Kapitel 28

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"Was um Himmels Willen!", fluchte ich und ließ meine Augenlider in die Höhe schnellen. Verstohlen blickte ich mich im Raum um, konnte aber kein Anzeichen eines schimmernden Körpers oder dergleichen ausmachen.

Was war da gerade passiert? Was hatte ich getan?

Nicklas befand sich nach wie vor an Ketten befestigt vor mir. Sein Gesicht war nicht mehr so blass wie vor wenigen Minuten und auch sein schlapper, zusammengesackter Körper hatte wieder eine gesunde Körperspannung angenommen. Erneut streckte ich meine Arme nach ihm aus und fasste nach seinem Puls. Er war stark und regelmäßig.

Wie konnte das sein?

Vor wenigen Minuten war er noch halb tot und jetzt ganz plötzlich strotzte er nur so vor Lebenskraft. Ob das Ding, was ich in ihm vergessen hatte, der Grund dafür war? Nachdenklich knabberte ich an meinen Fingernägeln. Ganz plötzlich konnte ich die Gefühle der Chirurgen, die Dinge in ihren Patienten vergaßen, nachvollziehen. Es war ein unglaublich unangenehmen Gefühl. Nur das Chirurgen wussten, wie sie diese Dinge wieder aus ihnen herausbekamen. Ich nicht. Ich wusste ja nicht einmal, was genau ich in Nicklas vergessen hatte, nur dass es da mit Sicherheit nicht hineingehörte.

Es war wohl besser, ich würde das vorerst für mich behalten. Ich meine, wie sollte ich ihm das Ganze auch erklären? "Du Nicklas, ich glaube, ich habe da so ein komisches leuchtendes Ding in dich hineingezogen, was da nicht hingehört, könntest du kurz still sein und so lange warten, bis ich weiss, wie ich es wieder aus dir hinauskomme" ?

Ja, das war unglaublich vertrauenserweckend. Oh Gott! Womöglich wusste er ja was von meinem Malheur? Immerhin war er ja live dabei gewesen. Noch während meine Gedanken Purzelbäume schlugen öffnete Nicklas seine Augen und brachte seinen Körper in eine aufrechte Position. Sein Blick war stählern auf mich gerichtet und verhieß mit Sicherheit nichts Gutes.

Er weiß es, jammerte ich mir in Gedanken vor. Er weiß, dass du eine Art außerirdische Lebensform in ihm vergessen hast.

Nervös und leicht eingeschüchtert trat ich einige Schritte zurück. Was, wenn er jetzt so eine Art Superkräfte hatte und mich mit seinem Blick in Asche verwandelte? Ok, jetzt drehte ich endgültig durch. Ich hatte zu viele Science-fiction-Filme gesehen.

"Wer bist du? Und warum bin ich in Ketten gelegt?"

So wie es aussah, hatte ich seinen stählernen Blick falsch interpretiert. Er war nicht sauer, er war verwirrt. "Ich bin' s, Felina. Du weißt schon, das Mädchen, das du umbringen solltest, es aber laufen gelassen hast?"
Er sah mich verwirrt aus seinen kristallenen blauen Augen an.

"Ich kenne niemanden, der so heißt. Und dich kenne ich auch nicht. Mach' mich von diesen Fesseln los!" Er ruckelte und zerrte an den eisernen Ketten und versuchte sich von ihnen zu befreien. "Das kann ich nicht.", musste ich kleinlaut zugeben. "Ich habe nicht die Schlüssel und egal wie lange ich protestieren werde, ich werde sie auch nicht bekommen. Aber lass' mich bitte deine Wunden versorgen, in Ordnung?"
Spielte er mir wirklich eine Amnesie vor, so wie Lucas es mir erzählt hatte? Langsam machte ich mich daran, seine Wunden zu inspizieren. Eine große tiefe Schramme prangte an seiner Stirn, seine Arme waren mit Schrammen und blauen Flecken übersät und eines seiner Knie sah irgendwie verdreht aus. Ob es wohl gebrochen war? Ich schluckte schwer. Lucas und die anderen hatten ihm das angetan. Angewidert musste ich meinen Blick von ihm abwenden. Einige der Wunden waren schwere, tiefe Schnitte, die mir ernsthafte Sorgen bereiteten und an sein Knie wollte ich gar nicht erst denken.

"Nicklas, du weißt, wer ich bin. Du kannst es ruhig zugeben. Du musst keine Angst mehr haben, dass die anderen Hand an dich legen, ich werde dich vor ihnen beschützen, das verspreche ich dir, also hör' mit diesem Unsinn auf. Sie kaufen es dir ohnehin nicht ab."

ROT - Die Farbe meiner Tränen,  LeseprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt