Kapitel 7

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Claris

"Wie bitte?", die Schärfe in ihrer Stimme durchschnitt die Luft wie messerscharfe Rasierklingen. "Ihr habt sie verloren?" Eine unglaubliche Boshaftigkeit verlieh ihrem sonst so schönen Anblick einen beinahe dämonischen Beigeschmack. Ihre blonden Haare hatte sie zu einem strengen Knoten gebunden und in ihrem Blick lag nichts mehr, das sie als die Praktikantin Miss Mayer hätte enttarnen können. Es war wie eine Maske, die sie abgelegt hatte. Eine Persönlichkeit, die es nicht mehr gab und nie gegeben hatte. "Es tut uns schrecklich leid, MyLady.", die Stimmen der beiden Männer bebten vor knochendurchdringender Angst. Ihre Gesichter waren mit Schweißperlen bedeckt und dunkele Schatten lagen unter ihren Augen. Sie sahen müde und überarbeitet aus.

"So, so. Es tut euch also leid.", wiederholte Claris das bereits Gesagte. "Es tut euch leid, das ihr einen wichtigen Dämon, eine Hexe habt entkommen lassen? Es tut euch leid, das ihr mir nicht sagen könnt, wo sich eben dieses Kind der Dunkelheit versteckt hält? Es tut euch leid, das ihr unfähiger, dreckiger Abschaum seid?", fragte sie erneut und blicke die Männer mit gebieterischem, erniedrigenden Blick an. Den zwei Männern gefror das Blut in den Adern. Stocksteif standen sie da, unfähig, etwas zu erwidern. "Wir wissen vielleicht nicht, wo sie sich versteckt hält, aber wir wissen, wo wir sie gesichtet haben.", traute sich einer der Männer zu sagen, ehe er wieder bestürzt auf den Boden schaute, um ihr nicht in die Augen sehen zu müssen.

"Ist dem so?", spottete Claris kalt und wartete auf eine Antwort. "Ja MyLady, wir können euch versichern, dass sie sich in London aufhält. Im südlichen Teil von Hackney." "Und was hindert euch daran, sie zu schnappen?" Eine gewisse Neugierde blitzte in ihren Augen auf.  "Naja. Sie ist unglaublich schnell zu Fuß. Wir haben sie verfolgt, aber sie war einfach zu schnell. Und dann ist sie über so einen hohen Zaun gesprungen, als wäre...." "Genug!", abrupt hörte der Späher auf zu sprechen. "Es scheint mir doch recht rätselhaft, wie zwei ausgewachsene und trainierte Männer nicht dazu in der Lage sein sollen, ein kleines, zierliches, sechzehnjähriges Mädchen zu ergreifen. Mir scheint, meine Herren, euch fehlt es einfach an Motivation. Ihr gebt nicht alles für unsere Sache. Aber ich denke, ich weiß, wie ich euch hierbei unter die Arme greifen kann." Ein boshaftes Lächeln umspielte ihre roten Lippen.

"Gabriel! Raphael!", sagte sie scharf und die beiden Rottweiler, die zu ihren Füßen gelegen hatten, erhoben sich nun mit einem kehligen Knurren und gefletschten Zähnen. "Ihr wisst, was zu tun ist.", sagte MyLady und sofort liefen die beiden Hunde bedrohlich knurrend auf die Männer zu. Mit ihren hohen Schuhen und dem eng anliegendem Etuikleid stöckelte Claris derweil bedächtig auf ihren Stuhl zu und setzte sich anmutig. Dabei schaute sie auf die beiden Männer, die sich bereits in Bewegung gesetzt hatten. "Beweist mir, dass ihr an eurem Können und nicht etwa an eurer Motivation gescheitert seid." Ihre Worte klangen wie flüssiger, süßer Honig und sie lächelte die jungen Späher warmherzig an.

Die zwei Hunde, ironischerweise die Namensträger zweier Erzengel, setzten zum Sprung an und erwischten einen der beiden Männer an der Schulter, woraufhin dieser aufschrie. Rotes Blut floss über den mit Marmor befließten Boden, bis hin zu ihren hochhackigen schwarzen Schuhen. Der zweite Mann rannte los, in der Hoffnung, nicht dasselbe Schicksal zu erleiden wie sein Gefährte, doch vergebens. Die Schreie der beiden Männer hallten an den Wänden wider und Claris drehte gelangweilt ihr Weinglas in der Hand umher. "Nic!", rief sie, doch es kam keine Antwort.

"Nicklas!", rief sie erneut. "Was gibt es denn?", fragte Nic entnervt, störte sich jedoch nicht an den Leichen der beiden Späher. Seine Gestalt war ebenfalls nicht mit der des Jungen aus der Schule zu vergleichen. Seine Gesichtszüge wirkten kühler, seine körperliche Präsenz erdrückender. Er trug eine eng anliegende schwarze Jeans und ein löchriges graues T-Shirt, das seinen muskelbepackten Körper perfekt in Szene setzte, und seine Füße steckten in schwarzen, schweren Kampfstiefeln. Seine blonden, wirren Haare bildeten einen perfekten Kontrast zu seiner dunklen Kleidung.

ROT - Die Farbe meiner Tränen,  LeseprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt