Kapitel 17

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Noch bevor ich meine Augen öffnete, konnte ich das rege Treiben um mich herum spüren. Aufregung und Panik lag in der Luft und ich war kurz gewillt, einfach so zu tun, als sei ich noch weggetreten, nur um mich nicht mit dem aufkeimenden Chaos konfrontieren zu müssen.

Nach den sich häufenden, anstrengenden und befremdlichen Ereignissen stand mir nicht der Sinn nach noch mehr Aufregung, ich wollte einfach nur meine Ruhe haben. Mich in ein Bett kuscheln und so tun, als sei ich die Felina von vor einem Jahr, dessen Probleme sich nur um unfaire Lehrer, Hausaufgaben und Mode gedreht hatten. Gut, ein paar mal waren auch Jungs dabei gewesen, aber darum ging es gerade nicht.

Wann war mein Leben bloß so kompliziert geworden?

"Sie ist nicht tot!", beharrte eine Mädchenstimme auf ihrer Meinung, die ich Alice zuordnete. "Aber sie hat aufgehört zu atmen!" Das war eindeutig Lucas. "Und ihr Puls ist auch weg." Ich hätte schwören können, dass er den Tränen nahe war, wenn ich nicht gewusst hätte, wer da eigentlich sprach.

Wie kamen sie denn nur auf die Idee, ich sei tot? Mit diesem Umstand hätten sich natürlich all meine Probleme in Luft aufgelöst, aber ich hatte noch viel vor im Leben, einmal abgesehen davon, dass ich noch nicht tot war und das spürte ich mit jeder müden Faser meines Körpers. Es half ja alles nichts, ich musste nun aufstehen, ob ich wollte oder nicht.

Mühsam zwang ich meine geschlossene Lider, sich zu öffnen und blinzelte in ein helles, künstliches Licht. Mein Atem ging bei dieser ausgesprochen anstrengenden Tortur stoßweise und ich versuchte, meinen schlaffen Körper mit jedem Muskel in die Waagerechte zu zwingen.

"Felina?", hörte ich Lucas ungläubig flüstern. "Ich sagte doch, sie ist nicht tot! Wenn es nach euch ginge, hätten wir sie lebendig begraben!" Alice schnalzte abschätzig mit der Zunge. Gott sei dank gab es Alice. Alleine die Vorstellung, lebendig begraben zu werden, verursachte bei mir eine Panikattacke. Eindeutig etwas, das ich niemals in meinem Leben erleben wollen würde.

Langsam erkannte ich meine Umgebung und konnte auch Lucas, Alice und die Zwillinge ausmachen. Ich war in unserem Versteck, genauer gesagt, in meinem Bett, zugedeckt bis zum Kinn und drapiert, als sei ich die Prinzessin aus Dornröschen. Sie hatten mir die Hände ineinander verschränkt auf die Brust gelegt und die Beine gerade in die Länge gestreckt.

"Wolltet ihr Dornröschen imitieren, oder was soll diese ganz besondere Liegposition?", fragte ich spöttisch in die Runde, um die Anspannung, die mich umgab, etwas zu mildern. Alice küsste mir das ganze Gesicht, dass ich Angst haben musste, sie würde es womöglich aufessen, danach boxte sie mir in die Schulter. "Und ich habe keine Stunde vorher gesagt : Du sollst mir auf keinen Fall noch einmal solche Sorgen bereiten!" Ich zuckte nur die Schultern.

"Es tut mir ja auch leid, hätte ich gewusst, dass ihr bei einer Ohnmacht gleich so aus dem Häuschen seid, hätte ich früher Bescheid gesagt." "Ohnmacht?" Claire kam gerade durch die Tür geschlichen und verzog spöttisch das Gesicht. "Normalerweise nennt man das 'knapp dem Tod entronnen', oder auch 'ein Wunder', wenn jemand nach einem stündlichen Herzstillstand ohne Reanimation wieder zu sich kommt und das Gehirn keinerlei Schäden vorweist,  als hätte er nur ein Nickerchen gemacht." Sie lachte kurz auf, aber es war keines dieser bezaubernden Claire-Lachen, die sie sonst immer Jeremy oder einem der Zwillinge zuwarf, natürlich nicht, es war ein gemeines Lachen, das einem kalt den Rücken hinunterlief. Allerdings hatte ein kleines bisschen Sorge in ihrer Stimme mitgeschwungen, was bei Claire einem Gefühlsausbruch gleich kam.

"Herzstillstand?", entgegnete ich, ignorierte dabei aber ihr boshaftes Lachen. "Ja, Herzstillstand! Du warst über eine Stunde lang ohne Herzschlag und Atem. Selbst dein Körper kühlte in der Zeit rapide ab. Hast du eigentlich eine Ahnung, wie gefährlich das war?! Oder wie verrückt du uns alle damit gemacht hast? Besonders Alice, die bei solchen Vorfällen immer besonders sensibel reagiert!", fauchte mich Lucas an und für einen kurzen Moment hatte ich tatsächlich Angst vor ihm und seinem zornigen Blick.

ROT - Die Farbe meiner Tränen,  LeseprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt