16. Erinnerung

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Es waren nur noch 10 Tage bis zu ihrer "Hochzeit". Idan hat trotz der Bedeutungslosigkeit dieses Ereignisses einige Menschen eingeladen, so dass jeden Tag der Briefkasten mit Antworten vollgestopft war. So auch an diesem Tag.

Noemie verlies das Haus nun regelmäßiger, um Einkaufen zu gehen oder sonstige Dinge zu erledigen. Häufig tat sie es auch gerne. Und ab und zu wenn sie gerade dabei war leerte sie den Briefkasten.
An diesem Tag kam der Postbote etwas später, gespannt schaute Noemie aus dem Küchenfenster und wartete. Diesmal wartete sie lange. Doch dann kam er mit einer Hand voll Briefen, die er ziemlich ungeschickt in den Briefkasten schob. 

Noch etwas ungeschickter stolperte sie aus der Tür heraus und rannte zu den Briefen.
Dabei vergaß sie, das der Schlüssel drine auf dem Tisch lag. Mit einem dumpfen Knall kam die Ernüchterung.
Sie hatte sich ausgesperrt.
Es war Herbst.
Der Himmel war dunkel und die Luft roch nach Regen. Ohne warme Kleidung saß sie nun hier draußen fest.

Schon komisch, dass man Leute einsperren sowie auch ausperren konnte. Und noch etwas komischer,  dass die meisten Menschen immer nur sich selbst aussperrten.

Sie setzte sich auf die oberste Treppenstufe, die durch eine kleine Überdachung den besten Schutz bot, für den Fall das es regnen sollte. Die etlichen Briefe in ihrer Hand kamen aus den unterschiedlichesten Gegenden. Neugierig blätterte Noemie sie durch. Manchmal hatte sie schon Briefe von Berühmtheiten entdeckt und fragte sich voher Idan all diese Menschen kenne. Meistens kam sie zu dem Entschluss, dass dies nun mal so wäre, wenn man solches Talent hat. Selten fand sie Namen, die sie tatsächlich kannte. Um so erschrockener musste sie in diesem Moment gewesen sein.

"Familie Noé"

Es war das natürlichste der Welt, das auch seine Familie an der Hochzeit teilnahm. Doch irgendwie hatte sie die Hoffnung, dass auch er so allein war sie. Dass auch er keine Familie hatte die man einladen wollte.

Sie konnte dem Drang nicht wieder stehen, also glitten ihre Finger durch das Papier.
Zerrissen legte sie den Umschlag beiseite und widmete sich dem sehr förmlichen Inhalt.

"Sehr geehrte Herr Idan Noé,

Familie Noé nahm die Benachrichtigung über Ihre bevorstehende Hochzeit mit Erstaunen sowie auch Freude entgegen. Niemand schien auch nur einen Hauch Ihres Wunsch sich in der nächsten Zeit zu Vermählen wahrgenommen zu haben, somit stieß es im Hause Noé auf äußerster Erregung. Auch die Wahl Ihrer Partnerin war höchst erstaunlich, da es das erste mal ist das man von Miss Nonnete gehört habe.
Mit freudiger Erwartung nimmt Familie Noé Ihre Einladung entgegen,

Gez. Jaen-Luke Noé"

Noemie verstand nicht so Recht. So wie sie oft Dinge nicht verstand schien auch dieser Brief nicht sonderlich viel Sinn zu ergeben. Waren sie nicht eine Familie?
Wie konnte man nur innerhalb einer Familie solche Förmlichkeiten an den Tag  legen?
Irgendwie hatte sie das merkwürdige Gefühl, das Idan doch einsam war. Dafür, dass er nie die Wärme einer Familie gespürt hatte, vielleicht noch ein Stück einsamer als sie. Und irgendwie berührte sie das so sehr, dass sie mit dem Regen anfing zu weinen, sodass Tropfen fielen vor denen sie auch nicht die Überdachung schützen konnte.

Langsam zog die Kälte durch ihre Kleidung und setzte sich unter ihrer Haut fest. Egal wie unangenehm es war, sie hatte keinen anderen Ort an den sie gehen könnte. Und ebenso hatte sie auch keine Nummer in ihrem Handy, die ihr weiterhelfen würde. Aber das war alles ihre eigene Schuld, auch wenn sie eigentlich nie etwas getan hatte. Denn manchmal ist es am schlimmsten tatenlos zu bleiben.

In der Kälte erinnerte sie sich an vergangene Dinge, die eine Form annahmen, welche einem Fiebertraum ähnelten. Völlig verschwommen und doch so klar. Irgendwie schmerzhaft, Angst einflößend.

Sie dachte an ihre eigene Familie.
Drei.
Drei Jahre hatte sie sie schon nicht mehr gesehen. Vor drei Jahren hat nämlich ihr letzter Verbündeter, ihr großer Bruder geheiratet und sie allein gelassen. Es war eine schöne Feier. Anfangs und dann lief für sie alles verkehrt. Warum eigentlich?
Wie kam es das dies die letzen Bilder ihrer Familie waren? Was kam danach?
Unheimlich klaffte die Lücke zwischen den einzelnen Erinnerungen. Etwas verdrehtes hatte sich dazwischen getränkt und dachte nicht daran seinen Platz aufzugeben. Jedes mal wenn sie versuchte die Gedanken zu enträtseln tratt ein stechender Schmerz auf, welcher sich durch ihren kopf bis in den Rücken zog. Viel zu schwer schlugen ihre Lidder nun zu. All dad war viel zu umständlich, also gab sie es auf und versuchte zusammengekauert der Kälte zu wiederstehen. Doe Kälte, die versuchte sie in ihren bitteren Schlaf einzubetten.

Wie lange würde er heute brauchen?
Würde er kommen und sie erlösen?
Was wird er wohl sagen wenn er sie so sieht? Wird er sich um sie sorgen?

Noemie erwischt sich dabei zu hoffen.
Sie fing an zu hoffen, dass er sich nicht nur aus Pflicht und Vergnügen um sie sorgte. Sie began eine Hoffnung zu hegen, welche an Gefühle glaubte, die in dieser Art von Beziehung nicht erlaubt waren. Es war schon zu spät für solch eine Art der Hoffnung.

Und dann an irgendeinem Punkt wurde alles schwarz. Und sie versank in der Tiefe dieses pechschwarzen Abgrundes. Der Leere ihrers Herzens und der Stille ihrer tauben Gedanken.

"..emie.. Noemie?! NOEMIE?!"

Dumpf spürte sie seine Hand an ihrer Wange. Seine Stimme die den schwarzen Schleier von ihren Sinnen nahm. Seine Augen waren das Erste, das sie sah. Wild flackernd und stark leuchtend. Ein Ausdruck, den sie sonst nie in seinem Gesicht fand.

Als ihr Bewusstsein mehr oder weniger zurück gekommen ist, trug er sie auch schon rein und die Treppe hinauf. Unsanft legte er sie auf dem Bett ab und verschwan eine Zeit lang. 

Ihr Körper war taub, ihre Glieder benommen. Zitternd bebte ihre Brust, während sie versuchte regelmäßig ein und aus zu atmen. Die Kälte schien allgegenwärtig.

"Weist du eigentlich wie kalt es draußen ist? Bist du noch ganz dicht, dich bei solch einem Wetter auszusperren?! Warum bist du nicht in irgendein Geschäft gegangen.."

Seine harten Worte regneten auf sie herab, während warme Tränen ihre Wangen benetzten. Sie hatte nicht nachgedacht oder zu viel. So oder so war ihre Entscheidung am Ende falsch und jetzt musste sie die Konsequenz tragen. Manchmal hatte sie auch diese Tatsache vergessen. Auch diese Wahrheit, die sie umgab wie die Luft zum atmen.

Verschwommen nahm sie wahr, wie er ihr oberteil auf knöpfte. Ein heißer Angstschwall floß ihren Rücken hinab. Ein komisches Gefühl zog ihren Magen zusammen, doch alles war so taub und bewegungslos. Sie musste wohl die Konsequenzen tragen. Die kniff die Augen zu während sie spürte wie nach und nach weniger Stoff ihre Haut berührte bis nichts mehr blieb. Beschämt traute sie sich kaum ihn an zu sehen. Immer noch kraftlos.

Diesmal vorsichtig nahm er sie wieder hoch und trug sie erneut einige Schritte weiter. Langsam lies er sie in dad warme Wasser der Wanne gleiten. Warm aber nicht heiß, sodass sie sich keine Verbrennungen zu ziehen konnte. Beschämt traute sie sich immer noch nicht die Augen zu öffnen. Doch dieses mal schämte sie sich für ihre Gefühle. Wie konnte sie ihm nur alles schlechte zutrauen und nie an das Gute hoffen.

Die Tränen die ihre Wangen benetzten wurden langsam kalt und dann eisig. Die Wärme der Badewanne und sein Körper, seine Hände, die ihr Bestes gaben die Taubheit aus ihren Gliedern zu vetreiben, bekamen langsam etwas angenehmes.
Beinahe so als schaffe sie es ihm zu vertrauen. Aber Vertrauen und Angst können nun mal nicht Coexsestieren und so verließen ihre Sinne sie erneut.

Sie versank in die Schwärze, doch dieses mal hatte der pechschwarze Abgrund etwas warmes an sich.

Ihr letztes Versprechen ~ KEANAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt