Silvester Special Claire

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Claire

Das Keuchen ihrer Stimme hallte immer noch nach und auch die Angst saß ihr noch fest in den Knochen. Ein eisiger Hauch verwandelte ihren Atem in kleine, sichtbare Wölkchen, die in der Luft zirkulierten. Die roten Tropfen, die sich in dem weißen Schnee abzeichneten, verfolgten sie wie der kalte Wind, der sich in ihren Haaren verfangen hatte. Eine rote Spur. Wie Brotkrumen, die auf sie verwiesen. Nur widerwillig blickte sie auf ihre in rot getränkten Hände. Egal wo sie hinsah, rot! Rot, das einen unangenehmen Nachhall in ihr auslöste. Rot, das tot bedeutete. Ein Rot so alles aufzehrend und verschlingend, dass es ihr eiskalt den Rücken hinunterlief.

Sie war mit ihrer Schwester Sydney in der Londoner Citybank gewesen, als dieses Rot ihr Leben befehligte, es veränderte.

Sicher hatte sie schon vorher diese sonderbaren Muster an ihrem rechten Fuß bemerkt, sich allerdings nicht allzu viel dabei gedacht. Irgendwann, wenn sie es ausreichend lange beobachtet hatte (das hatte sie sich fest vorgenommen gehabt) wollte sie es ihren Eltern zu zeigen. Allerdings war ihr das nun nach den letzten Stunden nicht mehr möglich.
Polizeisirenen heulten auf und Claire duckte sich in dem Schatten einer Reihenhaushälfte, bis sie sich mit ihrer verschwitzten Jeans in den dreckigen Schnee setzte. Die roten Hände versteckte sie dabei hinter ihrem Rücken.

Sie hatte einen Menschen ermordet!

Deshalb waren sie alle hinter ihr her. Sie war eine Mörderin! Dabei war es unwichtig, ob die Person, dessen Leben sie genommen hatte, Abschaum gewesen war. Sie hatte getötet.

Noch lebhaft erinnerte sie sich an die Szene, die sich vor wenigen Stunden in der Bank ereignet hatte. Fünf schwarz gekleidete Personen waren in die Bank gestürmt, Schusswaffen in ihren Händen tragend. Sydney hatte wie einige andere in der Schlange zum Schalter gestanden und wollte einen Kredit aufnehmen, um einen Wagen zu finanzieren, den sie seit einigen Wochen im Auge hatte. Die in schwarz gekleideten Personen brüllten wild Anweisungen, in denen es hieß, dass sich alle auf den Boden zu legen hatten. Mit dem Gesicht nach unten haltend, jedoch noch sitzend, verfolgte Claire das Ganze von den Sitzbänken in der hinteren rechten Ecke aus. Die Bankräuber standen mit dem Rücken zu ihr, hatten den Blick noch nicht auf sie gerichtet. Die Stimmen der Bankräuber waren kratzig und zugleich unangenehm schrill, sodass ihr die Ohren klirrten. Ihre Schwester warf sich sofort auf den Boden, während sie selbst noch unschlüssig die Angestellten und Passanten in der Bank beäugte.

Die Bande teilte sich in zwei Gruppen auf. Die einen bedrohten die Bankangestellten und forderten alles Geld, während die drei anderen die restlichen Menschen bewachten und sie auf den Boden drückten. Auch Claire wurde nun zu Boden gerissen, konnte dabei allerdings noch sehen, wie ein Angestellter mit der rechten Hand unterhalb der Theke nervös nach etwas zu tasten schien. Dies bekam auch der Kerl mit, der sie zu Boden gedrückt hatte und fuchtelte unkontrolliert mit seiner Pistole in der Luft herum. Claire zuckte zusammen, als sich ein Schuss löste und den armen Mann hinter dem Schalter in den Kopf traf. Nur mit einem Auge konnte sie verfolgen, wie der Mann im Anzug in sich zusammen sackte und leblos zu Boden glitt, während aus seiner Stirn Blut floss.

Unruhe machte sich daraufhin unter den Geiseln in der Bank breit, einige weinten erbittert oder wimmerten leise vor sich hin und auch die Räuber warfen sich gehetzte blicke zu. Anscheinend war ein Toter nicht geplant gewesen. Dennoch räumten sie weiterhin grüne Scheine in Sporttaschen und brüllten Anweisungen. Der Kerl, der geschossen hatte, drohte noch mehr Menschen zu erschießen, sollte sich noch jemand von den Geiseln regen.

Sydney hatte dieses Ereignis dermaßen mitgenommen, das sie einen Anfall bekommen hatte. Erschrocken stellte Claire fest, dass ihre Schwester auf dem Boden verzweifelt nach Luft rang und sich mit den Händen an die Kehle fasste. Sie war Asthmatikerin und brauchte jetzt dringend ihr Asthmaspray. Die Aufregung hatte bei ihr einen Anfall ausgelöst. Die Tasche, in der sich ihr Spray befand, lag jedoch einige Zentimeter von ihrem zuckenden Körper entfernt. Einer der Bankräuber wurde darauf aufmerksam und schrie sie an, sie solle damit aufhören. Aber wie sollte man als Asthmatiker damit aufhören einen Anfall zu haben? Claire wurde immer nervöser. "Sie braucht ihr Spray", rief sie, aus Angst, dass der Typ in Schwarz nicht wusste, was ein Asthmaanfall war.

ROT - Die Farbe meiner Tränen,  LeseprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt