Kapitel 8

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Die neonfarbenden Leuchtplakate, die an meinem Fenster vorbeisausten und auch das Klappern des Busses rissen mich aus meinen kurzen Schlaf. Draußen regnete es und ich konnte nicht wirklich sagen, in welchem Teil der Stadt wir uns mittlerweile befanden, oder ob wir sie schon verlassen hatten und nun durch eine neue hindurchfuhren. Swist, der neben mir lag, schaute ebenfalls aus dem fahrenden Bus. Wir wussten nicht genau wohin wir fuhren, nur, dass wir aus der Stadt heraus gemusst hatten. Wir waren einfach in den erstbesten Bus gestiegen und Swist hatte mich mit Hilfe seiner magischen Tarnung ebenfalls vor den Menschen versteckt, so wie er es sonst mit sich selbst tat, um von den Menschen nicht als laufende Leiche gesehen zu werden, wenn er keine Lust hatte, seine Tarnung als Haustier aufrecht zu halten. Es war ein komisches Gefühl, nicht gesehen zu werden. Ich musste mich ständig fragen, was passieren würde, wenn sich jemand auf uns setzten würde, in der Annahme, die Plätze seien frei. Aber dies geschah nicht. "Swist. Denkst du, wir können an der nächsten Haltestelle auf gut Glück einfach mal aussteigen?", fragte ich, weil mir das Risiko, ein dicker unförmiger Mann könnte sich auf mich setzten, einfach zu groß war. "Ja, warum nicht.", stimmte er mir zu und ich drückte die rot unterlegte Stop-Taste.
Als der Bus an der Haltestelle stehen blieb, stiegen wir aus. Die Haltestelle war komplett verlassen und auch die sonstige Umgebung war wie ausgestorben. Aber was hatte ich erwartet? Es war mitten in der Nacht, wer lief da schon draußen in der Gegend umher? Unschlüssig, wohin ich gehen sollte, entschied ich mich einfach 'frei der Nase nach' zu laufen. Was spielte es auch für eine Rolle, wohin wir gingen? Wir konnten uns sowieso keine Unterkunft leisten und würden draußen im Regen übernachten müssen. Also lief ich los, die nassen Haare im Gesicht klebend und die Jeans wie eine zweite haut tragend, gefolgt von Swist, der hinter mir her trottete. Jetzt wusste ich zumindest, wie sich ein Obdachloser fühlen musste. Es war einfach nur doof, bei schlechten Wetter draußen keine Möglichkeit zum Übernachten zu finden. Die Füße schmerzen einem von dem ständigen Laufen, die Umgebung war einem unheimlich und die Ungewissheit, was als nächstes kommen würde, mochte Adrenalin-Junkies vielleicht einen Kick verschaffen, aber ich fand es einfach nur gruselig und ungemütlich.

"Lass uns in dem verlassenem Gebäude dort unterkommen." Ich zeigte mit dem Finger auf eine fast komplett zerfallene Villa, die ihre besten Jahre schon lange hinter sich gelassen hatte. Aber alles war besser als in diesem Regen draußen am Straßenrand sitzend zu erfrieren und wenn ich für ein bisschen Schlaf im Trockenen in ein Geisterhaus gehen musste, na schön. Dann ging ich eben in ein Geisterhaus. Swist nickte mit den Kopf und lief hinter mir her, auf das modrige Eingangstor zu. Quietschend schwang die Tür auf, als ich ihr einen festen Schubs gab und ließ einen Blick in ihr Inneres zu. Die Eingangshalle hatte sich bereits in ihre Einzelheiten aufgelöst und nur hier und da ein klein wenig von den schönen Böden übrig gelassen. Die Wände waren mit Moos und Flechten bedeckt und die zwei Treppen, die wie ein Großes O geschwungen waren und unten fast zusammenliefen, traute ich keinen Zentimeter über den Weg, ohne das ich in ihnen einbrechen und mit einem harten Schlag Bekanntschaft mit dem Boden machen würde. Die Decke war bis auf ein oder zwei undichte Stellen eigentlich noch in Ordnung, aber im Großen und Ganzen war das Gebäude mehr als abrissfähig. Als Swist hinter mir die Halle betrat, schloss ich die Tür und suchte mir einen Platz auf den noch anwesenden Steinplatten, um nicht im Dreck schlafen zu müssen. Swist tat es mir gleich und legte sich zu mir, damit ich nicht frieren musste. Die nassen Sachen traute ich mich nicht auszuziehen, weshalb ich am ganzen Körper zitterte wie Espenlaub. Fest kuschelte ich mich in Swist's Fell, oder in das, was davon noch übrig geblieben war, und schlief ein.

***

Ein krachendes, ohrenbetäubendes Geräusch ließ mich aus meinem Halbschlaf hochschrecken. Es musste so um die sieben oder acht Uhr sein, denn die Sonne schien schon durch eines der halb zerbrochenen Fenster der Villa. Ein Sonnenstrahl leuchtetet mir direkt ins Gesicht und ich konnte ein Niesen nicht unterdrücken. Die Staubpartikel in der Luft fingen an, im Schein der Sonne zu tanzen und auch Swist erhob sich langsam gähnend von dem schmutzigen Boden.
Erst jetzt konnte ich die Eingangshalle richtig erkennen: Die verschlungenen Muster an den staubigen Wänden, der Kronleuchter, unter dem ich geschlafen hatte, der für meinen Geschmack etwas zu wackelig an der Decke hin und her schwang und bei jeder Bewegung, die man machte, von der Decke zu fallen drohte. Noch abenteuerlicher sahen die Treppen aus: Das Holz war alt und moderig und in der einen Seite klaffte sogar ein großes Loch. Gut, dass ich mich die Nacht nicht hochgewagt hatte, dachte ich, noch ehe ich ein zweites Mal ein Geräusch vernahm.
"Warst du das?", fragte ich in Swists Richtung, der jedoch nur erstaunt mit dem Kopf schüttelte. "Nein. Vielleicht sind wir ja auch nicht allein.", überlegte er laut und tapste langsam zu mir herüber. "Swist, das ist nicht lustig. Du weißt, dass ich Angst vor gruseligen, alten Horrorfilm-Ambiente-mäßigen Häusern habe.", sagte ich und warf ihm einen bösen Blick zu, ehe ich mir den Dreck von der noch nassen Hose klopfte.

ROT - Die Farbe meiner Tränen,  LeseprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt