Kapitel 15

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Als ich wieder zu mir komme, finde ich mich in meinem dunklen Zimmer wieder. Meine Augenlider sind schwer und ich wäre mit Sicherheit sofort wieder eingeschlafen, hätte ich nicht diese Schritte hinter mir vernommen.

"Erschrick nicht", flüstert eine Stimme und im selben Moment bin ich wie erstarrt und setze mich auf. Schmerzvolle Stiche, wie von Nadeln fahren durch meinen Kopf und ich stöhne leise auf. Meine Umgebung ist leicht verschwommen und dennoch kann ich die Person erkennen, die vor mir steht.

"Santiago wie bist du hereingekommen?"

"Du solltest dich lieber wieder hinlegen", sagt er, anstelle einer Antwort und kommt langsam auf mich zu, hält jedoch ein wenig Abstand zu meinem Bett.

Allmählich vergehen die Schmerzen und ich kann ihn ein wenig klarer vor mir sehen.

"Es geht schon wieder", murmle ich, während ich versuche, mich daran zu erinnern, wie ich hierhergekommen bin.

"Meine Eltern hielten es für eine angemessene Idee, unsere Schlafzimmer mit einem geheimen Treppenhaus zu verbinden", erklärt er. "Ich wollte nur nach dir sehen. Wie geht es dir?"

"Einen Augenblick" Ich schüttle den Kopf und starre ihn fassungslos an. "Du hieltest es also die vielen Wochen, die ich nun hier bin nicht für notwendig, mich über dieses Treppenhaus zu informieren?"

Einen Moment sieht er mich lediglich stumm an. Dann wendet er sich von mir ab und sieht durch meine Terrassentür. "Was glaubst du, wieso sie diesen Anschlag vollzogen haben?", will er von mir wissen, ohne zu mir zu blicken.

Meine Augen sind auf ihn gerichtet. "Du sagtest, sie wollen mich nicht als Königin"

"Niemand könnte so jemanden wie dich nicht als Königin wollen", sagt er und dreht sich zu mir um. Selbst in dem fahlen Licht des Mondes von draußen kann ich seine blauen Augen funkeln sehen.

Auf einmal beschleunigt mein Herzschlag. Was will er mir mit diesen Worten sagen?

"Und was ist der eigentliche Grund?"

Santiago seufzt und bleibt neben meinem Bett stehen. Nur noch ein Meter trennt ihn von mir und ich glaube einen Augenblick lang, nicht richtig atmen zu können.

"Das Volk hinterfragt die Hochzeit. Und wir müssen alles Mögliche tun, damit diese Zweifel verschwinden!"

"Die Menschen wissen von unserer Tradition der Zwangsehe", erinnere ich ihn. "Wieso sagst du deinem Volk nicht die Wahrheit?"

Doch Santiago schüttelt den Kopf. "Das Volk hält eure Tradition für krankhaft. In Carazita heiraten die Menschen, weil sie einander lieben."

Schlagartig versetzt mir diese Aussage einen Stich durchs Herz.

Weil sie einander lieben...

Ich atme ruhig ein und aus, ehe ich erwidere: "Ich hätte nicht gedacht, dir jemals in meinem Leben zuzustimmen"

Überrascht starrt er mich an. "Ich verstehe nicht", gesteht er. "Ich dachte, dass die Zwangsehe in eurem Glauben verankert ist?"

"Ja und nein", erkläre ich. "Unsere Familie hielt es nach den Kriegen für eine gute Idee, die Söhne und Töchter mit Menschen aus dem Volk zu vermählen, damit diese sich nicht diskriminiert fühlen. Sie wurden nicht ausgeschlossen, weißt du, was ich meine?"

Er nickt langsam und sieht mich tief an. Seine Blicke ziehen mich magisch an, doch in seinen Augen kann ich erkennen, dass er mit irgendetwas ringt.

Santiago holt tief Luft. Seine Stimme klingt nervös. "Und sag mir noch eines... Ist all das auch in deinem Glauben verankert?"

Ich senke den Kopf und blicke auf meine Hände. Bei dem, was ich ihm gleich anvertrauen werde, kann ich ihn einfach nicht ansehen.

"Ich hasse die Zwangsehe", flüstere ich leise. "Ich weiß, wie wichtig sie für den Frieden in unserem Land ist aber als ich selbst es war, die zwangsverheiratet wurde –" Ich verstumme schlagartig. Aus irgendeinem Grund habe ich das Gefühl, als würde ich meinen Vater verraten. Meinen Vater, meine Familie und mein Land.

"Aber ich habe es versucht, weißt du", spreche ich weiter und hebe den Kopf ein wenig um ihn anzusehen. "Ich wollte meinen Vater nicht enttäuschen. Und vielleicht hatte ich auch noch so etwas wie... Hoffnung."

Santiago sieht mich unverständlich an. "Hoffnung worauf?"

Ich schlucke. "Hoffnung, dass mein zukünftiger Ehemann womöglich doch nicht so schrecklich ist, wie ich zunächst gedacht hatte", antworte ich leise.

Meine Worte werden von der Totenstille abgelöst, die daraufhin entsteht.

Ich spüre seine Augen, die immer noch auf mir liegen, so stark, als hätte er die Fähigkeit, in mein tiefstes Inneres zu blicken. Von draußen sind die Rufe der Nachtvögel zu hören und das Plätschern des Wassers im Garten.

Doch meine Blicke sind lediglich auf meinen Ehemann gerichtet, der mich ansieht, in einer Mischung aus Trauer und Entsetzen.

"Es tut mir leid, Lucía", sagt er auf einmal und wankt einen Schritt zurück. Ich habe ihn noch nie in einem so nervösen Zustand gesehen. Bisher hat er sich mit gegenüber immer in einer tadellosen Haltung gezeigt, doch auf einmal scheint er nicht klar denken zu können.

"Ich wollte nicht... Ich musste doch nur..." Seufzend bricht er ab und entfernt sich von meinem Bett.

Verwirrt blicke ich ihm nach. "Was musstest du?", will ich wissen, doch ehe ich dazu komme, ihm diese Frage zu stellen, hat er bereits eine – neben der Vitrine verborgene – Tür geöffnet und sich zu mir umgedreht.

"Tut mir einen Gefallen und schlaft noch ein wenig, Eure Majestät", sagt er und keine zwei Sekunden später schließt er die Tür und lässt mich in meinem dunklen Schlafzimmer und der Gewissheit, Königin von Carazita zu sein, zurück.

Die Grenzen zwischen uns *abgeschlossen*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt