》dreißig《

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Wir fuhren schon knappe zwei Stunden, als Thomas aufgebracht rief, dass Lawrence sofort anhalten sollte.

"Warum? Das verzögert doch nur unseren Zeitplan!", warf Mary, die Frau, dazwischen.

"Halt sofort an!", brüllte Thomas jetzt. Ohne ein weiteres Widerwort trat der Mann auf die Bremse.

Als wir standen sah ich meinen Bruder erstaunt an: "Thomas, was ist los?"
"Bleib im Auto.", befahl er mir und machte sich daran, die Tür zu öffnen.

Ich wollte wissen, was Thomas so wichtig war, dass er den ganzen Plan durcheinanderschmiss. Misstrauisch und doch neugierig rückte ich Thomas auf die Pelle.

Nachdem er das bemerkt hatte, drehte er sich wieder zu mir: "Bitte bleib im Auto, Lil." Er flehte mich an. Erstaunt nickte ich leicht.

Bevor Thomas mit Schwung die Tür aufriss gab er mir einen zarten Kuss auf die Wange: "Danke."

Schon war er verschwunden und die Schiebetür wieder geschlossen. "Was hat er?", fragte Lawrence mehr zu sich selbst und sah aus dem Fenster: "Da draußen ist nur ein Crank, sonst nichts."

"Ein Crank?", fragte ich alamiert. Mary sah an Lawrence vorbei zu Thomas: "Ja, ein Junge. Dunkelblonde Haare."

Geschockt lehnte ich mich auf meinem Sitz zurück. Das musste Newt sein. Eine andere Erklärung fand ich nicht.

Meine Atmung verschnellerte sich und ich konnte das Adrinalin spüren, wie es sich in meinem Körper ausbreitete.

Was sollte ich tun?

"Ich hatte nur diese eine Bitte, Tommy!", hörte ich seine gedämpfte Stimme von draußen. Bei mir brannten alle Sicherungen auf einmal durch.

Wie unter Strom sprang ich auf, riss die Tür auf und rannte nach draußen. Schon nach wenigen Schritten erreichte ich meinen Bruder, der mich entsetzt ansah.

Da stand er. Dicke, lilane Adern zogen sich unter seiner Haut entlang, seine Haare waren zerwuschelt und teilweise ausgerissen. Seine Klamotten waren nurnoch Fetzen und er war Bleich wie ein Geist.

"Lilly.", flüsterte er. Newt musterte meinen ganzen Körper, als wolle er sich versichern, dass ich es auch wirklich war.

Ich ging automatisch einen Schritt näher an ihn heran, doch er wich zurück: "Nicht. Ich will dir nicht wehtun."

"Du würdest mir nie etwas tun.", sagte ich mehr zu mir selbst. "Das habe ich schon.", flüsterte er.

Newt hatte Recht, das hatte er schon. Ich musste schlucken um die Tränen zu unterdrücken. "Was? Lil, was hat er dir angetan?", meltete sich jetzt ein aufgebrachter Thomas zu Wort.

"Das hat er nicht wirklich. Er war nicht er selbst.", erklärte ich mit bebender Stimme. "Wann?", mein Bruder war stinksauer. "Bei seinem ersten Brand-Aussetzer.", gab ich heiser zu.

Thomas schnaubte und wollte auf Newt zugehen, doch ich stellte mich ihm in den Weg: "Thomas, er war nicht er! Newt würde mich niemals verletzen! Er ist dein bester Freund, hat Den Brand und du willst dich wegen Nichts mit ihm prügeln?!"

Noch bevor ich etwas machen konnte, schob Thomas sich zwischen mich und Newt. Schon lag ich einen Meter weiter am Transporter auf dem Boden, als ich realisierte, was gerade passiert war.

Mein Freund schien nicht er selbst zu sein. Er hatte Thomas auf den Boden gerungen und kniete jetzt über ihm.

"Ich hasse dich Thomas, ich hasse dich! Ich habe dich auf der Lichtung aufgenommen, dir mehr als einmal den Rücken gedeckt, während alle anderen misstrauisch dir gegenüber waren und was machst du? Du kannst mir nichtmal eine verdammte Bitte erfüllen!", kreischte er und versuchte an Thomas' Hals zu gelangen.

"Ich kann nicht, Newt!", keuchte Thomas angestrengt und versuchte Newt abzuwehren.

"Was kannst du nicht? Was für eine Bitte?!", rief ich jetzt dazwischen. Die beiden erstarrten und in Newts Augen veränderte sich etwas. Der Wahnsinn verschwand.

"Lil, ich liebe dich.", Newts Worte trafen mich wie ein Schlag in die Magengrube. Keine zwei Sekunden später verdunkelten sich seine Augen wieder und er starrte auf Thomas hinab.

"Du kannst es nicht?! Habe ich dir schonmal erzählt, warum ich hinke? Nein? Ich habe mich von einer der Mauern im Labyrinth gestürzt, Thomas! Ich wollte mich umbringen! Bis Lilly aus der Box kam, habe ich diese verfluchte Lichtung gehasst! Und du sagst, du kannst das nicht?!", schrie Newt wütend.

Er versuchte wieder Thomas zu würgen. "Töte mich, Thomas! Sonst töte ich dich!", zischte mein Freund.

Ich hatte die Luft angehalten. Newts Bitte an Thomas war, dass er ihn töten sollte?! Mir liefen keine Tränen die Wangen hinunter. Dafür war ich viel zu entsetzt.

"Ich kann das nicht machen, Newt.", selbst Thomas' Stimme zitterte. Plötzlich griff Newt an Thomas Bein und zog die Pistole hervor. Instinktiv trat ich einen Schritt zurück. Das war alles so absurd, dass mein Kopf nicht wusste, ob das alles ein schrecklicher Traum, oder die Realität war.

"Hört endlich auf! Bitte!", flehte ich hysterisch. Meine Hände hatte ich zitternd an meinen dröhnenden Kopf gepresst.

Newt hatte Thomas' Finger um den Griff und den Abzug der Waffe gelegt. Bei meinen Worten erstarrten die beiden aber.

Newts Blick wanderte auf mich und klärte sich. In seinen Augen hatten sich Tränen gebildet und er zitterte am ganzen Körper.

Er sah mir so tief in die Augen, das er mich schon längst hätte durchbohren müssen. Er entschuldigte sich stumm bei mir.

In dem Moment, wo ich es verstand, rannte ich los. Doch es war zu spät. Newt sah wieder zu Thomas und flüsterte ein leises: "Bitte Tommy, bitte."

Ich sah, wie Thomas die Augen zusammenpresste und eine Träne aus seinem Augenwinkel lief.

Ein weit hallender Schuss war zu hören. Wie in Zeitlupe blieb ich schlitternd stehen und sah, wie der leblose Körper meines Freundes von Thomas kippte.

Meine Brust schmerzte augenblicklich, als würde man ein Messer hineinrammen.

Ich sackte auf die Kniee und legte meine Hände auf meinen offenen Mund, der eigentlich schreien wollte, aber keinen Ton herausbrachte.

Dann, endlich, kamen die Tränen.

Newt war tot - er war weg. Für immer. Nie wieder würde er mich berühren oder ansehen ...

Ich fühlte mich einsam und hoffnungslos - als wäre meine Zukunft gerade mit ihm gestorben.

Eine Hand legte sich auf meine Schulter, was mich zusammenschrecken, aber nicht aufsehen ließ.

"Komm Lilian, wir müssen weiter.", es war Marys Stimme. Zitternd nahm ich meine Hände von den Augen.

Mein Blick fiel sofort auf meinen Bruder, der immernoch, blutbespritzt auf dem Rücken lag. Er hatte seine Augen geschlossen und atmete stoßweise.

Vermutlich machte er sich schreckliche Vorwürfe. Aber ich machte ihm keine - es war Newts letzter Wunsch gewesen.

Er hatte es einmal selbst zu mir gesagt. Newt hatte nicht gewollt, dass ich mit ansehen musste, wie er langsam den Verstand verlor.

Doch jetzt war es an mir, mein Versprechen zu halten. Mein Freund hatte bis zum Schluss gekämpft, jetzt musste ich es tun.

Für Newt.

Worst Zone [Newt FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt