Kapitel 19

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„Eure Majestät… Eure Majestät“
Eine leise, vertraute Stimme weckt mich am nächsten Morgen.
Blinzelnd blicke ich in das Gesicht von Francisco und realisiere im selben Augenblick erst, wo ich mich befinde.
Ich gebe ihm ein Zeichen und er verlässt das Zimmer und lässt mich mit Santiago zurück.
Lächelnd sehe ich in das Gesicht meines Ehemannes, der ruhig und friedlich neben mir liegt und immer noch meine Hand berührt.
Vorsichtig löse ich seine Hand von meiner, stehe leise auf und gehe geräuschlos aus dem Zimmer.
„Ich bitte um Verzeihung, Eure Majestät“, entschuldigt sich Francisco, nachdem ich die Schlafzimmertüre hinter mir geschlossen habe, „aber der Verteidigungsminister erwünscht eine Audienz.“
Diese Worte treffen mich wie ein Schlag. Ich soll den Minister treffen, der nicht nur mein Land bedroht, sondern auch Santiago schwer verletzt hat?
Ich räuspere mich, nicke dann jedoch. „Bitte richten Sie ihm aus, dass diese Audienz ohne Seine Majestät stattfinden wird“, sage ich und blicke auf die geschlossene Tür hinter mir. „Und sorgen Sie dafür, dass seine Genesung nicht gestört wird.“
In diesem Augenblick fällt mir das geheime Treppenhaus wieder ein. Nein, ich darf keinerlei Risiko eingehen!
„Und positionieren Sie zwei Wachen sowohl vor meinem, als auch vor seinem Schlafzimmer.“
Francisco nickt und eilt mit schnellen Schritten davon.
Sobald ich in meinem Schlafzimmer angekommen bin, lasse ich Sofia rufen und bitte sie, mir mit meiner Robe und meinem Haar zu helfen und nach weniger als zwanzig Minuten hat sie mein Haar zu einer Flechtfrisur hochgesteckt und mir in ein dunkelrotes Kleid geholfen.
In der Begleitung von Francisco, der seit dem Vorfall heute Nacht nicht mehr von meiner Seite zu weichen scheint, betrete ich den Thronsaal und richte meine Blicke auf einen großgewachsenen, muskulösen Mann mit kurzgeschorenen Haaren und einer sauberen Uniform.
„Señor Gomez, Eure Majestät“, informiert mich Francisco und bleibt wenige Meter hinter mir stehen.
„Ich heiße Sie willkommen, Señor Gomez“, begrüße ich den Mann, der sich vor mir verbeugt. „Auch, wenn es zu mehr als unerfreulichen Anlässen ist, wie Sie vermutlich wissen.“
„Ich finde keine Worte für die Geschehnisse der vergangenen Nacht, Eure Majestät“, sagt er und blickt zu Boden.
„Ich will, dass Sie mir von den Vorkommnissen berichten“, erwidere ich anstelle einer Antwort. „Wie kann es sein, dass Carazita sich auf das ausgebildete Militär verlässt und es dann zu einer solchen… Katastrophe kommt?“
„Ich bin untröstlich“, antwortet er. „Seine Majestät erteilte uns den Auftrag, Avenia anzugreifen. Die Schulden an unser Land sind immens. Die Teilung Avenias hätte spätestens am Tag nach der Hochzeit von beiden Königshäusern akzeptiert werden sollen, doch König Alberto hat den Vertrag verweigert. Also wurden meine Soldaten und ich an die Grenze geschickt, mit dem Befehl, das Land anzugreifen… doch einer meiner Soldaten konnte Seine Majestät nicht erkennen –“
Ich hebe eine Hand und bringe in damit zum Schweigen. „Einer Ihrer Soldaten konnte ihn nicht erkennen?“, wiederhole ich fassungslos. Mir wird speiübel und ich muss mich zusammenreißen, ihm nicht an die Gurgel zu gehen.
„Verzeihen Sie mir die Frage, aber wie schlecht müssen Ihre Soldaten ausgebildet sein, damit sie nicht einmal ihren eigenen König erkennen?“
Señor Gomez schüttelt den Kopf. „Eure Majestät, ich bitte um Gnade! Es handelte sich um einen Neuling! Nachdem wir bereits mit zwei Dutzend Scharfschützen das Land angegriffen haben, konnte man durch den aufkommenden Rauch kaum etwas sehen und die Kugel –“
Mit langen Atemzügen hole ich Luft. „Ich erwünsche keine Schilderung des beinahen Todes meines Ehemannes!“, befehle ich. „Und zugleich halte ich es für eine sehr respektlose Haltung, Ihre Königin anzulügen, Señor.“
„Aber Eure Majestät, ich würde nie –“
„Denn, wie wir beide wissen, war es nicht Santiago Álvaro Castilla, der Ihnen diesen Befehl erteilt hat“, falle ich ihm ins Wort. Meine Augen lassen ihn keine Sekunde lang aus den Augen. „Oder irre ich mich da etwa?“
Señor Gomez erstarrt vor meinen Augen. Kurz glaube ich, dass er vor mir zusammenbrechen wird, doch dann verändert sich etwas in seiner Miene.
Augenblicklich halte ich die Luft an.
Seine Augen verdunkeln sich und ein kaltes Lächeln blitzt in seinem Gesicht auf.
„Wie überaus klug meine Königin doch ist“, flüstert er und lacht.
Eine Gänsehaut läuft mir über den Rücken und ich spüre, wie sich Francisco hinter mir anspannt.
„Nein, Euer Ehemann hat uns diesen Befehl nicht gegeben“, fährt er fort. „Wir gehorchen nur einer Person! Der Person, die die Kriegserklärung und den Mord an Santiago Álvaro Castilla verlangte.“
Mein Herz rast mir bis zum Hals, aber ich versuche mich zu beruhigen und gebe Francisco ein Zeichen, ihn nicht anzugreifen.
„Wem gehorchen Sie?“, will ich wissen. Meine Stimme zittert ein klein wenig und obwohl ich diese Worte flüstere, durchschneiden sie die Luft, wie ein scharfes Messer.
Señor Gomez lacht laut auf und geht weiter auf mich zu.
„Nicht!“, zische ich Francisco zu, der sich in genau diesem Moment auf den Minister stürzen wollte.
Er starrt mich fassungslos an, als glaube er, ich habe den Verstand verloren, gehorcht dann jedoch und entfernt sich langsam von ihm.
Mein Herz rast in meiner Brust, während ich versuche, meinen Atem wieder zu regulieren.
„Wer?“, wiederhole ich herrisch und wende mich erneut dem Minister zu. „Ich will von Ihnen den Namen des Auftraggebers hören!“
Das Grinsen des Ministers wird immer breiter und der Ton seines Lachens lässt das Blut in meinen Adern gleichzeitig gefrieren und kochen. Ich sehe Santiago vor mir, mit schmerzverzerrtem Gesicht und trüben Augen. Beißende, lodernde Wut bricht in mir hervor und ich will mich am liebsten auf ihn stürzen und auf ihn einschlagen, als er keine zwei Sekunden später die Hand hebt und ein silberner Dolch im Licht aufblitzt.
Stockend wanke ich zurück und starre den Minister an.
„Wachen!“, ruft Francisco im selben Augenblick, in dem der Minister ausholt und sich mit dem Dolch die Kehle aufschlitzt. Das Gesicht zu einer grotesken Fratze verzogen fällt er auf die Knie und bleibt mit starren Augen am Boden liegen.
„Nein!“, ertönen verzweifelte Schreie, die ich erst nach wenigen Sekunden als meine eigenen Schreie ausmachen kann. Zitternd blicke ich auf den Toten vor mir, dessen Blut sich langsam auf dem Boden ausbreitet.
Ich schüttle den Kopf. Was mache ich jetzt? Nicht nur Santiago, sondern auch meine eigene Heimat sind in großer Gefahr! Wie kann ich herausfinden, wer uns etwas antun will, wenn sein Anhänger sich lieber umbringt, anstatt seinen Namen zu nennen? Was, wenn ihm alle seine Anhänger so treu ergeben sind? Was für eine Chance bleibt mir dann noch?
„Eure Majestät“, höre ich Francisco hinter mir und ich drehe mich langsam zu ihm um. Sein Gesicht ist bleich. „Geht es Euch gut?“
„Ja“, antworte ich schnell und nicke. Meine Blicke wandern von den hereinstürmenden Wachen zu Señor Gomez. „Bringt ihn hinaus.“
„Wie Ihr wünscht, Eure Majestät“, erwidert er und entfernt sich von mir, als vom Treppenhaus schnelle Schritte zu hören sind.
„Madre de Dios!“ Königin Virginia blickt fassungslos auf den Toten vor meinen Füßen. „Lucía! Was um Himmels Willen ist geschehen?“ Ihre Stimme zittert leicht, während sie mich mit weit geöffneten Augen ansieht.
Erst jetzt erblicke ich König Mateo neben ihr. Seine dunklen Augen liegen schlagartig auf mir und lassen meinen Herzschlag aussetzen.
„Ich wusste es“, zischt er und geht mit entschlossenen Schritten auf mich zu.
„Mateo!“, versucht ihn Königin Virginia zurückzuhalten, doch er registriert sie kein bisschen. Seine Blicke sind lediglich auf mich gerichtet.
„Es war eine vereinbarte Sache, oder nicht?“, schreit er mich an. „Dein Vater, der seine Abmachungen nicht einhält. Und du, die unserem Land nichts als Unheil bringt!“
„Was?“, entweicht es mir entsetzt. „König Mateo, dieser Mann ist ein Anhänger der Person, die versucht hat, Euren Sohn zu ermorden! Die Person, die den Krieg zwischen unseren zwei Ländern erklärt hat!“
„Wieder Anschläge“, murmelt der König und auf einmal verändert sich sein Gesichtsausdruck. Er klart sich auf, als hätte er plötzlich etwas begriffen.
„Was für ein günstiger Zufall“, sagt er langsam. „Mein Sohn stirbt und du bleibst einzige Königin über Carazita. Der Vertrag über die Teilung Avenias wäre null und nichtig, es gäbe keinen Krieg und Carazita wäre im Besitz von…“ Wütend verzieht sich sein Gesicht und er dreht sich zu mir um, sodass mich seine kalten Augen anfunkeln.
„Clever, Alberto. Aber leider nicht clever genug.“ Er gibt den Wachen eine Handbewegung und sagt etwas auf Spanisch.
Fassungslos schüttle ich den Kopf. „Ihr glaubt doch nicht etwa –“
„Sag mir, was ich nicht glauben soll“, erwidert er, während sich die Wachen mir langsam nähern. „Dass du im Auftrag deines Vaters meinen Sohn geheiratet und einen Mörder beauftragt hast, um das gesamte Land zu einem Teil Avenias zu machen?“
Ein leises Schluchzen ertönt von der Flügeltür, an der Königin Virginia immer noch steht. Ihre Augen sind gefüllt mit Tränen und sie hält sich ein Taschentuch vor ihr Gesicht.
„Sag mir, dass das nicht wahr ist, Lucía“, flüstert sie und sieht mich betreten an. Ihre Blicke zeigen mir, wie enttäuscht und verletzt sie ist.
„Eure Majestät, ich würde Eurem Sohn niemals etwas antun!“, versichere ich ihr und drehe mich zu König Mateo um. „Heute Morgen wurde ich von Francisco geweckt und zu ihm gebracht. Ich hatte keine Ahnung, dass er an der Grenze war, ich…“
Erneut kann ich sein Gesicht vor mir erkennen, das erfüllt ist von den schrecklichen Schmerzen, die er leiden musste. Wieso ist er zum Opfer geworden? Wieso muss gerade er leiden und nicht jemand anderes? Wieso… Wieso hat es nicht mich getroffen? Wieso ihn? Augenblicklich spüre ich, wie meine Augen feucht werden.
„Ich könnte niemals zulassen, dass jemand ihn so sehr verletzt… E-Er hatte solche Schmerzen... Wie könnt Ihr glauben, ich würde ihn tot sehen wollen?“
Königin Virginias Blicke treffen meine und verborgen hinter ihrem Taschentuch bringt sie ein erleichtertes Lächeln zustande. 
„Du hast ihm niemals auch nur eine geringe Art von... Zuneigung gezeigt“, bemerkt König Mateo. „Solche Dinge zu sagen ist immer einfacher, als sie wirklich zu tun.“
Er glaubt mir nicht, kommt es mir schlagartig. Er hat mir von Anfang an nicht geglaubt und jetzt will er mich verhaften und als Mörderin darstellen lassen…
Ich schlucke und hole tief Luft. „Dann lasst es mich Euch beweisen“, sage ich und nutzte damit die einzige Chance, die mir bleibt, um zu zeigen, dass weder mein Vater noch ich ein Mörder oder Verräter sind.

Die Grenzen zwischen uns *abgeschlossen*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt