"Lucía Elena de Garcia!"
Ich zucke zusammen, als ich die fahl beleuchtete Eingangshalle in der Dämmerung betrete. Das kann nichts Gutes bedeuten...
Augenblicklich eilt eine Wache herbei. "Eure Hoheit, Seine Hoheit verlangt nach Euch!"
"Das war nicht zu überhöre", antworte ich und drehe mich zu Francisco um. "Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe. Sie haben etwas gut bei mir!"
"Eure Hoheit –", setzt er bereits an, doch ich schüttle den Kopf. "Ohne Sie hätte ich niemals mit Iván del Santo sprechen können. Ich bin Ihnen etwas schuldig!"
Zögerlich sieht Francisco auf den Boden. "Wenn Ihr erlaubt, Eure Hoheit, dass wir dieses Gespräch ein andermal fortsetzen?"
Ich verstehe nicht ganz, was er damit meint, doch ehe ich ihn fragen kann, werde ich von hinten gepackt und um die eigene Achse gedreht.
Das ist also der Grund, weshalb wir das Gespräch ein andermal führen sollen...
"Lárgate!", sagt er wütend und keine zwei Sekunden später ist Francisco bereits verschwunden und lässt mich mit meinem Ehemann alleine.
"Wo zur Hölle warst du?!"
"Ich kann mich nicht erinnern, dass ich Euch die Erlaubnis gegeben habe, mich zu duzen", bemerke ich trocken.
"Im Augenblick sind mir die Formalitäten mehr als egal" Seine blauen Augen funkeln mich an. "Du hast seinen Namen erwähnt! Was hat das zu bedeuten?"
Ein eisiger Schauer jagt durch meine Adern. Doch es nützt nichts. Früher oder später würde er es ohnehin erfahren.
"Ich habe mit Iván del Santo gesprochen", sage ich und erwidere seine kühlen Blicke. "Aus irgendeinem unerklärlichen Grund hielt es offenbar niemand für erwähnenswert, mich über die gigantische Menge an Armut in Carazita zu informieren!"
"Du hast was?", sagt er und sieht mich fassungslos an. "Lucía, ist dir eigentlich klar, in was für eine Gefahr du dich begeben hast? Iván del Santo ist kein harmloser Mann! Er hätte dich töten können!"
"Erstens beherrsche ich seit meinem achten Lebensjahr jegliche Verteidigungstechniken und kann daher gut auf mich selbst aufpassen. Und zweitens hätte er mich nur aus dem Grund beinahe getötet, weil anscheinend niemand von deiner Familie jemals auf die Idee gekommen ist, etwas gegen das Elend zu unternehmen!", schreie ich ihn an.
Abrupt zuckt er zurück. Meine Antwort scheint ihn kurz aus der Fassung gebracht zu haben.
Er will etwas erwidern, doch ich lasse es gar nicht erst dazu kommen: "Du weißt ganz genau, wie es um die Menschen im Elendsviertel steht, nicht wahr? Und du hast nicht einmal eine Sekunde lang daran gedacht, ihnen zu helfen." Ich hole Luft, während meine Blicke immer noch auf ihn gerichtet sind. "Hast du eine Ahnung, wie viele Menschen dort sterben, weil sie krank sind oder verhungern? Jeden Tag fünf Menschen. Fünf Menschen, die ein erfülltes Leben verdient haben, die es verdient haben eine Schule besuchen zu dürfen. Doch nichts davon geschieht! Und wieso nicht? Weil ihr alle wegseht! Jeder einzelne von deiner Familie!"
Mit schnellen Schritten wende ich mich von ihm ab. Sein Anblick schmerzt einfach zu sehr. Wie konnte er das vor mir verheimlichen? Hat er es etwa nie für nötig gehalten, mich mit den Problemen seines Landes zu konfrontieren oder sollte dies erst geschehen, wenn ich Königin bin?
"Lucía –", setzt er an, verstummt dann jedoch wieder.
"Was ist?" Ich drehe mich um und blicke ihn an. Seine Augen sind auf mich gerichtet und aus irgendeinem Grund kann ich seine Schuldgefühle aus ihnen lesen. "Weißt du, was ich nicht verstehe, Santiago? Wie ihr nach außen hin das perfekte, reiche Land vorspielen könnt, wo sich Carazita doch an der Klippe zum Abgrund befindet!"
"Ich wollte, dass du es erfährst", sagt er. '"Aber es war einfach zu gefährlich. Iván del Santo ist ein Mörder. Mehrfache Anschläge auf meine Familie sind ihm zu verdanken. Wegen ihm habe ich meine Großeltern verloren! Wie hätte ich zulassen können, dass du in seine Nähe kommst?"
Meine Augen verweilen auf seinen, doch ich schüttle den Kopf. "So gern ich dir all das glauben würde Santiago aber ich kann nicht. Denn deine Worte passen kein bisschen zu dem Menschen, der du die letzten Wochen für mich warst."
"Lucía, es tut mir leid, ich wusste nicht –"
"Nein, Santiago, ich habe genug von deinen Lügen", falle ich ihm ins Wort. "Ich wusste von Anfang an, dass du gegen diese Verbindung bist, immerhin hast du es mir ja deutlich genug gezeigt. Doch auch wenn die Hochzeit nicht in deinem Einverständnis war, in meinem war sie es auch nicht! Aber im Gegensatz zu dir verhalte ich mich nicht wie so ein... so ein tonto!"
Ich versuche mich zu beruhigen, doch immer noch pocht mein Herz wie wild gegen meine Brust und meine Hände zittern vor Wut. Und das alles nur wegen diesem... diesem tonto!
"Ich hatte keine Ahnung, dass es dir so geht, Lucía", sagt er entschuldigend. "Hätte ich das geahnt..."
"Dann hättest du was? Du hättest mich genauso angeschrien, als ich den Bürgerkrieg angesprochen habe!" Ich wanke einen Schritt von ihm ab. "Dabei habe ich nur versucht, dich besser kennenzulernen. Ich dachte, ich könne einen Draht zu dir bekommen. Wir haben Tausende von Soldaten wegen diesem Krieg verloren, glaubst du es war einfach, Tausenden von Familien zu sagen, ihre Väter, ihre Ehemänner werden nicht mehr zurückkehren?"
Eine Weile sieht mich Santiago schweigend an. Seine Blicke wandern von mir zu meinem Finger, an dem sich unser Ehering befindet.
"Ich weiß deine Mühe zu schätzen, Lucía", antwortet er leise. Seine Stimme klingt seltsam ruhig und ein wenig beschlagen. "Doch niemand, der nicht selbst im Krieg war kann annähend wissen, wie es ist dort zu sein. Und das gilt nicht nur für dich." Mit langsamen Schritten wendet er sich von mir ab und geht auf das Treppenhaus zu, doch ehe er die erste Stufe betritt, dreht er sich um und blickt auf die Flügeltür des Thronsaals. "Das gilt auch für meine Eltern."
Mit diesen Worten steigt er die Treppen hinauf und lässt mich in der Eingangshalle stehen, ohne etwas Weiteres zu sagen.
Doch ich kann ihn nicht einfach so gehen lassen.
Mit schnellen Schritten folge ich ihm und hole ihn im ersten Stock ein. "Santiago, warte!"
Und obwohl ich nicht damit gerechnet habe, hält er tatsächlich inne und blickt mich aus trüben Augen an.
Erst jetzt im Licht der Lampen erkenne ich, wie krank er aussieht. Wie bereits vor der Hochzeit hat er dunkle Schatten unter seinen Augen und seine Haut wirkt blass und beinahe durchsichtig.
"Dios", flüstere ich und blicke ihn entsetzt an. "Wann hast du das letzte Mal durchgeschlafen?"
"Das soll ein Witz sein, oder?", fragt er und sieht mich erschöpft an. "Ich kann seit fünf Jahren nicht mehr durchschlafen."
Seine Worte bringen mich zum Erstarren. Fünf Jahre... Vor fünf Jahren begann der Bürgerkrieg
"Santiago –", sage ich leise, doch er schüttelt den Kopf. "Wie ich bereits vor der Verbindung gesagt habe, solltest du dir keine Gedanken darüber machen"
"Ich will mir aber Gedanken darüber machen!", sage ich wütend. "Ich weiß nicht, wann du das verstehst, aber ich bin deine Ehefrau! Und wenn du mich nicht wie eine solche behandeln willst, dann behandle mich wenigstens wie eine... Freundin."
Santiago blickt mit einer Mischung aus Zögern und Ungläubigkeit an.
Vorsichtig, aus Angst vor seiner Reaktion, strecke ich meine Hand aus und umgreife sanft seine. Sie fühlt sich eiskalt an.
"Auch, wenn du dich dagegen sträubst, aber ich bin für dich da", flüstere ich und drücke seine Hand vorsichtig.
Und dieser Augenblick ist vermutlich der erste gewesen, in dem ich ein ehrlich gemeintes Lächeln auf dem Gesicht meines Ehemannes erblicken konnte. Und aus einem unerklärlichen Grund macht mich dieses Lächeln glücklicher, als alles andere.
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Die Grenzen zwischen uns *abgeschlossen*
Romance„Es ist mir eine große Ehre, Euch kennenzulernen, Prinzessin Lucía" Unwillkürlich durchfährt mich ein weiterer Schauer, während er meine Hand langsam an seinen Mund legt und sie vorsichtig küsst. Mein Atem stockt. „Die Ehre ist ganz meinerseits"...