Kapitel 9

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"Wohin gehen wir denn?", fragte ich eine der Zwillinge neugierig und leicht sauer, weil man mich gezwungen hatte mitzugehen. Für mich war das ein ganz klarer Fall von Freiheitsberaubung. "Zu Alex. Er ist gerade erst erwacht.", sagte einer der beiden und lächelte mir aufmunternd zu. "Wer ist Alex?" "Alex ist ein Gezeichneter, so wie wir, aber er muss noch viel lernen und deshalb holen wir ihn jetzt ab und bringen ihn in die verborgene Stadt.", sagte der andere Bruder. "Da ist er sicher." "Sicher vor wem?", fragte ich. "Na, vor den Jägern." "Naja, im Moment sind sie, glaube ich, eher mit Nummer dreizehn beschäftigt.", sagte ich ganz beiläufig und schaute nach hinten, wo Swist immer noch von den beiden Mädchen mit den Drähten festgehalten wurde. Egal wie sehr ich auch dagegen protestieret hatte, Luc hatte nicht zugelassen, dass Swist ohne Leine gehen durfte. "Er ist ein Höllenhund!", hatte er lautstark ausgerufen. "Da verlässt man sich nicht auf 'Bei Fuß' und 'Sitz'."  Und leider hatte Swist Luc's Art, ihn wie einen Hund zu behandeln, natürlich überhaupt nicht gefallen. Also hatte er im Gegenzug aus Rache Luc als einen kleinen Feigling bezeichnet, dem er locker die Kehle hätte durchbeißen können, wenn er sich nicht feige hinter seinen Freunden versteckt hätte.
Und so kam es dann dazu, dass Luc angeordnet hatte, Swist wie einen Schwerverbrecher zu behandeln.
Ich hatte das Gefühl, die beiden würden nicht so schnell miteinander warm werden.

"Nummer dreizehn ist ein Spukgespenst.", sagte wieder einer der beiden Brüder. "Wieso? Was stimmt denn mit Nummer dreizehn nicht?", fragte ich nun sehr interessiert. "Naja, wie dir sicher aufgefallen sein sollte, geben wir uns selber keine Nummern, nur die Jäger tun das, wenn sie jemanden nicht identifizieren können." "Also wissen sie überhaupt nicht, wie er oder sie heißt?", fragte ich. "Genau." "Aber woher wissen sie dann, das es überhaupt einen Gezeichneten gibt?" "Naja, ganz einfach. Genau so wie wir es auch wissen. Sie spüren die übernatürliche Energie auf, die von uns bei der Verwandlung ausgeht.", sagt einer der beiden. "Wie, 'spüren'? Ich dachte, die Jäger seien keine solche Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten." Jetzt war ich wahrhaftig verwirrt.
"Das ist korrekt. Sie wurden nicht damit geboren, aber sie haben das Gen, werden sich aber nie verwandeln. Sie trinken einfach das Blut der Gezeichneten, die sie gefangen und dann getötet haben. Es ist nicht viel Blut, immer nur ein bisschen. Aber dieses bisschen reicht aus, um sie uns spüren zu lassen."
Angewidert verzog ich das Gesicht. Blut trinken. Wie widerlich.

"Hey ihr zwei dahinten! Erzählt ihr doch nicht alles! Sie ist keine von uns!", brüllte Luc den beiden Brüdern zu. "Außerdem sind wir da!" Die kleine Gruppe bleib vor einem schönen, kleinen Haus stehen und klingelte. Kaum hatten wir ein paar Sekunden gewartet, öffnete sich auch schon die Tür und eine schöne zierliche blonde Frau im Alter von ungefähr vierzig Jahren trat heraus. "Was kann ich für euch tun?", fragte sie mit großen Augen, als sie die Gruppe erblickte. "Alice. Bitte.", sagte Luc und deutete mit dem Finger auf die Frau. Alice trat aus der Gruppe hervor und hopste mit spielerischer Leichtigkeit der Frau entgegen. Unter normalen Umständen hätte ich sie sicher als kindlich empfunden, aber bei Alice sah es so einfach und dynamisch aus, dass es schon wieder graziös und interessant war, es einfach zu ihrem Charakter gehörte.
Kaum war Alice vor der blonden Frau stehen geblieben, griff sie mit ihren Händen nach dem Kopf der Frau und schloss die Augen. Sofort verlor die Blondine ihre Körperspannung und fiel in sich zusammen, ebenfalls die Augen geschlossen, als würde sie schlafen.
"Was habt ihr mit ihr gemacht?", fragte ich entsetzt, mit besorgten Blick auf die am Boden liegende Dame. "Sie schläft nur tief und fest.", sagte Alice und lächelte mir aufmunternd zu. "Und ich habe ihr einen schönen Traum geschenkt." Was zur Hölle redete sie da? Die Frau war einfach umgefallen! "Ja, nachdem du sie zum Schlafen gezwungen hast.", erwiderte ich. "Aber sie wird aufwachen, sobald wir das Haus wieder verlassen. Sie schläft ja nicht für immer.", rechtfertigte sie sich. "Kommt! Wir haben keine Zeit für so etwas.", sagte Luc leicht verärgert und betrat das Haus.

ROT - Die Farbe meiner Tränen,  LeseprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt