Kapitel 9

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IX


Valerie trat hinaus in die anbrechende Nacht.
Die Luft hier oben in den Bergen war klar und deutlich kühler als unten im Tal.
Sie starrte wie gebannt auf das Naturschauspiel, das sich gerade vor ihr ausbreitete.
Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne zeichneten schwach die Silhouetten der Bergzüge nach.
Sie tauchten alles noch mal in ein blasses Violet, bevor das Dunkel der Nacht alle Farben tilgte.
Sie waren fast mehr als vierundzwanzig Stunden gefahren, aber trotzdem fühlte sie sich schon wieder erholt und gestärkt.
Was eine heiße Dusche doch alles bewirken konnte, wunderte sie sich.

Sie ging noch einige Meter weiter in die Dunkelheit hinein, um Sicher zu sein, dass sie allein war und zog ihr Handy aus der Hosentasche.
Mehrmals während der Fahrt, immer wenn sie zum Tanken halt gemacht hatten, hatte sie versucht, irgendjemanden zu Hause zu erreichen.
Aber weder ihre Tante noch einer ihrer Freunde war zu erreichen gewesen.
Die einzige Person, die ihr jetzt noch einfiel war Jean-Luc.
Er war ihr erster Freund gewesen. Der Junge aus dem Dorf, hatte sich schon vor vielen Jahren entschlossen, Kariere bei der Polizei zu machen.
Das war damals auch der Grund gewesen, warum sie sich nach vielen Jahren der Freundschaft endgültig getrennt hatten.
Ihre unterschiedlichen Lebenspläne hatten einfach nicht mehr zusammen gepasst.
Er wollte unbedingt zur Polizei und sie wollte nur so viel Spaß wie möglich mit ihren Freunden aus der Biker-Gang haben.
Sie wollte frei und unabhängig sein.
Er hingegen sprach von Heirat und Kindern.
Damals trennten sich deswegen ihre Wege. Seine Handynummer hatte sie aber glücklicherweise immer noch.

Als sie nach längerem hin und her laufen doch endlich ein Signal hatte, wenn auch ein schwaches, wählte sie die Nummer, in der Hoffnung, dass sie ihn darunter auch noch erreichen würde.
Das Freizeichen ertönte. Mehrmals.
Die Nummer war also noch vergeben. Sie ließ es weiter läuten.
Sie wollte schon fast aufgeben, als er sich doch noch meldete.
Vor Schreck hätte sie fast aufgelegt.
„Hallo, Jean-Luc. Ich bin's Valerie. Erinnerst du dich noch an mich?", fragte sie etwas nervös.

„Natürlich! Wie könnte ich dich denn je vergessen", antwortete er sehr ruhig.

Sie wollte ihm gerade erklären, warum sie sich nach so langer Zeit wieder bei ihm meldete, da kam er ihr zuvor,

„Ich weiß, warum du anrufst und dass du im Moment nicht in Europa bist."

„Wie ... kannst du dass wissen?", fragte sie ungläubig.

„Du kannst keinen deiner Freunde erreichen und auch nicht deine Tante Marie, richtig?"

Sie antwortete verwundert, "Ja, dass stimmt, aber woher..."

„Valerie, ich muss dir jetzt leider etwas schlimmes mitteilen..." er machte eine Pause, wohl damit sich seine Gesprächspartnerin auf die bevorstehende Nachricht einstellen konnte.
Man hörte ihn am anderen Ende des Telefons tief Luft holen.
"Du kannst deshalb niemanden erreichen, weil sie...alle Tod sind!"

Sie konnte nicht glauben, was sie da hörte.
Er musste sich irren! Das war einfach nicht möglich.
Wie konnten denn alle Tod sein?
Alle!
Ihr schwirrte der Kopf. Ihre Hände und Knie begannen zu zittern.
Ihre Beine begannen unter ihr nach zugeben.
Sie schaffte es gerade noch, sich auf einen nahen Baumstumpf zu setzen, bevor sie zusammen brechen würde.
Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Der Schreck schnürte ihre Kehle zu.
Sie bekam nur ein heiseres, „Wie?", heraus.

Jean-Luc begann ihr zu erzählen, dass vorgestern die örtliche Feuerwehr zu einem Brand im Vereinsheim der Biker-Clique gerufen worden war.
Sie gingen zu diesem Zeitpunkt nur von einem normalen, kleineren Brand aus.
Was die Feuerwehr allerdings vorfand, als sie dort eintrafen, war weitaus mehr als das.
Das gesamte Vereinshaus und die angrenzende Garage standen lichterloh in Flammen.
Durch die in der Garage gelagerten Öle und das Benzin, war aus dem Brand ein wahres Höllenfeuer geworden. Die Feuerwehrmannschaft war nicht in der Lage gewesen, das Feuer sofort zu löschen, da sie durch die starke Hitzeentwicklung nicht nah genug heran kamen.
Sie konnten nur versuchen das Feuer aus der Ferne in Schach zu halten.
Erst als das Öl und das Benzin in der Garage verbrannt waren, konnten sie mit den eigentlichen Löscharbeiten aus der Nähe beginnen.
Was sie dann nach Abschluss der Arbeit entdeckten, bereite vielen von ihnen immer noch schlaflose Nächte.
Als das Dach der Garage eingestürzt war, konnten sie die Motorräder aller Mitglieder des Biker-Clubs erkennen.
Jedenfalls das, was von den Maschinen noch übrig geblieben war.
Bizarre, glühende Gerippe aus Stahl und Aluminium.
Alles andere aus Kunststoff oder Leder war verkohlt.
Aber wenn die Motorräder da waren, wo waren dann die Besitzer?
Als sie dann die Tür zum Vereinshaus öffneten, bot sich ihnen ein grausiges Bild.
Alle Mitglieder lagen verstreut auf dem Boden des Gebäudes.
Manche sogar in der unmittelbaren Nähe der Tür, die eigenartiger Weise von außen abgeschlossen worden war.
Eine erste Untersuchung durch den Leiter der Einsatztruppe vor Ort ergab einen Verdacht auf Brandstiftung.
Deshalb wurde daraus ein Fall für die Polizei.
Für die Mordkommission.
Nur wenige Stunden später, gab es einen zweiten Feueralarm.
Jetzt in einem allein stehenden Wohnhaus außerhalb des Ortes.
Es war das Haus von Marie und Valerie de Reinard.
Hier bot sich der Feuerwehr das gleiche, erschütternde Bild.
Ein lichterloh brennendes Haus.
Alle Hoffnung der Feuerwehrmänner, die Marie de Reinard alle als gütige, nette, ältere Dame kannten und schätzten, noch lebend retten zu können, waren illusorisch, als sie die Ausmaße der bereits voran geschrittenen Zerstörung erkannten.
Sie versuchten alle, dass Haus doch noch zu retten und löschten, obwohl sie wussten, dass es nichts an dem unausweichlichen Ergebnis ändern würde.
Trotz aller Bemühungen brannte das Haus bis auf die Grundmauern nieder.
Auch hier fand man die verkohlte Leiche einer Frau.
Man ging davon aus, dass es Marie war, denn alle im Ort wussten, dass Valerie mit ihrem Freund eine Reise mit den Motorrädern unternahm.
Da auch hier Spuren von Brandstiftung vorgefunden wurden, wurde dieser Fall ebenfalls der Polizei übergeben.
Obwohl Jean-Luc mittlerweile bei Interpol arbeitete, pflegte er immer noch Verbindungen in seinen Heimatort.
Auf diese Weise erfuhr er durch einen Telefonanruf seines Onkels von der Tragödie.
Er erinnerte sich an den Brief, den er vor einem halben Jahr von Marie de Reinard erhalten hatte.
Auf dem Umschlag stand eindeutig „Zu öffnen nach meinem Tod".
Er hatte sich noch gewundert, warum Valerie's Tante nach so vielen Jahren Kontakt zu ihm aufnahm.
Vor allem weil sie nie das Beste Verhältnis zu einander hatten.
Und dann wählte sie auch noch so eine geheimnisvolle Weise.
Als er den Brief geöffnet hatte, war darin nur ein Blatt mit dem Namen C. B. Sanders, einer Telefonnummer in den Staaten und der Vermerk, diese nur an Valerie weiter zu geben, für den Fall, dass sie sich bei ihm melden würde.
Er rätselte lange, was es damit auf sich hatte und warum Valerie ihn überhaupt anrufen sollte.
Fast hätte er den Brief weg geworfen.
Aber seine Neugier siegte schließlich und er bewahrte ihn auf.
Alles in der wagen Hoffnung am Ende zu Erfahren was dahinter steckte.
Das erste Puzzleteil zur Lösung des Rätsels waren die Feuer, die Valeries Freunde und ihrer Tante das Leben kosteten.
Da wusste er, dass sie sich bald bei ihm melden würde.
Seit diesem Zeitpunkt trug er sein altes Handy und den Brief immer bei sich.
Eben diesen – anscheinend wichtigen - Namen und die Telefonnummer übermittelte er jetzt an die geschockte jungen Frau.
„Es tut mir so leid, Valerie. Wenn ich dir irgendwie helfen kann, lass es mich bitte wissen, ok?"

Valerie schluckte schwer.
Sie brauchte eine Weile, bis sie ihre Stimme wieder im Griff hatte.
Was sie gerade gehört hatte war einfach so unglaublich, so schrecklich gewesen.
„Danke für deine Anteilnahme, Jean-Luc. Vielleicht komme ich später darauf zurück, aber jetzt... habe ich hier einiges zu erledigen."
Sie legte ohne ein weiteres Wort auf.

Jetzt war sie wirklich ganz allein.
In einem fernen Land.
Ohne Heimat.
Ohne Freunde.
Unter Fremden.
Aber selbst unter diesen Umständen und nach dieser grauenvollen Nachricht, die sie eben von ihrem Ex-Freund erhalten hatte, wollte sich keine rechte Trauer bei ihr einstellen.
Genauso wie bei Eric.
Etwas stimmte nicht mit ihr.
Eigentlich sollte sie vor Trauer schier zusammen brechen.
Aber nach einem kurzem Augenblick der Schwäche, schob sie ihre Verzweiflung beiseite.
Schon erlang ihre rationale Seite wieder die Oberhand und sie tat, was logischerweise folgen musste.
Sie rief die Nummer an, die Jean-Luc ihr gegeben hatte. Es war in der Tat eine Nummer in den Staaten.
Es klingelte nur einmal und schon meldete sich eine männliche Stimme.

„Hallo. Bist du Valerie? Ich habe deinen Anruf schon erwartet!"

Diese Begrüßung hatte sie nun wirklich nicht erwartet.
Alles wurde immer mysteriöser. „Woher wussten sie das, Mr. Sanders? Sie sind doch C.B. Sanders, oder?"

„Ich bin nicht MR. SANDERS. Nenn mich nur C.B."
Man hörte den Mann am anderen Ende der Leitung tief Luft holen.
„Ich wusste, dass du es bist, weil deine Tante mich über alles informiert hat und wenn du mich nun anrufst, weiß ich, dass sie ... tot ist."

Sie hörte die Traurigkeit in seiner Stimme.
Auch ihm musste der Tod ihrer Tante nahe gehen.

Er machte eine kurze Pause.
„Also, wenn du wissen willst, was das alles bedeutet, dann musst du zu mir kommen. Bis dahin vertrau niemandem! Ich werde dir dann hier alles erklären."

Was blieb ihr denn jetzt schon übrig?
Sie musste einfach wissen, was hier jetzt passierte.
Was mit ihr nicht stimmte, denn das war für sie nicht mehr von der Hand zu weisen.
Etwas in ihr war anderes als sonst.
Und dieser Mann, C.B., schien die Antworten auf all ihre Fragen zu haben.
Sie ließ sie sich die Adresse geben und versprach, so schnell wie möglich aufzubrechen.
Es war eine Adresse in der Nähe von Tacoma, im Nachbarstaat Washington.
Immerhin würde sie nicht wieder mehr als vierundzwanzig Stunden auf dem Motorrad verbringen müssen. Trotzdem gab es aber eine Kleinigkeit, die es zu regeln galt.
Sie musste es schaffen, allein dort hin zukommen, ohne dass Bobby, Sam oder gar Dean davon etwas erfuhren und ihr folgten.
Dafür musste sie sich etwas einfallen lassen und den richtigen Moment abwarten.
Sie war sicher, dass sich bald eine Möglichkeit ergeben würde.
Sie konnten sie ja nicht für immer beaufsichtigen.

Sie nahm eine Zigarette aus der Schachtel, zündete sie an, inhalierte den Rauch tief in ihre Lungen und blies ihn dann ganz langsam in die kühle Nachtluft hinaus.
Es lag noch viel vor ihr.
Sie hoffte, sie würde das Richtige tun und keine der Entscheidungen, die sie jetzt treffen würde, irgendwann bereuen.

Aber wer wusste schon genau, was die Zukunft bringen würde?  
Wie das alles enden würde?

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An dieser Stelle möchte ich mich für euer Interesse an meiner Story bedanken und auch noch mal kurz darauf hinweisen, dass ich mich natürlich über Kommentare oder sogar neue Follower sehr sehr freuen würde. ;-)


Liebe Grüße & schönen Sonntag noch

eure Jane Adams

SeelenFeuer - The Beginning || Supernatural FanFiktionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt