden zu setzten und uns zu beruhigen."Wie soll das denn gehen? Ängste simulieren? Wie in einem Science Fiction Film oder was?" Fragend schaute ich auf meine Füße und wackelte nervös mit ihnen herum. Andre schkuckte nur. "Weiß du was deine größte Angst ist?", fragte ich vorsichtig. Ich sah ihn mitleidend an. Er biss sich kurz auf die Lippen. "Keine Ahnung. Also ich weiß es nicht. Wirklich!" Er stotterte. Ich wusste das etwas nicht stimmte und spürte seine Anspannung. Ich legte meine Hand auf seine und seufzte laut. "Wir werden das hinbekommen okay?" Er zog seine Mundwinkel kurz zu einem Lächeln hoch. Doch sein Blick füllte pure Angst. Angst vor der Angst Entschlossen stand er plötzlich auf. "Wir sollten uns die Nummern holen." Ich nickte und ging Hand in Hand zu Tara, die schon genervt und nervös zu gleich die Blätter verteilte.
Eine gute halbe Stunde später warteten wir darauf, das wir dran kamen. Vor uns stand eine ziemlich, ziemlich große Trennwand in der eine Tür mit eingebaut war. Sie wirkte irgendwie unrealistisch. Die ersten Kandidaten waren beides Männer. Trotzdem starrten sie ängstlich die Soldaten an, die sie zum Simulationsraum begleiteten. Tatsächlich konnte man keine Schreie hören. An irgendetwas erinnerte mich diese vollkommen unwirkliche Situation. Mir wurde immer übler. Ich hatte zwar die Nummer zwanzig gezogen, doch vielleicht war das sogar eher negativ. Ich wäre wirklich froh gewesen, wenn ich es hinter mir gehabt hätte. Andre war die ganze Zeit ziemlich still und nachdenklich. Dann war es so weit. "Nummer neunzehn, bitte." Andre. Andre war dran. Meine Hände wurden schwitzig. Ich zog ihn in eine lange Umarmung und flüsterte ihm noch "Ich liebe dich." zu. Er gab mir einen schnellen Kuss und verschwand dann mit dem Soldaten. Ich setzte mich wieder auf den Boden und schluckte den Kloß herunter. Mit meinen Händen fuhr ich mir durch das Gesicht und zog meinen Zopf zu recht. "Und, auf einer Skala von 1 bis 10, wie aufgeregt bist du?"Shone guckte mich an und kniete sich zu mir. Ich stöhnte leicht genervt aus. "Weiß nicht. Vielleicht 8 oder 9." Er lachte laut auf. "Cool. Ich so null." Ich nickte lächelnd und schaute zu der Abtrennwand. Ich bemühte mich irgendetwas zu hören, doch da Shone immer weiter auf mich einredete klappte dies nicht. "Das Dorf ist schon toll. Ich meine so vielfältig und schön." Nun drehte ich meinen Kopf verwirrt um. "Schön? Wie kannst du das schön nennen?" Sein Grinsen verschwand und ein Blick, gemischt aus Verwunderung und Schock breitete sich auf seinem Gesicht aus. "Was?", fragte er. Ich schnaupfte aus und lachte kurz. "Man jetzt hab ich dich aber dran gekriegt. War'n Witz Shone." Trotzdem verschwand die Verwirrung aus seinen Augen nicht. Er wendete sich langsam von mir ab und ging schließlich. Leicht klatschte ich meine Hand vor mein Kopf. Wie blöd konnte man eigentlich sein? Ich riss einen langen Grashalm aus und musterte ihn. Ehrlich gesagt hatte ich mich schon oft gefragt, wie das Leben als Pflanze oder Tier sein musste. Unbeschwert? Leichter? Aber wer wusste das schon. Vielleicht hatten Pflanzen ja auch Angst. Angst vor den Menschen, die Rosen einfach abschnitten. Oder Halme aus den Boden rissen. Mensche die Bäume fällten. Die Welt war schon komisch. "Nummer 20." Ich erschrak und fuhr hoch. Blitzartig ließ ich den Grashalm sinken und stand auf. So schnell war Andre fertig? Bitte, bitte war ihm nur nichts passiert! Mit hastigen Schritten folgte ich dem Soldaten bis zur Tür, die er mir aufhielt. Ich schleichte hinein und stand auf der halbierten Lichtung. Weiter hinten entdeckte ich eine kleine Holzhütte. Wie um alles in der Welt hatten sie die Hütte hier hergebracht? Plötzlich drückte mir jemand, der sofort wieder an mir vorbei stapfte, ein Glas in die Hand. Es war mit einer blauen Flüßigkeit gefüllt. Ich schaute angewidert hinein. "Was ist das?", rief ich laut, in der Hoffnung mir würde jemand antworten. Kurze Zeit später ertönte ein Lautsprecher: "Dies gehört zur Phase. Trink es." Ich schaute mich genaustens um. Mein Herzschlag wurde schneller, genauso wie mein Atem. Ich setzte das Glas an meinem Mund und trank es aus. Wieder sah ich mich um. Dieses Mal nervös und unsicher. Ich hatte absolut keine Ahnung was gleich geschehen würde. Mir wurde leicht übel und schwindelig. Ich schloss meine Augen und drückte mit der Faust gegen meinen Bauch. Dann, mit einem Mal, waren die Schmerzen weg. Erleichtert öffnete ich meine Augen wieder. Doch ich stand nicht mehr auf der Lichtung. Ich war in einer Wohnung. Eine Wohnug die ich nur zu gut kannte. "Emi, da bist du ja endlich." Meine Oma kam auf mich zu gestürmt und umarmte mich wild. Ihr Geruch umhüllte mich. Irgendwie tat es trotzdem nicht gut. Ich betrachtete mich schockiert um. Schweiß lief mir den Rücken hinunter. "Komm mit. Ich habe etwas leckeres gekocht." Sie führte mich zum Esszimmer und zeigte auf den weißen Glastisch. Er war mit roten Tulpenblättern geschmückt. In der Mitte lag ein Tablett auf dem etwas rumschwirrte. Es war unscharf. Ich kniff meine Augen zusammen und ging etwas näher. "Na erkennst du sie?", rief meine Oma mir zu. Etwas miaute. Es war eine Katze. Und nicht irgendeine. Es war Milly, meine Katze. Ich keuche laut auf. "Das wird lecker." Meine Mutter stand nun plötzlich am Tisch und zückte ein scharfes Küchenmesser hervor, das sie auf Milly richtete. Ich schrie auf und blickte um mich herum. Ich griff zu dem Tier und zog sie mit einem schnellen Ruck weg von dem Tisch. Meine Mutter musterte mich abfällig. "Willst du uns unser Essen wegnehmen? Willst du uns wirklich unser Essen wegnehmen?" Sie schrie und rannte auf mich zu. Während mir Tränen runterliefen, schubste ich meine Oma weg und rannte aus der Wohnung hinaus. Weg von meiner Familie. Weg von allem. Als ich die steile Treppe hoch rannte, hörte ich noch ein lautes Lachen. Oben angekommen atmete ich tief durch und schaute zu meiner Katze herunter. Ich erschrak und schrie so laut ich konnte. Milly hatte sich in eine verschrumpelte Katzenleiche verwandelt und lag tod auf dem Boden gekrümmt. Mein Schrei halte noch immer durch den Flur. Plötzlich wurde es dunkel. Ich sah mich verwirrt um und war völlig außer Atem. Andre, meine Mutter und mein Vater saßen auf drei Stühlen verteilt. Ich rannte zu ihnen. Doch igendetwas hielt mich. Ich konnte nicht weiter gehen. Es war, als wäre ich wie festgebunden. Eine Stimmer erklung: "Töte einen von ihnen, oder alle drei werden sterben." Ich starrte auf meine Hände, die nun mit einer schwarzen Waffe ausgestattet waren. Ich weinte und schluchzte immer wieder. Meine Hämde zitterten. Ich spürte sie nicht mehr. Plötzlich waren sie wie ferngesteuert. Irgendjemand kontrollierte sie und richtete die Pistole auf sie. Immer wieder schweifte sie zwischen den dreien. Ihre verzweifelten Blicke wurden immer ängstlicher. "Nein!", schrie ich, so das meine Kehle brannte. "Ich kann das nicht!" Doch meine Hände machten nicht das was ich wollte. Ich spürte wie ich langsam abdrückte. "Nein, bitte!", schluchzte ich mehrmals. Dann ließ die Kontrolle endlich nach. Ich hielt sie ruckartig auf mich und schoss. Eine Art Vibration durchströmte erst meinen Kopf, dann meinen ganzen Körper. Es war als würde ich aus mir heraus klettern und irgendwo anders sein. Zum ersten Mal fühlte ich nichts. Unbeschwert. Einfach nur unbeschwert. Ich blinzelte. Drei Menschen kamen auf mich zu gerast. Doch ich konnte mich nicht mehr halten. Ich sackte in mich zusammen. Wenige Sekunden später war alles um mich herum schwarz und mein Körper verabschiedete sich von den Bewohnern.

Das Dorf des Schweigens Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt