Ich spürte wie kalte Hände an meinem Körper rüttelten. Sie ließen mich wenige Sekunden später aufschrecken. Völlig außer Atem musterte ich meine Umgebung und stellte fest, das ich von mehreren Sanitätern umgeben war. In ihren Gesichtern konnte man einen genervten Ausdruck erkennen. Nicht erleichtert, das einer der Bewohner oder Frischlinge doch noch lebte und nicht in irgendein traumatisches Koma gefallen war. Nein, sie waren definitiv genervt. "Na endlich.", flüsterte eine jüngere und zu gleich ziemlich faltige Frau. Die anderen beäugelten mich schweigend. "Wie geht es dir?" Sie nahm meinen Arm in ihre Hände und prüfte meinen Puls. Mein Blick schweifte um her. Ich lag auf der Lichtung, am Rande des Waldes. Die Bewohner saßen rechts am anderen Ende. Sie schienen gelangweilt. Auf irgendetwas zu warten. "Können sie in die dritte Phase?" Warteten die etwa auf mich oder was? Falten bildeten sich auf meiner Stirn. "Pulchram wie geht es dir?" Ich sah in die Augen des Meisters, die mich sorgenvoll ansahen. Mit einem Schlag, dachte ich wieder an die Simulation. Wobei war es überhaupt eine? Es hatte sich so unfassbar real angefühlt. Nicht wie eine Illusion. Nicht wie etwas, das nur in meinem Kopf existierte. "Was haben sie mit ihr gemacht?" Zum ersten Mal hörte ich Angst aus seiner Stimme heraus. Aber weshalb sollte dieser Mann Angst um mich haben? Weil es mir nicht gut ging? Wir kannten uns noch nicht einmal. "Wo ist Andre?" Mein erster Satz seit gefühlten fünf Stunden. Der Meister fing an erleichtert zu schmunzeln. "Wo ist Andre?", wiederholte ich und rappelte mich langsam auf. Er fuhr sich mit seiner weiß, gelben Hand über seinen runden Kopf. "In Sicherheit." Mein Herz setzte kurz aus. "Was bedeutet das? Geht es ihm nicht gut?" Schließlich stand ich auf und bemühte mich, mich mit meinen zitternden Beinen aufrecht zu halten. "Es ist alles okay. Jetzt geht es um dich! Wie geht es dir?" Ich schüttelte entschlossen mit dem Kopf. "Sie sagen mir auf der Stelle wo Andre ist? Hat er die Simulation nicht überstanden?" Der Meister streckte seine sehnigen Arme aus und wollte mich tröstend in eine Umarmung ziehen. Ich schlug sie ruckartig weg von mir und ging einen Schritt zurück. "Wo ist er?" Meine Stimme bebte hörbar und die Wut in ihr brach förmlich aus. "Er ist in Sicherheit, glaub mir." Nach einem kurzen Seufzer fuhr er fort: "Particeps ist nach der Simulation zusammen gebrochen. Er war nicht stark genug. Wir haben ihn auf eine Krankenstation gebracht." Die Sätze strömten durch meinen Körper. "Was habt ihr mit ihm gemacht?", sprach ich leise und begann zu schluchzen. Ich sackte in mich zusammen. Wenn Andre irgendetwas passiert war, dann würde ich das hier nicht mehr schaffen. Das alles haben wir zusammen durchgestanden. Er war der einzige dem ich vertrauen konnte. Ich liebte ihn. So sehr. "Pulchram, du musst jetzt zur dritten Phase. Danach kannst du ihn wiedersehen. Das verspreche ich dir!" Seine Stimme klang so kalt. So eisig das ich anfing zu frösteln. Ich wusste das ich diesem Mann nicht vertrauen konnte, aber brachte mir das etwas? Es gab keinen anderen Ausweg. Ich wollte und musste Andre wiedersehen. Mit wenig Kraft stieß ich mich von dem Boden ab. "Was muss ich tun?"
Ich sah fest entschlossen zu den vielen, beige farbenden Matten rüber, die nur wenige Meter vor uns lagen. Wir, die Frischlinge, waren in der letzten Phase. Und damit nur noch zwanzig Leute. Tatsächlich waren sehr viele der jungen Bewohner ausgeschieden, darunter auch Andre. Der Gedanke an meinem Freund versetzte mir jedes Mal einen tiefen Tritt in die Magengrube. Ich schnaufte tief aus. Es war der 'Kampf' dran. Für mich eine ziemlich beschissene Phase und Prüfung. Einen Menschen ohne auch nur irgendeinen sinnvollen Grund K.O. zu schlagen? Komplett bescheuert. Doch so wollte das Dorf es nun mal. Die Regeln waren einfach: Kämpf so lange, wie du kannst! Nun stand ich also da. Vollkommen aufgeregt und nervös. Meine Gedanken schossen immer wieder zu Andre, der möglicherweise halb tod auf dem Boden lag. "Pulchram?" Eine laute Stimme. Direkt vor mir. Ich hob meinen Kopf und blickte in strenge Augen. "Ja?", antwortete ich klein laut. Ohh bitte nicht! Bitte war ich nicht die aller erste die kämpfen musste. "Sie müssen antreten." Ich schluckte. Eine riesige Flut aus Verzweiflung kam auf mich zu. Während ich mit meinen, gefühlten 10 Kilogramm schweren Beinen zur Matte stapfte musterte ich meine Gegnerin. Sie war einen halben Kopf größer als ich und hatte schulterlange, pechschwarze Haare. Ihr Körper sah ziemlich athletisch und muskulös aus. Das krasse Gegenteil zu mir. Ich betrat mit meinen nackten Füßen die Kampfmatte und stellte mich hüftbreit hin. Wir schauten uns tief in die Augen. Vermutlich lachte sie sich innerlich schlapp und fragte sich warum ich überhaupt so weit gekommen war. Aber nein! Ich durfte mich jetzt bloß nicht schlecht machen. Ich würde das schaffen. "Alles ist erlaubt, bis der Gegner am Boden ist." Meine Gegnerin lächelte mich gefährlich an. Sie freute sich vermutlich schon auf ihren Sieg und meine Niederlage. Aber so einfach gab ich nicht auf. "Der Kampf beginnt in," der Soldat hob seine Hand in die Höhe und began laut runterzuzählen, "in drei, zwei, eins." Meine Gegnerin umkreiste mich mit entschlossenen Schritten. Ich versuchte irgendwie mitzuhalten und hob schützend meine Arme vor meiner Brust. Die Hände ballte ich zu zwei Fäusten. Wenigstens das konnte ich. Früher hatte ich immer aus Spaß mit meinem Vater geboxt. Er zeigte mir ein paar Schläge und Abwehrtechniken. Dies machte mich aber noch lange nicht zum Profi. Es war nur Spaß! Nichts als kleine alberne Kämpfe zwischen meinem Vater und mir. Sie kam auf mich zu und holte mit ihrem Arm weit aus. Ich stellte mich noch nicht einmal so ungeschickt an und wich dem Schlag aus. Ein kurzer Kick von meiner Seite. Ich traf sie in den Magen. Für einen kurzen Moment schien sie ziemlich überrascht, fing sich allerdings dann auch wieder ein. Noch ein Schlag von ihr, der sich in mein Unterleib hinein bohrte. Ein ekelhaftes Gefühl. Trotzdem hielt ich mich aufrecht. Ich wich noch einem ihrer Hiebe aus und trat ihr vor das Schienenbein. Es schien ihr echt weh zu tun, da sie ihr Gesicht schmerzhaft zusammen zog. Diesen Moment nutzte ich für einen weiteren Schlag aus. Dieses Mal an ihrer Brust. Sie stöhnte kurz auf. Ich war doch gar nicht so schlecht! Ein Jubeln dringte in mein Ohr durch. Doch es war mir egal. Ich vergaß alles um mich herum und konzentrierte mich ausschließlich auf den Kampf. Ich ging einen Schritt auf meine Gegnerin zu und zielte auf ihren Kopf. Doch sie wich schnell genug aus und trat mich leicht an die Hüfte. Plötzlich ein lauter Knall. Doch ich schaute ihr immer noch in die Augen und hob meine Faust hoch, um ihr noch einmal ins Gesicht zu schlagen. Während meiner Bewegung spürte ich, wie aus dem nichts, einen ziehenden Schmerz an meinem Bein. Ich schrie laut auf und tastete mit einer Hand nach meinem Oberschenlel. Irgendetwas steckte dort fest. Mit einem kräftigen Ruck zog ich es heraus. Dann noch mal ein Schmerz. Nun im Magen. Meine Gegenerin holte noch einmal aus, bis ich schließlich zu Boden fiel. Ich empfand einen dumpfen Stoß gegen meine Beine, bis meine Augen mir schließlich, zum zweiten Mal an diesem Tag zu fielen.
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Das Dorf des Schweigens
Mystery / ThrillerDie 18 jährige Emilia ist auf Klassenfahrt in einem kleinem Dorf. Aus Langeweile macht sie mit ihren Freunden eine Mutprobe. Sie und ein, bis vor ein paar Stunden noch, fremder Junge müssen in ein verlassenes Gebäude gehen. Dort finden sie Zeitungs...