Kapitel 42

98 4 0
                                    

"Ich freue mich, dass wir zu einer Übereinkunft gekommen sind, Eure Majestät", sage ich, während ich aufstehe und König Juan die Hand schüttle. "Ich werde alle logistischen Prozesse sofort in die Wege leiten, sodass wie vereinbart die ersten Lieferungen in der kommenden Woche eintreffen werden." "Peru ist mehr als dankbar für Eure Bereicherung, Eure –", kurz hält er inne, ehe er fortfährt, "Hoheit." Ich bringe ein schmales Lächeln zustande. "Nichts ist eine solche Bereicherung, wie der Handel mit Euch, Majestät" Langsam laufe ich mit ihm durch den Thronsaal. "Ich bin mehr als froh darüber, dass unsere Beziehung in Zukunft auf Frieden aufbauen kann."
König Juan lächelt. "Das haben wir Euch zu verdanken", erinnert er mich und verbeugt sich vor mir. "Meinem Volk geht es besser denn je dank Eurer Hilfe."
"Das Einzige, das mir wichtig ist, ist der Frieden", beteuere ich. "Und dieser kann nur durch inneren Frieden ermöglicht werden. Euer Volk ist für mich genauso wichtig, wie das meinige." Ich verneige mich ebenfalls vor ihm und gebe den Wachen ein Zeichen, die Flügeltüren unseres Thronsaales zu öffnen.
"Ich wünsche Euch eine gute Heimreise, Majestät!"
Kaum, dass König Juan den Thronsaal verlassen hat, löse ich mich aus meiner Maske und lasse mich stöhnend gegen die Wand fallen.
Augenblicklich wollen die Wachen auf mich zustürmen, doch ich hebe eine Hand und schüttle den Kopf. "Nicht – Bitte, lassen Sie mich einen kurzen Moment allein!"
Sie scheinen einen Augenblick zu zögern, verbeugen sich dann jedoch und verlassen den Thronsaal.
In mehreren Zügen hole ich Luft und versuche den aufkommenden Schmerz zu verdrängen.
Bereits zwei Wochen ist es her, seit meine Eltern nach Argentinien aufgebrochen sind. Zwei Wochen, in denen ich als ihr Stellvertreter die Sondierungsgespräche mit unseren zukünftigen Handelspartnern führe und die Logistik und Produktion, die wir mittlerweile erweitert haben, steuere.
Ich bin glücklich, dass sich die Wirtschaft meiner Heimat so sehr verbessert. Doch gleichzeitig schwächt die Arbeit meine Gesundheit so sehr, wie schon lange nicht mehr.
Ruhig, Lucía, rede ich mir zu und hole tief Luft. Du wirst dich nun endlich zusammenreißen und Stärke zeigen! Du wirst nun endlich die Wunden, die immer tiefer werden, vor der Außenwelt verbergen! Du wirst –
Doch ich soll keine Gelegenheit mehr haben, weiter darüber nachzudenken, was ich soll, denn in diesem Moment ertönen schnelle Schritte und mit einem Ruck werden die Türen aufgerissen.
"Eure Hoheit..." Fernando stürmt in den Thronsaal. Er ist völlig außer Atem und sieht mich mit weit geöffneten Augen an.
Augenblicklich versetzt mich sein Zustand in eine Schockstarre.
Noch nie habe ich ihn so gesehen.
Mir stockt der Atem.
Außer einmal.
Ein einziges Mal, das sich so sehr in mein Gehirn geprägt hat, wie nichts anders.
Zitternd gehe ich einen Schritt auf ihn zu und blicke in sein Gesicht, das so weiß ist, wie die Wand hinter ihm.
Angst spiegelt sich in seinen Augen wider. Pure, rohe und unüberwindbare Angst.
Ich kenne diesen Ausdruck.
"Was ist passiert?", flüstere ich, während ich instinktiv an meine Halskette fasse und mir die Frage stelle, ob ich die Worte tatsächlich aus seinem Mund hören will. Ob ich sie tatsächlich hören kann.
Hinter ihm höre ich laute Rufe und schwere Schritte, wie von einer rennenden Menge dringen gegen die Türen.
"Eure Hoheit", stößt Fernando hervor und sieht mich merkwürdig an. Es ist Angst, die ich aus ihm herauslesen kann, doch da ist noch etwas anderes, etwas was ich nicht richtig zuordnen kann.
Er sieht aus, als wäre ich es, um die er Angst hätte.
"Was ist passiert?", wiederhole ich. Meine Stimme klingt scharf, fast so, als würde sie die Luft durchschneiden, wie ein Fallbeil.
Ich gehe auf ihn zu und erwidere seine Blicke mit derselben Angst.
Fernandos Miene verzieht sich schmerzvoll und kurz spiele ich mit dem Gedanken, er könne sich verletzt haben, als er die Worte herausbringt, die die Wunden in meinem Inneren endgültig zum Reißen bringen.
"El Salvador"
Es sind lediglich zwei Worte.
Zwei Worte, die alles wieder an die Oberfläche werfen.
Zwei Worte, die den Schmerz, die Angst, die Hoffnung und die Trauer wieder an die Oberfläche meiner Wahrnehmung bringen und meinen Körper in Lähmung versetzen. Ich vernehme Stimmen, die durcheinander an mein Ohr strömen, die mir irgendetwas vermitteln wollen, während zeitgleich Militärbegriffe in meinen Kopf einfließen, von denen ich nicht einmal weiß, ob ich diese bereits an jenem Tag gehört habe, als mein Vater die Nachricht des Bürgerkrieges erhalten hat.
Der Bürgerkrieg, wiederholt die Stimme in mir.
Doch während ich an mein Volk, die Konsequenzen dieses Krieges für unser Land und die Bereitstellung und Sendung von Militärgruppen denken sollte, kreisen meine Gedanken, meine Ängste lediglich um eine Person.
Und genau das scheint auch Fernando klar zu sein.
"Eure Hoheit –", setzt er an, ehe ich ihm ins Wort falle: "Stellt sofort einen Zug bereit!", befehle ich und stürme an ihm vorbei ins Treppenhaus.
"Ich will, dass drei Militäreinheiten in fünf Minuten im Innenhof bereitstehen! Wir haben für diesen Fall die Zusatzrationen in den Kellern gelagert."
Augenblicklich erscheint Fernando neben mir. "Eure Hoheit, das geht –"
"Ich denke, ich habe mich klar und deutlich ausgedrückt!", schneide ich ihm das Wort ab und drehe mich um. "Fünf Minuten. Ich will, dass die erfahrensten Soldaten mit mir kommen. Sorgen Sie dafür, dass ein zusätzlicher Waggon für die Waffen zur Verfügung stehen! El Salvador besitzt kein großes Waffenarsenal."
Fernando schüttelt ungläubig den Kopf. "Eure Hoheit, Ihr scheint nicht richtig zu verstehen –"
"Nein, Sie scheinen nicht richtig zu verstehen!", erwidere ich scharf. "Diese Unterhaltung ist beendet, ich werde Sie in fünf Minuten erwarten!"

Die Grenzen zwischen uns *abgeschlossen*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt