XIII
Nach einigen Tagen Fahrt kamen die beiden Brüder in einem hügeligen Waldgebiet nördlich von Rome, Georgia an.
Sie wollten sich das Haus mit der besagten Bibliothek erst von außen ansehen, um ein passendes Vorgehen in dieser Sache zu planen.
Besonders schwer sollte es aber nicht werden. Welcher Privatmann würde schon einen Haufen Bücher so sichern, wie das Nationalarchiv die Unabhängigkeitserklärung?
Ihr Weg führte sie eine einsame, hauptsächlich von Eichen gesäumte dunkle Straße hinauf bis zu einer Anhöhe.
Die Straße schien kein Ende zu nehmen und nach jeder engen Kurve warteten nur noch mehr Bäume rechts und links auf sie.
Gefühlte zwei Stunden später erreichten sie dann fast das Ende der Straße und damit die Adresse, die Bobby ihnen aufgeschrieben hatte.
Auf die Erleichterung endlich am Ziel zu sein, folgte fast augenblicklich eine schmerzhafte Ernüchterung.
Schon im Vorbeifahren sahen sie, dass es doch nicht so einfach werden würde, unbemerkt in das Haus zu gelangen, wie erhofft.
Das Gebäude glich schon auf den ersten Blick eher einer Festung als einem normalen Wohnhaus.
Sie parkten den Impala ein paar Meter weiter die Straße rauf, so dass er von der Einfahrt aus nicht direkt zu sehen war und machten sich daran, möglichst unauffällig die Umgebung zu erkunden.
Was auf den ersten Blick schon wie eine Festung wirkte, machte auch bei näherer Betrachtung keinen besseren Eindruck.
Das Haus war nicht nur von einer Reihe alter, großer Bäume gesäumt, sondern auch von einer sehr hohen Mauer. Zwar einer farblich auf die Umgebung abgestimmten Mauer, so fügte sie sich harmonisch in den Wald ein, aber dennoch schier unüberwindlich.
Ihr Weg an dieser Mauer entlang vermittelte ihnen einen ersten Eindruck über die Größe des Anwesens. Als wenn die mit Stacheldraht bestücke steinerne Begrenzung noch nicht ausreichen würde, bemerkte Dean eine auf den Wald gerichtete Überwachungskamera.
Er hielt seinen Bruder gerade noch rechtzeitig zurück, bevor er in deren Sichtfeld lief. Es war sicherlich nur eine von vielen. Davon war er überzeugt.
Dadurch gewarnt, nahmen sie einen Umweg, der sie tiefer in den Schutz der Bäume, aber auch die Anhöhe hinauf hinter das Haus führen würde.
Nach einem strammen Fußmarsch von ungefähr zwanzig Minuten durch das immer dichter werdende Unterholz, hatten sie das höher gelegene Areal erreicht und einen guten Ausblick auf fast das gesamte Gebiet unter ihnen.
Was sie dort sahen, ließ ihren letzen Rest Optimismus geradezu zu Staub zerfallen.
Das riesige Haus stand mitten in einer parkähnlichen Anlage mit vielen alten Bäumen, diversen Bachläufen und kleineren Teichen, an den sich mit hellem Kies bedeckte Wege entlang schlängelten.
Das Haus selbst musste eine Wohnfläche von mindestens sechshundert Quadratmetern haben. Es war zwar mit den vielen großen Glasflächen sehr modern gestaltet, aber durch die Holzfassade wurde die Verbindung zum umgebenden Wald wieder hergestellt. Manche Teile des Gebäudes entwanden sich deshalb fast gänzlich dem Auge des Betrachters.
Von ihrem erhöhten Aussichtspunkt aus konnten sie mit dem Fernglas noch weitere Einzelheiten der Absicherung erkennen.
So zeugten gut versteckte, kaum zu erkennende dünne Drähte an dem Stacheldraht auf der Mauer, von vermutlich verbauten Erschütterungssensoren.
Auch die Fenster, normalerweise ein Schwachpunkt aller Gebäude, waren augenscheinlich durch Sensoren geschützt.
Frustriert wollten sich die beiden Brüder gerade wieder auf den beschwerlichen Weg zurück zu ihrem Wagen machen, als diesmal Sam etwas auf dem Gelände unter ihnen auffiel.
Dort unten bewegten sich auf einmal etwas schwarzes. Er machte seinen Bruder darauf aufmerksam.
Dean suchte mit dem Feldstecher den Park ab und wurde schnell fündig. In einer Art riesigem Gehege liefen Hunde unruhig umher.
Sie waren von einer Art und Größe, wie er sie noch nie gesehen hatte. Wäre es nicht gänzlich unmöglich, hätte er darauf gewettet, dass da unten seien Höllenhunde.
Einer dieser Köter hob den Kopf und schien ihn doch tatsächlich direkt anzublicken.
Selbst auf diese Entfernung, was eigentlich unmöglich war.
Überrascht nahm er das Fernglas herunter und machte er einen unbedachten Schritt zurück. Dabei zerbrach er einen auf dem Boden liegenden dünnen Ast.
Dieses leise Geräusch schien nun auch die restlichen Tiere dort unten auf den Plan zu rufen, denn plötzlich sahen fünf dieser gigantischen Hunde gleichzeitig zu ihnen hinauf.
Obwohl die beiden Brüder mindestens achthundert Meter entfernt, im dunklen Wald versteckt waren, schienen sie genau zu wissen, von wo das Geräusch kam.
„Ich denke Rückzug ist angesagt, Sam" bemerkte Dean mit säuerlicher Mine.
Er hatte sich bereits zum Gehen umgewandt, als er bemerkte, dass Sam immer noch wie angewurzelt an Ort und Stelle stand.
„Sammy!"
Aber sein Bruder regte sich immer noch nicht. Stattdessen war ihm das Blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben.
Hätte Dean gesehen, was sein Bruder in diesem Moment sah, wäre es ihm genauso ergangen.
Sam hatte gerade noch gehört, wie sein Bruder von Rückzug sprach, als er eine bekannte Gestalt unten bei den Hunden erkannte.
Es war Luzifer, der mit den riesigen Tieren spielte.
Sie tollten um seine Beine, wie verspielte Welpen.
Er kraulte ihr zerzaustes, schwarzes Fell.
Von irgendwoher zauberte er ein riesiges Stück rohes, blutiges Fleisch und warf es ... über das Gehegegitter hinweg. Mitten in eine Gruppe Spaziergänger, die gerade auf einen der hellen Kieswege lustwandelten.
Die Kreaturen stürmten sofort los, um sich den Leckerbissen zu holen. Einzig das Tor des Geheges trennte sie noch von ihrer unerwarteten Mahlzeit.
Die Spaziergänger bemerkten das Fleisch entweder nicht oder scherten sich nicht darum.
Bis sie das Gebell und Knurren der Hunde bemerkten, die nun nicht an das ersehnte Futter kamen.
Die Menschen jenseits wähnten sich in Sicherheit und amten die Hunde nach. Verspotteten sie sogar.
Die Tiere wurden dadurch immer wilder und warfen sich teilweise mit ihren Körpern gegen das Tor zur Freiheit.
Luzifer stand in mitten des aufgebrachten Rudels und genoss deren wachsende Aggressivität zusehends. Plötzlich blickte er hoch.
Er sah Sam direkt in die Augen und lächelte verschlagen.
Eine beiläufig wirkenden Handbewegung von ihm und schon öffnete sich wie von allein das Tor des Geheges.
Die aufgestachelten Hunde hetzten wie von Sinnen an ihm vorbei. Hinaus in die Freiheit. Zu ihrem Futter.
Die entsetzten Schreie der Spaziergänger schallten bis auf die Anhöhe, von der Sam das Schauspiel mit ansehen musste.
„Dieses einmalige Erlebnis solltest du dir nicht entgehen lassen, Sam!", flüstere Luzifer ihm ins Ohr.
In seinem Blick lag etwas lauerndes.
Sam zuckte zusammen, als die Stimme direkt neben ihm ertönte.
Er spürte eine Hand auf seiner Schulter. Die Bäume um ihm herum begannen zu flackern.
Ihre Umrisse vermischten sich mit der parkähnlichen Landschaft des Anwesens unter ihnen.
Er drückte auf die fast verheilte Wunde an seiner linken Hand. Doch nichts geschah.
Wieder hörte er die Stimme.
„Komm, Sammy!"
Er vermied es Luzifer direkt an zu sehen. Stattdessen verstärkte er den Druck, bis erneut Blut aus der verletzten Stelle trat. Aber auch dies half nichts.
Die Hand ruhte immer noch auf seiner Schulter und er spürte immer noch die Präsens neben sich.
Er sah die bedauernswerten Menschen nun viel klarer.
Einige von ihnen versuchten vergeblich um ihr Leben zu rennen, während andere unfreiwillig für eine kurze Ablenkung der Bestien sorgten. Als Lebendfutter.
Sam sah die schrecklichen Bilder jetzt immer deutlicher.
Er war schon fast vollständig unten, zwischen den amoklaufenden Kreaturen.
In einem Akt der Verzweiflung griff er zu seiner Waffe.
Eine gut gezielte Kugel hilft vielleicht doch, dachte er.
Mit einer kaum sichtbaren, fließenden Bewegung holte er seine Waffe unter der Jacke hervor.
Luzifer stand zu seiner Linken.
Ein gezielter Schuss in den Kopf, würde seinen Gegner möglicherweise ablenken und ihn wieder zurück an die Seite seines Bruders bringen.
Oder in die Realität zurück. Was auch immer Realität war.
Vorsichtig und leise spannte er den Hahn.
Er spannte seine Muskeln an, damit er das Überraschungsmoment auf seiner Seite hatte und der Schuss möglichst überraschend kam. Luzifer sollte keine Chance haben, sich darauf einzustellen.
Er hatte schon fast zu der Bewegung angesetzt, die die Kugel freisetzen sollte, als er eine Veränderung an Luzifer bemerkte.
Er registrierte es nur aus den Augenwinkeln, aber es schien, als würde sich sein Haar verändern.
Es schien dunkler zu werden.
Sam hielt inne.
Auch Luzifers Augen wechselten die Farbe.
Sie waren nun grün.
Sam's Umgebung flackerte und begann wieder feste Gestalt anzunehmen. Sie war nicht mehr fließend. Er war nicht mehr halb auf der Anhöhe und halb unten bei den schwarzen Hunden.
In dem Augenblick, in dem er wieder von oben auf das Rudel schwarzer Hunde hinunter blickte, verschwand auch Luzifer.
Dean nahm nun seinen Platz an Sam's Seite ein.
„Erde an Sam! Alles klar?"
Sam war immer noch nicht ganz im Hier und Jetzt angelangt. Es dauerte einige Sekunden, bis er vollständig begriff, wer mit ihm redete und was er von ihm wollte.
„Ähm ... ja, alles klar, Dean."
„Hattest du wieder eine Vision?"
„Ja."
Dean sah seinen Bruder skeptisch an.
„Es ist alles wieder ok, Dean!"
„Dann lass uns schnell von hier verschwinden, Alter!"* * *
Auf ihrem Rückweg bemühten sie sich, möglichst keine Geräusch zu machen.
Dementsprechend langsam kamen sie voran.
Endlich am Impala angekommen, stiegen sie zügig ein und sahen zu, dass sie weg kamen, bevor doch noch jemand oder etwas auf sie aufmerksam wurde.
Den ganzen Weg durch den Wald zurück nach Rome sprach keiner der beiden. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.
Dean ließ sogar das Radio aus.
An dem ersten Motel an der Straße fuhren sie ran und nahmen sich ein Zimmer.
Im Zimmer, brach Sam als erster das Schweigen, nachdem sie ihre Taschen auf die beiden Betten befördert hatten.
„Das wird ne harte Nuss, Dean."
„Und ich dachte, das wird ein Spaziergang ..." entgegnete Dean sarkastisch.
„Jetzt mal ernsthaft, Sam, wer sichert seine Scheiß Bücher wie Fort Knox?"
„Jemand, der etwas zu verstecken hat."
Dean sah seinen Bruder nur verständnislos an.
„Und das sagt uns, dass wir hier an der richtigen Stelle sind. Es müssen sehr wertvolle Bücher sein, sonst würde er das Haus nicht so sichern."
„Aber was nutzt uns diese überraschende Erkenntnis, wenn die Hütte so gut überwacht wird, dass wir nicht ungesehen reinkommen?", gab er seinem Bruder zu bedenken.
Dieser nickte nur nachdenklich, setze sich an den kleinen Tisch am Fenster und suchte eine Lösung im Internet.
Dean nahm sich derweil eines der Biere aus dem Sixpack, welches sie auf dem Rückweg in einem kleinen Supermarkt gekauft hatten.
Es war zwar nicht kalt, aber bei diesen trostlosen Aussichten war ihm das egal. Er machte sich über die einheimischen Zeitungen her.
Vielleicht war da etwas über diesen Bücherkerl zu finden, dachte er.
Der Inhalt all dieser Käseblättchen war so ungefähr der Selbe.
Einige Seiten über die aktuelle amerikanische Politik, einige Seiten mit Belangen des Staates und des Countys, eine Seite internationales und viel regionaler Klatsch und Tratsch.
Und an eben diesem letzten Teil war Dean interessiert. Manchmal fand man dort wichtige Informationen. Allerdings war es ziemlich mühsam sich da durch zu arbeiten.
Aber manchmal landete man auch schnell einen Treffer.
„Sam, wenn man nicht von draußen rein kommt, wie wäre es dann von drinnen?", fragte er seinen Bruder mit leichten Triumph in der Stimme.
Er wähnte sich der erste, der eine Lösung für ihr Problem gefunden hatte.
Sam sah aber nicht zu seinem Bruder auf, sondern hielt den Blick starr auf den Bildschirm des Laptops gerichtet.
Dean wartete noch einen Augenblick und wollte gerade zu einem „Hallo-Wach" der besondern Art ansetzen, als Sam sich doch noch seiner Anwesenheit bewusst zu werden schien.
„Ich weiß, was du meinst! Er veranstaltet morgen eine Vernissage in seinem Haus. Eine gute Gelegenheit uns da rein zu bringen. Ich habe auch schon eine Idee wie."
Dean seufzte enttäuscht.
Schon wieder war sein Bruder ihm einen Schritt voraus. Aber dafür war er- und davon war er 100-prozentig überzeugt - der bessere Jäger!
Sam erläuterte Dean den Plan, den er bereits ausgearbeitet hatte, als der noch über den Zeitungen gebrütet hatte.
Danach würden sie sich als die Mitarbeiter des Catering-Services ausgeben, die sie auf dem Weg zur Veranstaltung abfangen würden.
In dieser Verkleidung hoffte er, sich unauffälliger im Haus bewegen zu können.
DU LIEST GERADE
SeelenFeuer - The Beginning || Supernatural FanFiktion
Hayran KurguDämon? Engel? Hexe? Von allem etwas oder doch "nur" ein Mensch - jedenfalls mehr oder weniger - , dessen magisches Erbe gerade erst hervorbricht und erst noch kontrolliert werden will? Wer genau ist die junge Frau, die unter mysteriösen Umständen m...