Kapitel 4.

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Sayurie

Ein starker Schmerz explodierte in meinem Knöchel , als dieser Bekanntschaft mit dem Gesicht des rothaarigen Jungen machte.
Es war kein Knacken von Knochen zu hören, doch ein lauter dumpfer Knall hallte auf dem leeren Deck wieder, als Haut und Haut und Faust und Kiefer zusammen prallten.
Ich konnte noch seinen erschrocken Ausdruck auf dem Gesicht erkennen, als ihm die Augen zu flatterten und er wie ein Sack Mehl auf den Boden fiel.
"War das echt nötig?"
Hörte ich die genervte Stimme von Derek rufen, der soeben das Schiff vorbereitete.
Ich griff nach den Armen des Jungen und zog seine bewusstlose Form über Deck.
Ich zuckte einfach nur unbeteiligt mit den Schultern, ehe ich mit ihm die Treppe hinunter stieg.
Er hatte eine durchschnittliche Größe und war eher auf der schlaksigen Seite, es kostete mich also nicht so viel Mühe ihn in den Lagerraum zu zerren.
Ich legte ihn etwas unsanft ab, doch da er bewusstlos war bekam er von all dem nichts mit.
Mit einem Ruck zog ich eine Plane über ihn, die ihn erstmal verstecken würde, sollten Wachen auf die Idee kommen das Schiff zu untersuchen während ich weg war.
Er würde bestimmt ein paar Stunden K.O sein, die Gefahr, dass ihn hier unten jemand finden würde war sehr gering.
Ich rechnete auch nicht damit, dass eine Partrollie auf unser Schiff kommen würde.
Sturmhund hatte mit ihnen vor Jahren einen Vertrag abgeschlossen, der es ihm erlaubte ohne Untersuchung und Kontrolle in Leiden an- und auszudocken, im Gegenzug bekamen die Soldaten 5 Prozent des Gewinns der geschmuggelten Ware und des Schnapps, den wir auf dem Schiff hatten.
Doch wer wusste schon wie weit die Wachen gehen würde, um den rothaarigen Jungen zu finden.
Es war eines der ersten Dinge die mir Sturmhund je beigebracht hatte.
Rechne immer mit dem schlimmsten Sayurie, meist trifft nämlich genau das ein.
Leise verließ ich den Raum wieder und schloss die Tür hinter mir ab.
Den Schlüssel verstaute ich in meiner Manteltasche.
Der Junge war hier sicher redete ich mir ein.
Die einzige Leute die einek Schlüssel zum Lager Raum hatten waren ich und Sturmhund.

Mit leisen Schritten ging ich wieder aufs Deck. Es war nicht viel los.
Oben im Ausguck befand sich Bastien, der Wache hielt und Derek, der die Seile löste.
Der Rest der Crew war noch unter Deck oder befanden sich in irgendeiner Kneipe wo sie sich ihr Geld aus den Taschen tranken.
Ich winkte Derek zu, bevor ich von dem Schiff wieder runter kletterte.
Als meine Füße wieder den festen Boden berührten zog ich meine schwere Samt Kapuze wieder über und drapierte meinen Schal so um mich, dass nur noch meine Augen zusehen waren. In meinem Berufsfeld konnte ich es mir nicht leisten erkannt zu werden.
Ich sah auf das Schiff welches ich gerade verlassen hatte und hörte aus der Ferne, das Geräusch von einer schweren Glocke die die Uhrzeit verlautete.
Ich musste mich beeilen. Bald würde Sturmhund kommen und er mochte keine Verspätungen und ich hatte schon so viel Zeit mit dem roten Jungen verloren.
Mit flinken Schritten begab ich mich zu einem der Häuser, wie alles in den Slums war es ziemlich heruntergekommen.
Die Fenster waren eingeschlagen und nur die Läden boten noch Schutz.

Tief holte ich Luft ehe ich Anlauf nahm.
Balance war der Schlüssel zum Erfolg.
Ohne sie ging es nicht.
Meine Füße trappten über den gepflasterten Stein und wurden immer schneller. Meine Muskeln spannten sich an und meine Gedanken fokosierten sich auf meine Aufgabe.
Mit einem großen Sprung krallte ich mich mit meinen langen Fingern am Vorsprung des Hauses fest. Meine Finger, die wie Kletterharken waren suchten sofort Halt und gruben sich in die Ritze der herausragenden Steine.
Es dauerte keine Sekunde, da spürte ich wie sich der Dreck zwischen den Ritzen unter meine Fingernägel kam.
Meine Arme spannten sich an, als ich einen nach dem nächsten Stein ausstreckte und mich nach oben zog.
Meine Zehen fanden ebenfalls halt in den kleinen Spalten des alten Hauses.
Diesen Schritt wiederholte ich einige Male.
Ich liebte es zu klettern.
Es war ein befreiendes Gefühl.
Als ich noch ein Kind war hatten ich und meine Geschwister oft Wettbewerbe veranstaltet, wer wohl zuerst die Mauer des Dorfes erklimmen konnte, an dem wir gerade lagerten.
Ich hatte nie gewonnen, nicht einmal und ich konnte mich auch an das eine Mal erinnern, als ich meinen Halt verloren hatte und mir den Arm auf dem harten Boden aufgeschlagen hatte.
Doch auch wenn ich nicht die beste Kletterin von meinen Geschwistern war, hatte ich dafür eine Leidenschaft entwickelt wie keiner von ihnen.
Auch heute noch war es etwas, was meine Sinne belebte.
Es erinnerte mich an eine Zeit, in der ich noch ich war.
Meine Mutter pflegte immer zu sagen, dass ich wie ein Vogel war.
Man konnte mich einfach nicht auf dem Boden halten.
Sie hatte recht. Auch jetzt ging ich meine Wege lieber von Dach zu Dach, als dass ich über die langen überfüllten Straßen laufen musste.

Von hier Oben hatte ich den perfekten Überblick.
Wann immer ich über eine Stadt blickte war es für einen Moment so, als ob die Zeit stehen blieb.
Es war dort immer so ruhig, endlich konnte man einmal ausatmen.
Überall in der Stadt verteilt konnte ich Lichter erkennen und Lachen hören, welches durch die Straßen hallte.
Und ich mittendrin. Wie ein Geist bewegte ich mich über ihre Köpfe hinweg.
Von einem Dach auf das andere.
Unbemerkt und leise wie ein Schatten.
Meine Füße gaben hin und wieder ein dumpfes Geräusch wenn ich auf den Dächern landete.
Es war beinahe so wie ein Rhythmus und ich war die Trommel.

Ein Lächeln breitete sich bei diesem Gedanken auf meinen Lippen aus.
Ich war froh, dass ich alleine war. Mit dem roten Jungen zu laufen war anstrengend gewesen.
Er hatte so viele Fragen gehabt und ich hatte ihm nicht antworten können, selbst wenn ich es gewollt hätte.
Er war langsam gewesen und laut, hatte mich langsam gemacht.
Immer wieder hatte ich auf ihn warten müssen, doch jetzt, jetzt flog ich über die Dächer auf mein Ziel zu.
Leider war ich an meinem Ziel zu schnell da und musste nun wieder an der Regenrinne hinunter klettern.
Ich roch den Ort, den ich suchte schon, bevor ich ihn sah.
Der Geruch von starkem Alkohol kroch mir in die Nase und verbrannte mir regelrecht die Schleimhäute, als ich mich von dem Hausdach nach unten gleiten ließ und zu meinem Leid in einer Pfütze landete.
Das Dreckwasser spritzte auf und weichte mit die Schuhe durch.
Braune Spritzer landeten auf meiner Kleidung.
Na toll.

Frustriert blies ich die Luft aus und betrat die Taverne.
Es waren nicht viele zu Gast, doch die die da waren tranken für eine ganze Armee.
Hier und da konnte ich die betrunkenen Versuche eines Seemann Liedes hören.
Schnurstracks lief ich auf die Bar zu.
Ich hatte keine Zeit mich lange hier aufzuhalten.

Mit einer eleganten Bewegung sprang ich auf den Tresen.
Empört starrte der Barkeeper zu mir hoch.
"Was denkst du eigentlich was du da tust?"
Genervt drehte ich mich zu ihn und ließ diskret mein Messer aufblitzen, welches ich immer in meinen Jackenärmel versteckt hatte.
Sein Adamsapfel hüpfte nach Oben als er schwer schluckte.
"Tu doch was du willst....so wie jeder hier."
Frustriert schmiss er sein Handtuch auf den Tresen.

Mein Blick ging durch die kleine Wirtschaft. Die Leute, die ich brauchte schienen noch einigermaßen bei Bewusstsein zu sein.
Laut stampfte ich mehrmals auf dem Tresen auf.
Ein lautes Echo hallte durch den Raum und ließ die Betrunkenen aufblicken.
Die aus meiner Crew schauten genervt zu mir rüber, als wüssten sie schon, was jetzt kommen würde.
Mit einer einzigen Bewegung Richtung Hafen bestätigte ich ihre Vermutungen.
Ein enttäuschtes Stöhnen ging durch die Runde und ich sprang wieder leichtfüßig vom Tresen herunter.
Eine Meute Betrunkene mir hinter her torkelnd.
"Warum müssen wir zurück?"
Hörte ich die verrückte Maeve hinter mir fragen.
Ich zuckte nur mit den Schultern.
"Warum kann dieser blöde Hund uns nicht einmal Spaß gönnen?"
Sie taumelte schwer durch die Gegend.
Ich streckte meine Arme nach ihr aus um sie zu schützen.
"Oh Sayurie sei doch kein Spaßverderber!"
Rief sie aus.
"Lass uns zurückgehen und bis in die Morgenstunden trinken! Scheiß auf den Captain."
Ich musste über ihre Worte lachen, schüttelte jedoch nur meinen Kopf.
Ich zog sie weiter um die Ecke, bald würden wir da sein.
Doch Maeve wand sich in meinen Armen so oft es ging und leider war sie um einiges größer und stärker als ich.
Immer mal wieder musste ich ihr einen Klaps auf den Arm geben um ihr zu signalisieren, dass sie aufhören sollte.
Doch diese Versuche wurden meist nur mit einem lauten Lachen kommentiert.

Wir erreichten das Schiff, ohne dass sich jemand etwas gebrochen hätte.
Erleichtert atmete ich die Luft aus und pfiff einmal laut durch meine Zähne.
Im nächsten Augenblick kam eine Leiter nach unten geworfen.
Einer nach dem Anderen mussten ich und Derek den Rest der Crew an Bord verfrachten.
Immer mal wieder hätte ich beinahe einen Stiefel ins Gesicht bekommen.
Als auch der letzte Besoffene an Bord lag, ohne sich das Genick gebrochen zu haben, schwang auch ich mich hoch.
"Wie betrunkene Babys."
Murmelte Derek und verschwand wieder auf Deck.
Währenddessen setzte ich mich auf die Reling und wartete auf Anzeichen für Sturmhund.

Dabei griff meine Hand automatisch nach meiner Tasche und ehe ich mich versah wanderten meine Gedanken ganz woanderst hin.
Das Tuch fühlte sich noch immer weich an, als ich es heraus holte.
Nach all den Jahren stellte ich mir noch immer vor, dass es nach dieser ganz bestimmten Person roch.
Die Farbe war schon lange verwaschen und hier und da hatte es ein paar Löcher die ich geflickt hatte.
Doch war dieses Taschentuch mein größter und wertvollster Besitz.
Ich drückte es mit meinen Händen ein und ließ seinen Stoff sanft über meine Haut gleiten.
Wo bist du nur?
Werde ich dich jemals finden?
Fragen in den Schatten, die vielleicht niemals beantwortet werden.
Ich seufzte tief durch, als ich auf einmal aus der Ferne einen Knall vernahm und Rauch aufstieg.

Shadows of Arwerina Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt