Kapitel 21

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Drei Stunden später und mit Schweiß auf der Stirn ließ ich mich auf eine der Treppenstufen plumpsen. Die beiden Mädels taten es mir gleich. "So, jetzt noch 'ne  Viertelstunde Pause und dann geht's an's Servier'n." "Nur eine Viertelstunde?", quengelte ich und ließ mich rücklings auf die Stufen nieder. Liegen tat ja so gut!

"Ja, das war'n bis jetzt ja nur die Vorbereitung'n für's Ab'ndess'n und 'türlich das Frühstück, weil morgen früh doch der Gutsherr mit sein'n Männern eintrifft." Ich stöhnte. "Heißt das, wir müssen gleich noch den Rest des Abendmahls zubereiten?" Ich konnte Essen schon nicht mehr sehen; was mich betraf, war mir der Appetit vergangen.

"Nee, wir un' der Rest der Mägde müss'n wahrscheinlich die Gerichte servier'n und einige Erlesene dürfen d'n Herr'n ihre Becher füll'n. Du has' Glück, du bis' hübsch, mit Sicherheit wirs'd eine der Wenig'n sein, die einschenk'n darf." So wie sie das sagte, sollte es wohl eine Ehre sein, aber ehrlich gesagt stand mir nicht der Sinn danach, der gehobenen Gesellschaft ihren gepuderten Hintern zu verwöhnen. Sollten sie sich doch selbst einschenken! Immerhin hatten sie ja selbst funktionierende Arme und Beine.

"Sollte ich den Job bekommen, trete ich ihn gerne an dich ab.", sagte ich und setzte mich wieder auf. "Job?", fragte sie und sah mir dabei verwirrt in die Augen. Mist! Ich doofe Nuss! "Ja. Job, so wie Arbeit. Das ist ein anderes Wort dafür. Da ist mein Dialekt wohl wieder mit mir durchgegangen. Verzeih'." Ob sie mir das glaubte? Sie nickte bedächtig, zuckte mit ihren Schultern und lächelte dann, als hätte sie verstanden. Da hatte ich wohl gerade noch einmal die Kurve gekriegt.

Hinter uns ging die Holztür auf und wir sprangen schnell beiseite, bevor der Eintretende über uns stolperte. "So, meine Kinder. Hopp, Hopp! Macht euch bereit für's Servier'n." Dabei sprach Madam Abigail niemanden direkt an, sondern sah das ganze Küchenpersonal an. So wie es aussah wusste wohl jeder von ihnen, wer gemeint war. Aber sie machten das ja auch tagtäglich. Auch ich wollte mir gerade eines der mit Essen beladenen Tabletts schnappen, da packte sie mich und eines der zwei Mädchen, mit denen ich geplaudert hatte, am Arm und zog uns zu einen der Krüge.

"Ihr zwei und Shirley schenkt oben ein." Mit diesen Worten ließ sie uns stehen und wand sich den anderen wieder zu. Shirley war, wie mir das andere Mädchen, dass übrigens Gwendolyn hieß, erzählte, eine der Mägde, die ständig ausschenken durfte. "Weil s'e den gewiss'n Vorbau hat, was'd Rittern und Edelherr'n 'türlich g'fällt.", flüsterte Gwendolyn mir ins Ohr. Tja, wenn sie sich gerne mit lüsternen Blicken anglotzen ließ, warum nicht? Mir sollte es Recht sein.

"Un' weil s'e schöne Haare hat un'ne g'rade Nase.", seufzte sie. "Was würd' ich für ihr Ausseh'n geb'n." Irritiert sah ich sie an. Klar, sie war keine Marilyn Monroe, aber hässlich war sie keineswegs. Sie hatte schönes blondes Haar, was sie leider unter ihrer viel zu großen Haube versteckte und kristallblaue Augen, die ihr Gesicht dominierten. Ansonsten hatte sie eine kleine Spitze Nase und schmale Lippen, was ihrer Schönheit aber keinen Abbruch verlieh.

"Du siehst doch gut aus." "Du has' ja auch noch nich' Shirley g'seh'n.", sagte sie und hatte damit auch nicht unrecht. Aber was konnte Shirley schon haben, dass sie nicht hatte? Und in diesem Augenblick kam eine kleine, zierliche Brünette die Treppe hinunter in die Küche geschritten und zog sich absichtlich die Haube von den Haaren. Um ihre wohlgeformten Lippen spielte ein wissendes Lächeln und sie bedachte uns aus ihren grünen Augen mit einem mitleidigen Blick.

Ich konnte sie vom ersten Moment an schon nicht leiden. Ohne dass sie auch nur ein Wort sagen musste, wusste ich schon, dass sie eine Zicke war. Na, da war sie bei mir an der richtigen Adresse. Bei ihrem Kleid hatte sie die kleine Weste entfernt und trug ihre Brüste großzügig zur Show. Gwendolyn seufzte bei ihrem Anblick ergeben.

"Ich denk', ich werd' eure Hilfe nich' nötich hab'n. Die wohlhabend'n Herr'n werd'n...", sie unterbrach sich, um uns sichtbar von oben bis unten zu mustern. "...nun ja, euch reichlich wenich Aufmerksamkeit zukomm'n lass'n. D'rum werd' ich 'türlich allein ums Einschenk'n gebet'n. Also serviert doch lieber mit den Ander'n das Ess'n." Sie wickelte sich das Ende ihres einfach geflochtenen Zopfes um den Finger und kehrte uns den Rücken zu.

ROT - Die Farbe meiner Tränen,  LeseprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt