Seine Lippe war aufgeplatzt und sein Auge leicht bläulich. Ich saß da. Einfach nur verzweifelt, mit dem verletzten Andre in meinem Arm und weinte. Wie konnte das alles nur passieren? Wie schafften es diese Menschen alles zu zerstören? Langsam öffnete er seine Augen. "Andre ist alles gut?" flüsterte ich krächzend, während er sich verwirrt umschaute. "Warum sind wir hier draußen?" Er sah ziemlich fertig aus. Kein Wunder, schließlich hatte der Mann ihm direkt ins Gesicht geschlagen und das mit so einer Wucht, das ich halb tot auf dem Boden läg. Doch er war tapfer. Vielleicht etwas zu tapfer. Er schüttelte sich und wollte aufstehen. "Warte." Doch dann fiel er auch schon auf das Gras. "Alles gut?" fragte ich besorgt und half ihm auf die Bank. Er rieb sich über sein Auge und schaute mich wieder an. "Klar." Dann lächelte er auch schon. Wie ich dieses Lächeln liebte. Wie ich diesen Mann liebte. Ich lehnte mich an seinen starken Schultern an und seufzte. "Ist denn bei dir auch alles gut, Emi?" sagte er leise. Ich schwieg. "Was ist wenn der Mann tot ist? Dann sind wir Schuld." Er schluckte und dachte kurz nach. "Wir hatten gegen die keine Chance."
"Haben wir überhaupt eine Chance, Andre?" Ich schaute in den etwas dunkelen Himmel und beobachtete einen Vogel, der gelassen hin und her flog. Ich spürte wie Andre seinen Arm um mich legte. "Wenn wir hier raus sind," er lächelte mich an, "dann sehen wir uns so oft wie es nur geht. Versprochen?" Langsam nickte ich. Wie schön es wäre, wenn ich meine Familie wiedersehen würde. Wenn ich meine Freunde in meine Arme schließen könnte. Wenn ich mit Andre, wie normale Jugendliche ins, Kino oder schwimmen gehen könnte. Doch wer wusste, wie lange wir hier feststecken würden. "Wollen wir zurück ins Haus gehen?" fragte er mich. Ich biss auf meine Lippe. "Meinst du die sind alle weg?" Er nickte zuversichtlich und stand langsam auf. Dann nahm er meine Hand und zog mich an sich. "Eigentlich bin ich an allem Schuld." sagte Andre leise, während wir zum Haus liefen. Ich stoppte und schaute ihn fragend an. "Ohne mich, wärt ihr niemals in den Bunker gegangen. Ohne mich, wären deine Freunde nie entführt worden. Ohne mich, wärst du nicht in dieser scheiß Situation hier." Ich legte vorsichtig meine Hand auf seine Schulter. "Ohne, das alles hier hätte ich den tollsten Jungen niemals kennen gelernt. Ohne das hier, hätte ich niemals mein altes Leben, meine Familie und meine Freunde wieder geschätzt. Ohne das alle hier, säß ich immer noch weinend in der Ecke und hätte über Tim,oder was weiß ich wen, nachgedacht."
"Tim?" sagte er ein wenig misstrauisch. Ich lachte und gab ihm einen sanften Kuss auf die Wange. Dann gingen wir weiter, bis wir schließlich an unserem Haus ankamen. Glücklicherweise, waren die Leute tatsächlich wieder verschwunden. Andre schloss vorsichtig die Tür auf und ging ins Haus hinein. Wir schauten uns um.
Die Stühle lagen auf dem Boden, die Wand zierte immer noch ein großes Loch und auch der Tisch war ramponiert. Als ich in das Wohnzimmer guckte, spürte ich wieder diese Angst. Ich hatte noch das Bild genau vor meinen Augen. Der Mann, der mit einer Schusswunde auf dem Boden lag. Die Menge die feierte. Alles schwirrte durch meinen Kopf. "Emi?" sagte Andre laut und ging in Richtung Garten. Ich lief ihm schnell hinterher. "Was ist das?" fragte ich mit ängstlicher Stimme. Wir gingen ganz langsam und leise raus. Ich hielte die Luft an und spürte wieder diese Übelkeit in meinem Bauch. Doch dieses Mal war es stärker. Ich konnte mich nicht zurückhalten und drehte mich schnell um. Ich übergab mich. Ganze zwei Mal. Als ich mich ein wenig beruhigt hatte, schaute ich noch einmal hin. Andre stand still da und schaute auf den Boden. "Ist er das?" schluchzte ich. Andre sagte nichts. Er schaute nur weiter auf den Boden. Nach einiger Zeit sprach er wieder. "Was sollen wir machen?" Er klang geschwächt. Ich atmete zitternd aus. "Ist er tot?" Allein diese drei Worte lösten bei mir die vielen Tränen aus. Wir starrten weiter auf die Hand, die aus einem Erdhaufen hervorschaute. Sie hatten ihm ein Grab gebaut. Wenn man das so überhaupt nennen konnte. Die Erde wurde unliebsam auf seinen Körper geschmissen. "Was wenn er nicht tot ist?" fragte ich ihn leise. Er ging langsam auf das 'Grab' zu und schaufelte die Erde bei Seite. Ich half ihm dabei und hatte große Angst. Doch was brachte mir diese Angst? Nichts. Rein gar nichts. In so einer Situation, dachte man nicht darüber nach, das einem gleich eine leblose Leiche entgegen kam oder die Hände schmutzig wurden. Wir wollten Gewissheit. Als der Körper des Mannes sichtbar wurde, stoppte ich. Andre machte langsam weiter und strich vorsichtig und mit zitternden Händen, Dreck aus dem Gesicht des Mannes weg. "Und?" sagte ich ängstlich. Wieder schossen mir Tränen in die Augen. Andre schluckte laut. "Er ist tot. Da ist noch ein Stich in seiner Brust." Ich schluchzte und hielt mir meine verdreckte Hand vor den Mund. Sie hatten ihn tatsächlich umgebracht. Ihren Bewohner. Ein Mitglied. Andre stand auf und umarmte mich. Ich spürte nasse Tränen auf meiner Schulter und drückte ihn fest an mich. Beim aus atmen zitterte ich so sehr, das ich mich fast nicht mehr halten konnte. "Lass uns schnell wieder ins Haus." flüsterte er leise. Ich nickte und warf noch einmal Erde auf den Körper der Leiche. So musste ich wenigsten diesen Anblick nicht mehr ertragen. Ich weiß. Es war egoistisch. Aber ich konnte nicht anders. Dann gingen wir wieder rein und liefen müde ins Schlafzimmer. Dieser Tag. Diese Erlebnisse. Sie hatten uns geprägt. Uns müde, aber auch stärker gemacht.
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Das Dorf des Schweigens
Mystery / ThrillerDie 18 jährige Emilia ist auf Klassenfahrt in einem kleinem Dorf. Aus Langeweile macht sie mit ihren Freunden eine Mutprobe. Sie und ein, bis vor ein paar Stunden noch, fremder Junge müssen in ein verlassenes Gebäude gehen. Dort finden sie Zeitungs...