~2~ E R W A C H E N

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Zoey (p.o.v)

Wieder wickelte ich mir die Bandagen. Heute war ich nervöser als sonst. Normalerweise war Luka bei mir und schenkte mir ein paar aufmunternde Worte oder Blicke, aber die Tatsache, dass mein Gegner heute vier Jahre älter und um einiges muskulöser als der Rest ist, versetzte mich dann doch in Panik.

Als ich dann in dem Ring stand, ließ die Spannung allmählig nach. Ich würde es schaffen. Der Mann vor mir war breitschultrig und hatte einen Bizeps so groß wie mein Oberschenkel, aber war alles andere als gelenkig.

Mit gehobenen Fäusten tänzelten wir umeinander herum.

Plötzlich machte er einen Schritt nach vorne, versuchte meinen Hals zu erwischen, doch ich duckte mich rechtzeitig, schlug seinen Arm weg und trat ihm gegen das Knie, sodass es gefährlich knackste.

Der Mann hielt sich auf den Beinen und hob seine Fäuste wieder. Dieses Mal war ich die jenige, die angriff. Mit einem Satz riss ich mein Bein hoch und traf den Kerl mit voller Wucht gegen die Brust. Er schwankte nach hinten, versuchte sich aber wieder zu fassen. Stöhnend holte er mit dem Arm aus, doch er war zu langsam. Ich unschloss sein Handgelenk, drehte es nach außen und zwang ihn auf die Knie.

Ich hätte den Kampf gewonnen.

Doch dann beging ich den entscheidenen Fehler.

Als mein Gegner schwer atmend und auf den Knien vor mir hockte, hätte ich ihn nur noch zu Boden stürzen müssen.

Doch irgendwas anderes hatte meine Aufmerksamkeit erregt. Gebannt starrte ich auf die beinah farblosen Augen, die aus der Publikumsmenge herausstachen.

Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Irgendwas lösten diese Augen in mir aus, was mir das Gefühl gab, ich müsse mich gar nicht mehr bewegen. Jetzt wo ich das Tor zu der endlosen Seelenlandschaft der Person vor mir hatte, schien alles andere so unreal. Wieso sollte ich mich verteidigen? Diese Augen gaben mir den Schutz, den ich brauchte.

Dabei realisierte ich gar nicht, wie der Griff um das Handgelenk meines Opfers sich immer mehr lockerte.

Nur an Rande bekam ich mit, wie der beinah zwei Meter große Mann sich aufstemmte und rasend vor Wut auf mich losging.

Ich hätte mich von diesen kristallklaren Augen abwenden sollen, doch ich konnte nicht. Ich würde es niemals können. Sie sind unglaublich hübsch.

Der erste Schlag traf mich am Kinn, der Zweite im Bauch und der Dritte genau auf der Kehle. Ohne Reue schlug der Mann auf mich ein, zwang mich zu Boden und nahm mir Stück für Stück die Atemluft, ich japste aus auf und tastete panisch meinen Hals ab.

Plötzlich hörte ich ein Knacken, zwei Knacken, drei. Dann Schmerz. Sauerstoffmangel. War der Kampf nicht schon vorbei?

Schwarze Punkte tanzten vor meinem Sichtfeld, während sich meine Rippen in meine Lunge bohrten.

Vielleicht würde ich wirklich heute sterben. Wegen eines Kampfes.

Wegen diesen verdammten Augen, die mich abgelenkt haben.

»✎«

Ich fühlte mich taub. Von überall drangen Stimmen in meine Ohren, doch ich wollte sie nicht hören. Schlaf war das einzige, was meinen Geist benebelte. Ruhe. Mein Körper fühlte sich schwach und zerbrechlich an. Meinen gesamten Oberkörper spürte ich schon gar nicht mehr.

Die Stimmen wurden deutlicher. Ein gleichmäßiges Piepen übertönte sie immer. Es war ein Mann der sprach. Ich kannte diese Stimme.

Soulmate [Werwolf]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt