Kapitel 13

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Nur noch wenige Tage trennen mich von der Krönung. Und Francisco und Sofia sorgen dafür, dass ich diese so intensiv wie möglich nutze. Von der Schneiderei werde ich direkt weiter zu zwei Zofen geschickt, die die Aufgabe haben, mein Haar für die Krönung herzurichten.

"Ich denke, wir machen eine Hochsteckfrisur", sagt eine der Beiden und steckt mein Haar provisorisch mit einer Haarklammer hoch. "Genau die Frisur, die sich Seine Majestät gewünscht hat."

Francisco seufzt ein weiteres Mal. Bereits der Besuch bei der Schneiderei ist mehr als nervenraubend für ihn gewesen.

"Ich denke, Prinzessin Lucía sollte ihr Haar genauso lassen, wie immer", meint er.

Die Zofen starren ihn entsetzt an. "Doch nicht bei einer Krönung!", schimpft die eine, während die andere erklärt: "Das ist gegen den Befehl des Königs!"

"Aber es ist ein Befehl Seiner Hoheit", stellt Francisco fest und ich wende ihm überrascht den Kopf zu. "Tatsächlich?", frage ich.

"Sie sieht perfekt aus, auch ohne eine alberne Hochsteckfrisur", meint er und spricht dabei das letzte Wort aus, als sei es ein Schimpfwort.

Unwillkürlich muss ich lächeln. Einerseits, weil ich Francisco mehr als dankbar dafür bin, dass er dafür sorgt, dass ich mich so wohl wie möglich fühle. Andererseits, weil ein kleiner Teil in mir den Wunsch hegt, Santiago hätte dies tatsächlich befohlen. Doch seit jenem Abend bin ich mir mehr als unsicher, wie er wirklich zu mir steht.

Während sich die Zofen weiter mit Francisco über meine Frisur streiten, entferne ich mich mit langsamen Schritten von ihnen und schließe die Zimmertür hinter mir. Schlagartig verhallen die Stimmen von ihnen und schlagartige Ruhe erfüllt den Korridor.

Erleichtert atme ich aus und folge dem Korridor. Hier, im ersten Obergeschoss bin ich noch nie gewesen, doch Francisco hat mir heute Morgen erklärt, dass sich in diesem Stock die Gästezimmer im südlichen Flügel und die Schneiderei und Ankleidezimmer im nördlichen befinden.

Abrupt bleibe ich an einer Balkontür stehen, die sich neben mir aufgetan hat und ohne zu zögern öffne ich sie und stürme hinaus.

Die warme Luft weht mir angenehm ins Gesicht und ich lehne mich gegen das steinerne Geländer. Kurz schließe ich die Augen und atme ruhig ein und wieder aus. Morgen ist es so weit. Morgen werde ich Königin sein. Doch allein der Gedanke daran lässt das Blut in meinen Adern gefrieren.

"Die Adeligen ganz Carazitas und der Nachbarländer werden anwesend sein, daher erwarte ich eine tadellose Repräsentation meines Landes, von Euch, Prinzessin Lucía"

Die Worte von König Mateo schwirren mir seit unserer Unterhaltung durch den Kopf. Er zweifelt an mir. Er traut mir dieses Amt nicht zu und genau aus diesem Grund versucht er mich zu verunsichern. Doch genau deswegen muss ich ihm beweisen, wozu ich fähig bin. Er hat Respekt vor mir, das habe ich bemerkt – auch wenn es nur eine geringe Menge an Respekt ist – aber er glaubt dennoch, er hätte die absolute Kontrolle über mich und mein Verhalten.

Doch da hat er sich gewaltig geirrt. Ich werde mich niemals von ihm unterkriegen lassen

"Hier bist du"

Erschrocken fahre ich zusammen und blicke im selben Moment in die blauen Augen von Santiago. Er lehnt sich gegen den Türrahmen und sieht mich an.

Ich räuspere mich ein wenig. "Du hast mich gesucht?", frage ich. Wieso wird mir jedes Mal so heiß und kalt, wenn er mich ansieht?

Er schüttelt den Kopf und senkt den Kopf zu Boden. "Um ehrlich zu sein, brauche ich einfach nur eine Pause von der Politik", gesteht er und lächelt ein wenig. Er blickt an mir vorbei und sieht auf das Tal hinunter. "Ich wünschte, ich könnte öfter dort hinuntersehen", murmelt er sehnsüchtig.

Ich sehe ihn von der Seite an. "Hast du das früher oft getan?"

Er lacht trostlos. "Jeden erdenklichen Tag", antwortet er und verstummt schlagartig.

Wie gern ich in genau diesem Augenblick seine Gedanken lesen könnte. Trauert er der damaligen Zeit nach? Ist er wütend? Doch auf wen? Womöglich auf seinen Vater, der ihn zu alledem zwingt?

Ich folge seinen Blicken, die wie verträumt auf die Landschaft vor uns liegen. Auf einmal kommen mir die Worte von Königin Virginia zurück ins Gedächtnis. Genau wie jetzt haben wir dort hinuntergesehen.

"Du bist eine der Wenigen, die diese Schlussfolgerung nachvollziehen können. Außer mit Santiago kann ich mit niemandem über Dinge dergleichen reden."

Außer mit Santiago, denke ich, während ich ihn weiterhin beobachte und unwillkürlich lächeln muss. Hinter seiner so harten Schale muss sich wohl doch eine gefühlvolle Seele verbergen.

"Lucía... Lucía?"

Irritiert schüttle ich meinen Kopf und wische meine Gedanken rasch beiseite. "Was?"

Santiago mustert mich mit einer merkwürdigen Mischung aus Überraschung und Verwirrung. "Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?"

Verlegen streiche ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Tut mir leid, ich war in Gedanken"

Eine Weile lang sieht er mich stumm an, schüttelt dann jedoch den Kopf. "Ich habe dich nur gefragt, ob du für morgen vorbereitet bist", wiederholt er.

Morgen, denke ich ängstlich und hole tief Luft. "Ich hoffe es zumindest"

Völlig unerwartet hebt er langsam eine Hand und fährt mir durch mein Haar, bis sich die Nadel, mit der die Zofe mein Haar hochgesteckt hat, vorsichtig löst und mein Haar mir leicht über die Schultern fällt.

"Viel besser", sagt er leise und lächelt.

Unwillkürlich muss ich sein Lächeln erwidern. Mein schneller Herzschlag dröhnt mir in meinen Ohren und beinahe verspüre ich die Angst, Santiago könnte ihn hören.

"Aber es ist ein Befehl Seiner Hoheit", kommen mir die Worte von Francisco zurück ins Gedächtnis.

Mir ist, als würde ein Schwarm Vögel in meinem Körper auf und ab flattern und erneut spüre ich diese unnatürliche Hitze, während seine Blicke auf mir liegen.

Und in diesem Augenblick ahne ich bereits, wovor ich mich die ganze Zeit über gefürchtet und was ich für unmöglich gehalten habe.

Dass ich Gefühle für einen Mann entwickle, den ich anfangs so verabscheut habe.

Die Grenzen zwischen uns *abgeschlossen*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt