Kapitel 33

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Ich schreckte aus meinem Schlaf auf und spürte, wie sich mein Puls beschleunigt hatte. Meine Haare klebten mir an der Haut und kalter Schweiß tropfte mir von der Stirn. Ich hatte einen verrückten Alptraum gehabt, in dem ich mich in eine Maus verwandelt hatte und von einer mordsüchtigen Katze gejagt wurde und dessen scharfen Krallen ich nur haarscharf entflohen war.

Ich ließ mich aus meiner senkrechten Position in die waagerechten fallen, in freudiger Erwartung eines weichen flauschigen Kopfkissens und einer Matratze, die mir das Gefühl geben würde auf einer Wolke zu liegen. Doch anstatt eines gemütlichen Bettes erwartete mich ein harter Schlag auf den Boden. Augenblicklich war ich hellwach und erforschte meine Umgebung mit zusammengekniffenen Augen, doch egal, was ich tat, es wollte mir nicht gelingen, mehr als schwammige Umrisse wahrnehmen zu können. Hinzu kam, dass es unangenehm nach Dachboden roch und die Staubpartikel, die in der Luft schwebten, kitzelten mir in der Nase. Ich wollte mir die Hand vor Nase und Mund halten, um einen lauten Nieser zu verhindern, doch als meine Hände meinen Mund berührten, wurde mir klar, das mein Alptraum gar kein Traum gewesen war, sondern bittere Realität.

Meine Hände waren die Vorderläufe von einer Maus und mein Gesicht schmückte eine längliche Schnauze mit Tasthaaren. Ich war immer noch ein Nagetier und befand mich unter dem Beichtstuhl einer Protestantischen Kirche, dessen Pfarrer dubiose Geschäfte mit beängstigenden Männern pflegte. Die besten Grundlagen für einen entspannten Start in den Morgen. Durch den Aufprall brummte mir der Schädel, und mein langer Mäuseschwanz hatte sich umständlich um meinen Körper gewickelt. Ich hatte mich selbst im Schlaf gefangen genommen.

Warum war ich noch mal hier? Ach ja, die Buchseiten. In dem Körper einer Maus schleppte ich mich durch den Staub, der sich über den steinigen Boden gelegt hatte und linste unter dem Beichtstuhl hervor. Meine Ohren hatten sich aufgestellt und meine Nase reckte sich in die Luft, wobei sie ständig zuckte und hin und her schwankte. Ich hörte kein "Miau" und auch meine Nase konnte keinen verräterischen Geruch wahrnehmen. Das Einzige, das ich roch, war der Duft eines süßen Weines und zerfließendes Wachs. Mit neuem Mut im Bauch trat ich aus dem Schatten des Beichtstuhls empor und schlitterte in Richtung Altar.

Bei meinem ersten Versuch, die Buchseiten zu lokalisieren, hatte ich hinter dem Altar einen Spalt entdeckt, dessen Größe mich auf einen geheimen Raum hatte schließen lassen. Wenn ich Reliquien verstecken wollen würde, wäre dies der perfekte Ort dafür. Doch kaum stand ich vor dem Altar, war dieser, im Gegensatz zum letzten Mal, plötzlich sorgfältig an die Wand gerückt, sodass der Raum, der sich dort hinter erstreckte, verschlossen war. Wäre ich jetzt ein Mensch, so hätte ich den Altar einfach zur Seite geschoben und wäre hineingerutscht. So aber konnte ich nichts weiter tun als böse vor mich hinzustarren. Es musste irgendjemanden dort oben im Himmel geben, der mich als seine persönliche Comedyshow betrachtete. Sicher lachte er sich gerade die Seele aus dem Leib. Wutentbrannt schlug ich mit meinen Vorderläufen gegen den kleinen, beinahe mikroskopisch kleinen Spalt, der noch ein letztes Zeichen dessen war, was sich hinter ihm verbarg.

Augenblicklich spürte ich das unangenehme Kribbeln meiner Finger und das Schwerwerden meiner Glieder. Es dauerte nicht lange, bis der Kopfschmerz einsetzte und ich spürte, wie ich aus dem kleinen, flauschigen Körper gerissen wurde. Meine Umgebung verwandelte sich in ein schwarzes Loch, welches mich verschlang.

***

Claris

"Das ist nicht euer Ernst?!" Die Kälte in ihrer Stimme ließ selbst das Feuer im Kamin erlöschen. Mit zittrigen Knien standen die Späher da und ihre ängstlichen Augen fixierten die Tiere an ihrer Seite. Wie es schien wussten sie, was mit ihren Vorgängern geschehen war. Die roten, verführerischen Lippen verzogen sich zu einer widerwärtigen Grimasse und entstellten ihr engelsgleiches Gesicht. An dieser Frau war nichts himmlisches, wenn man ihre zierliche Gestalt mal außen vor ließ. Ihr hübsches Gesicht wurde durch harte Züge wie von einer Maske bedeckt. Wunderschöne blonde Wellen schmiegten sich um ihre Schultern, und anstelle eines eng anliegenden schwarzen Kleides, wie beim letzten Mal, steckten ihre schlanken Beine in einer schwarzen Hose. Die mörderischen Pumps trug sie allerdings immer noch erhobenen Hauptes und präsentierte sie in ihrer sitzenden Gestalt.

ROT - Die Farbe meiner Tränen,  LeseprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt