Kapitel 13

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"Swist! Endlich." Voller Erleichterung fiel ich meinem Vertragspartner in die Arme. "Ich hab' dich tierisch vermisst.", säuselte ich, wie in einen dieser vielen kitschigen Liebesfilme, die ich mir immer mit Nele angeschaut hatte. "Nicht so stürmisch, Kleines.", brummte er, legte aber seinen Hundekopf auf meine Schulter, wobei er Luc mit einem bösen Blick bedachte.

"Wie ist der Plan?", fragte er im Flüsterton. "Es gibt keinen Plan. Ich habe mich mit Luc geeinigt und wir sind zu dem Schluss gekommen, dass ich Ihnen helfe, etwas Wichtiges wiederzuerlangen und sie mir dafür bei unserer Rache an Summer helfen.", erklärte ich ihm sachlich und laut genug, damit Lucas es auch mitbekam. Swist's Miene verdunkelte sich.

"Das heißt aber noch lange nicht, dass ich ihn akzeptieren muss.", sagte er und deutete mit seiner Schnauze in Luc's Richtung. "Es wäre schön, wenn ihr euch nicht gegenseitig zerfleischen würdet.", riet ich und zerzauste Swist's Fell am Kopf, während ich Lucas einen bedeutenden Blick zuwarf. "Das gilt auch für dich." "Ja, ja. Wir haben Waffenstillstand.", versicherte er mir. "Gut. Dann hätten wir das ja geklärt."

Aber nach 'geklärt' sah die ganze Situation nicht wirklich aus. Jeder der beiden funkelte sich mit den Augen an und sah dann demonstrativ zur Seite. Das würde wohl die Art Hassliebe werden, wie sie zwischen dem Gaul und dem Dieb in dem Disneyfilm Rapunzel - neu verföhnt, herrschte. Ob sie wohl auch miteinander ringen würden wie im Film? Unwillkürlich malte sich in meinem Kopf eine Szene aus, in der Luc und Swist ineinander verschlungen über den Boden rollten und versuchten, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Das würden vielversprechende Wochen werden. Ich kicherte leise.

"Was ist so lustig?" Swist sah fragend zu mir. "Ach nichts.", schmunzelte ich vor mich hin und behielt meine Bedenken bezüglich ihres Waffenstillstandes für mich.

"Also, an deiner Stelle würde ich meine Sachen packen.", sagte Luc und einer seine Mundwinkel zuckte amüsiert. "Packen?" "Ja. Durch unser Gespräch haben wir viel Zeit verloren, also: Beeilung!", er nickte mir und Swist zu und verschwand dann selbst in dem langen Flur. Packen. Was sollte ich denn packen? Es war ja nicht so, dass ich sonderlich viel Hab und Gut bei mir hatte, denn all meine persönlichen Wertsachen lagen nämlich schön, warm und trocken sowie sicher in den Archiven der Polizeistation von Hackney. Natürlich hatten die Beamten alles beschlagnahmt, was sich im meiner Wohnung befand, um Summers Mörder hinter Gitter zu bringen. Aber ich wusste es besser. Sie würden ihre Mörder niemals überführen, denn diese gehörten zu einer Organisation, die über dem Gesetz dieser Welt stand. Mir allein war es möglich, sie büßen zu lassen für ihre Gräueltaten. Also nahm ich nur meine abgetragene Lederjacke von meinem Stuhl, steckte mir mein Portemonnaie in die Tasche meiner Jeans und machte mich auf den Weg zum Gemeinschaftsraum, unserem üblichen Treffpunkt.

Zu meinem Erstaunen war ich eine der ersten, die in den Raum geschlendert kam und eines vom Jeremys geliebten Sofas belegte. Außer mir waren nur die Zwillinge schon da und lümmelten auf dem andern Sofa. Und wie es sich für die zwei gehörte, trugen sie dasselbe grünlich ausgewaschene T-Shirt und dazu eine tiefblaue, an den Knien ausgebeulte Jeans.

Léan oder Lémon hatte sich so geschickt hingelegt, das seinem Bruder gerade genug Platz blieb, um eines seiner Beine über die Armlehne Baumeln zu lassen. Zusammen auf der Couch lümmelnd sahen sie verboten gut aus. Zu ihren Füßen lagen jeweils zwei Rucksäcke, die bis an ihre Grenzen ausgebeult waren. Was sie da drin wohl transportierten? Neugierig heftete sich mein Blick auf eine der Taschen und blieb an dem silbern-glänzenden Reisverschlussschiffchen hängen. In meinen Fingern kribbelte es und ich musste an mich halten, um nicht aufzuspringen, den Rucksack zu packen und hineinzusehen.

"Das sieht aber nicht nach leichtem Gepäck aus.", sagte ich stattdessen. Ich war ja so ein Fuchs. "Ach, es geht.", sagte einer der Brüder. "Das Übliche eben.", fügte der andere schulterzuckend hinzu. Also hatten sie nicht vor, mir zu erzählen, was sich in ihren Taschen befand. Auch gut. Früher oder später würde ich es schon noch herausbekommen. Also nickte ich und versuchte verzweifelt einen Anhaltspunkt an ihnen zu finden, der es mir ermöglichen würde, sie auseinander halten zu können.
Mit Sicherheit hatten dies schon etliche Menschen vor mir versucht, aber die waren ja auch nicht ich. Jede Kleinigkeit, jede Bewegung und jede Eigenart beobachtete ich peinlichst genau, aber irgendwann gab ich es dann doch auf. Wenn ich es müsste, würde ich sie schon auseinander halten können, auch wenn ich noch nicht wusste, wie.

ROT - Die Farbe meiner Tränen,  LeseprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt