„Ich möchte alles über deine Heimat wissen“
Das sind die Worte gewesen, die mich dazu veranlasst haben, mit ihm einen Ausritt in das Stadtzentrum zu machen.
Der Markt ist nur zehn Minuten mit den Pferden entfernt. Doch diesmal fühle ich mich nicht so schrecklich, als ich neben Santiago auf Negro die Berge hinunter ins Tal reite und mir den kühlen Wind durch die Haare wehen lasse.
Mein Herz klopft wild gegen meine Brust, als wir die Wiesen hinter uns lassen und der Feldweg in eine gepflasterte Straße mündet, die in Form einer Brücke über den kleinen, fließenden Bach des Wasserfalls und in das Zentrum führt.
Kaum, dass wir die Brücke hinter uns gelassen haben ist es, als befänden wir uns in einer anderen Zeit.
„Dios mio“, flüstert Santiago und bringt sein Pferd zum Stehen.
Und er hat recht. Nichts hat mir jemals ein so wundervolles Gefühl bereitet, wie das Gefühl, wenn ich die Stadt betrete.
Man kann die Häuser nicht mit den hohen, gläsernen und bunten Gebäuden vergleichen, die es in Carazita gibt. Hier schlängeln sich kleine, im maurischen Stil erbaute, Bruchsteinhäuser, deren Fassaden von schmalen, terracottafarbenen Säulen gesäumt sind und deren Eingänge mit bunten Blumen liebevoll verziert sind. Selbst jetzt, Anfang Winter blühen sie noch.
„Mein Vater hat untertrieben, als er mir von deinem Zuhause erzählt hat“, sagt Santiago, während seine Blicke weiter durch die Hauptstraße und die schmalen Seitenstraßen schweifen. „Es ist sogar noch viel schöner.“
Überrascht sehe ich zu ihm. „Er hat dir von hier erzählt?“
„Nicht viel“, meint er. „Sein Hauptaugenmerk lag auf eurer fortschrittlichen Agrarwirtschaft“ Ungläubig blicke ich ihn an. „Fortschrittlich? Ich kann kaum glauben, dass er so etwas gesagt haben soll.“
„Das solltest du auch nicht“, fährt er fort. „Keine Sekunde später sprach er von euren“, er räuspert sich, „erbärmlichen und menschenunwürdigen Technologiemängeln. Und das im dreiundzwanzigsten Jahrhundert.“
Leise seufzend lenke ich Negro nach links an der Schneiderei vorbei und schon sind wir umrandet von dutzenden Marktständen. Das Bild vor mir explodiert beinahe von den exotischen Farben der Blumen, Obst- und Gemüsesorten und die kühle Luft ist erfüllt von dem herrlichen Duft von gebackenem Brot, der direkt aus dem offenen Fenster der Backstube kommt, einem der kleinen Häuser, die in einem Kreis aufgereiht den großen Marktplatz erschließen.
„Santiago, was hältst du davon –“, setze ich an, doch als ich absitze und mich zu ihm umdrehe, ist er verschwunden.
Panisch drehe ich mich einmal um mich selbst, doch er ist wie vom Erdboden verschluckt. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und ich versuche, mich zu beruhigen und tief ein- und auszuatmen.
Er ist bestimmt nicht weit, rede ich mir ein, als ein Scheppern die Stille durchschneidet, die sich in meinem Kopf Platz verschaffen hat, wie ein scharfes Messer. Es ähnelt dem Geräusch aufeinanderschlagenden Metalls, denn auch wenn Avenia jegliche Technologien verweigert, unsere Aufrüstungen haben wir nicht eingestellt. Die kritische Lage in den Nachbarländern verbietet es.
Meine Blicke wandern ruckartig über den Marktplatz. Doch selbst wenn hier keine Waffen verboten sind kommt es kaum vor, dass jemand diese tatsächlich verwendet. Nur die Schlosswache oder das Militär ist bewaffnet und kann ein solches Geräusch verursachen. Das Militär, das einen Feind angreift...
Einen Fremden...
Dios, wenn ihm etwas passiert ist!
Panisch laufe ich los. Folge dem Lärm, der von Sekunde zu Sekunde immer lauter, immer bedrohlicher wird.
„Santiago!“, rufe ich und ignoriere dabei die neugierigen Blicke der anderen Menschen.
„Santiago!“, will ich erneut rufen, halte dann aber schlagartig inne.
Dort, keine zehn Meter von mir entfernt kniet er und sammelt einen Stapel Brot auf, der ihm auf den Boden gefallen sein muss. Daneben liegen drei Töpfe, die anscheinend jemand umgeworfen hat.
Ohne einen Gedanken an das Gespräch mit meinem Vater zu verschwenden, laufe ich auf ihn zu und werfe mich in dem Moment, in dem er sich umdreht, in seine Arme.
„Oh Gott, ich hatte solche Angst“, sage ich leise und drücke mich an ihn.
„Lucía, was ist denn los?“ Verwirrt sieht Antonio zu mir hinunter und streicht mir eine Haarlocke aus dem Gesicht. „Ich wollte dich gerade suchen, da ist mir das Brot aus der Hand gefallen. Ich hatte vergessen, dass du den Korb hast –“
„Wie konntest du einfach verschwinden, ohne mir Bescheid zu sagen?“, frage ich aufgelöst und senke meine Stimme vor den neugierigen Marktleuten.
„Wir wissen noch nicht, wie die Menschen hier auf dich reagieren! Dir hätte sonst was passieren können! Ich dachte, jemand hat dir etwas angetan!“
Santiago lächelt unschuldig. „Aber wieso sollte mich denn jemand angreifen?“
„Weil dein Land dem meinigen den Krieg erklärt hat!“, erinnere ich ihn. „Was, wenn das Vertrauen in dich noch nicht ganz wiederhergestellt ist?“
„Lucía, das haben wir doch alles richtiggestellt. Das ist doch der Zweck unseres Besuches. Außerdem erkennt man uns nicht.“ Er deutet an seine einfache Kleidung herunter. Tatsächlich sieht er beinahe so aus, wie ein Landwirt.
Ich schüttle den Kopf, stopfe das Brot in den Korb und will mich gerade umdrehen und den Marktplatz verlassen, als ich einen sanften Schubs spüre.
Erleichtert atme ich auf. „Negro!“ Ich streiche ihm über die Mähne und erblicke hinter ihm Santiagos Schimmel. „Brave Pferde.“ Ich befestige den Korb an der Satteltasche und steige auf meinen Rappen.
„Nach Hause“, flüstere ich, ohne einen weiteren Blick auf Santiago hinter mir zu richten.
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Die Grenzen zwischen uns *abgeschlossen*
Любовные романы„Es ist mir eine große Ehre, Euch kennenzulernen, Prinzessin Lucía" Unwillkürlich durchfährt mich ein weiterer Schauer, während er meine Hand langsam an seinen Mund legt und sie vorsichtig küsst. Mein Atem stockt. „Die Ehre ist ganz meinerseits"...