Kapitel 40

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Ich wirbelte weiter durch die Luft und versuchte irgendwie mein Gleichgewicht wiederzufinden und anzuhalten. Der Heilkundige war aus der Gruppe der Kämpfenden herausgetreten und marschierte eilig auf meinen Körper zu. Etwas in seinem Blick verriet mir, dass er eine Ahnung von dem hatte, was ich vorhatte zu tun.
Sein Blick glitt zwischen meiner Geistergestalt und meinen Körper hin und her, und er grinste hämisch zu mir herüber.

Er wusste es!

Lucas saß immer noch gefesselt am Boden und starrte den Leichnam seines Vater an. Er stand immer noch unter Schock. Die Zwillinge kämpften mit vier Jägern, Claire prügelte sich mit Miss Mayer, Jeremy schlug einem Exorzisten ins Gesicht, Alice lag bewusstlos auf dem Boden und Swist wurde von zwei Exorzisten und einem Dienstmädchen in die Enge getrieben. Niemand sah, dass der Heilkundige auf mich zulief, das Kurzschwert in der rechten Hand. Ich musste vor ihm meinen Körper erreichen! Ich hatte gar keine andere Wahl. Wenn ich zu langsam war, würde er sich über meinem Körper positionieren und darauf warten, das mein Geist in meinen Körper zurückkehrte, denn er konnte mich ja nur töten, wenn mein Körper und mein Geist verbunden waren.

Und sobald das geschah, würde er zustechen, bevor ich mich überhaupt wehren könnte. Ich musste also um jeden Preis vor ihm in meinen Körper gleiten und das Amulett gegen sein Herz pressen! Immer schneller und schneller flog ich durch den Raum. Ich muss es schaffen, dachte ich mit Nachdruck. Ich musste es einfach! Die Spitzen meiner transparenten Finger erreichten meinen Körper. Sofort bildete sich ein starker Sog und zog mich mit einer immensen Kraft in das Innere meines Körpers.
Helles Licht erstrahlte und für einen kleinen Augenblick war ich blind. Alles um mich herum wurde schwarz, dann fühlte ich, wie sich meine Lungen mit Luft füllten und atmete tief ein.

Die Lieder meiner Augen öffneten sich. Ich erstarrte. Blut tropfte auf meine Brust und auf mein Gesicht. Als würde ich rot Tränen weinen, die über meine Wangenknochen zu Boden glitten. Die metallene Spitze eines Kurzschwertes ragte wenige Zentimeter über meiner Körpermitte. Nicklas tiefblaue Augen sahen mich an und um seine Lippen spielte ein verwegenes, wenn auch leicht gequältes Lächeln. Seine Hände, die neben meinen Schultern waren, stützten seinen muskulösen Körper und ließen ihn wenige Zentimeter über mir schweben.

Das japanische Kurzschwert steckte in mitten seiner muskulöse Brust und ließ ihn unwirklich, nicht real erscheinen. Es war durch seinen Rücken geglitten, bis es aus seiner Brust herausgestochen war. Als hätte mir jemand eine Streich gespielt und Nicklas für eine Halloweenparty kunstvoll verkleidet. Es konnte unmöglich war sein! Er war doch mit Eisenketten an den Boden gekettet gewesen! Ich musste mir das einbilden. Oder träumen. Eine ganz schrecklichen Albtraum.

Die Zwillinge schienen die Jäger geschlagen zu haben, denn sie kamen auf uns zugelaufen. Der Mann im Anzug hatte dagegen bereits die Flucht ergriffen und verschwand durch einen weitere Geheimtür in der Wand. Anscheinend war ihm das Risiko nun doch zu groß. Jedoch nahm ich das alles nur am Rande wahr, als würde ich durch einen nebligen Schleier das Gesehen beobachten.

Nicklas rollte sich unter starken Schmerzen von meinem Körper auf die Seite. Ich war wie erstarrt. Meine Hände zitterten, meine Lippen bebten und heiße Tränen rannen mir die Wangen hinunter, getränkt von Nicklas Blut, doch ich war unfähig, auch nur ein Wort zu sagen oder mich von der Stelle zu rühren. Immer wieder jagte ein Schauer durch mich hindurch und mein ganzer Körper zuckte. Nicklas hatte sich zwischen mich und den Heilkundigen geworfen! Einfach so hatte er in Kauf genommen, von einem Schwert durchbohrt zu werden. Die Ketten, mit denen er gefesselt gewesen war, lagen einige Meter weiter zerstreut auf dem Boden. Der giftige Dolch, den Miss Mayer ursprünglich gehabt hatte, war nur einige Meter von den Resten der Ketten entfernt.
Nicklas musste die Fesseln damit gelöst haben.

ROT - Die Farbe meiner Tränen,  LeseprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt