Idan ist etwas verwirrt.
Es ist mitten in der Nacht.
Eine fremde Nummer ruft ihn an. Der Vorwahl nach zu urteilen aus seinem Heimatland.
Unentschlossen, ob er ran gehen soll oder nicht lässt er es Klingeln.
Vielleicht ist es Emi.. soll er mit ihr reden?Zu spät das Handy verstummt und auf dem Display liest er die Nachricht „Ein Anruf in Abwesenheit".
Soll er zurück rufen?
Idan dreht sich wieder um.
Wenn es etwas wichtiges ist wird sie sich nochmal melden. Und für alles andere ist es besser er meidet sie. Denn momentan ist seine Sehnsucht an einem Punkt angekommen an dem er nicht weiß, was er tun soll. An dem er nicht weiß wie es weiter geht.Seine Gefühle so stark, dass er nicht anders kann als sie zu unterdrücken, zu ignorieren.
Doch wie lange hält ein Mensch das aus?
Wie lange hält er das aus?
Nachgeben könnte sie zerstören, nicht nach zu geben könnte ihn zerstören. Im Endeffekt bleibt nur die Frage, was ist ihm wichtiger? Sind seine Emotionen egoistischer oder selbstloser Natur?Seine Gedanken verstummen als er allmählich in den Schlaf fällt.
Morgens schaut er als aller Erstes auf sein Handy.
Keine neuen Nachrichten und auch keine weiteren verpassten Anrufe. Es wird also nicht wichtige gewesen sein.
Nach einem schnellen Frühstück packt Idan seinen Rucksack. Tohoku eine Region nördlich von Honshu ist sein derzeitiger Aufenthaltsort. Mit seiner malerischen Landschaft gibt es hier einiges zu sehen. Tempel in den Bergen, überall Flüsse, alles ist grün und ruhig. Im Verhältnis zu Tokio ein menschenleeres Paradies. Aber erbmuss sich beeilen wenn er rechtzeitige an die Küste will. Die Wolken sind dabei sich zusammenzuziehen und die Luft ist schon schwül. Tja im Sommer hier aufzutauchen war nicht seine beste Idee. Genau zur Regenzeit.Sein Hotel liegt direkt bei einem kleineren Bahnhof.
Ein wenig abgehetzt bekommt er gerade so seinen Zug, der ihn zu noch abgelegeneren Orten auf dem Land bringt. Die Strecke führt ihn an der Mutsu Bay vorbei. Das Wasser glänzt und schäumt sanft gegen die Küste. Der Zug fährt so knapp daran vorbei, das Idan beinahe das Gefühl hat sie würden über dem Wasser schweben. Nach guten 40 Minuten kommt der Zug in Asamushi an.
Der Wind schlägt ihm ins Gesicht.
Die Seeluft schmeckt salzig.Emi hätte es geliebt. Sie hätte ihn dazu gezwungen genau hier zu bleiben bis die Sonne untergeht. Um dann zu jammern, weil ihr kalt ist und sie nicht warm genug an ist.
Idan ist verwundert darüber wie sehr einem die Präsenz eines Menschens auffällt wenn er dann einmal nicht mehr da ist. Wie sehr sie eine, Fehlen kann.
Vielleicht hätte er sie doch zurückrufen sollen.
Jetzt ist es schon Nacht bei ihnen Zuhause.
Zuhause.. das er es immer noch so nennen konnte. Er hat das Anrecht darauf verwirkt als er sein einzig wahres „Zuhause" ganz allein zurück gelassen hat.
Sich jetzt zu melden nützt auch nichts oder?
Sie hat ihn doch auch mitten in der Nacht geweckt. Na ja das kann er ihr auch nicht übel nehmen, sie kann ja nicht wissen das er gerade in Japan befindet, wo es 7 Stunden später ist. Das ist allein seine Schuld. Aber so ist es ihm auch lieber.Er schüttelt den Kopf. Reibt sich genervt die Brauen.
Es reicht. Er hat besseres zu tun.Völlig gedankenlos stellt er das Stativ für die Kamera auf.
Geht die Einstellungen durch. Landschaftsaufnahmen sind zwar nicht sein bevorzugtes Gebiet, doch bei dieser Szenerie kann er nicht widerstehen. Menschen würden dem Bild noch mehr tiefe verleihen, aber damit muss er jetzt zurechtkommen. Aber vielleicht kann er ja etwas wie seine Hände oder gar sich selbst nutzen um dem Bild das gewisse etwas zu Verleihen. Vielleicht sieht er dann ja das in sich, was sie an dem einen Abend gesehen hat.Stunden vergehen ohne das er es bemerkt.
Sie Sonne steigt und sinkt.
Der letzte Zug nähert sich.
Als das Klingeln seines Handys ihn aus dieser faszinierenden Welt reist.„Warum gehst du nicht an dein Handy?! Verdammt nochmal, ich hab.."
Noch bevor Idan sich mit seinem Namen melden kann schreit Lynn ihn durch das Telefon an. Woraufhin er dieses ein Stück weiter weg hält.
„Jetzt bin ich ja dran oder?"
„Ja endlich.. aber das ist auch zu spät.. alles ist zu spät."
Lynn heult.
So laut wie Idan es noch nie miterlebte.„Was ist zu spät Lynn?"
Noch bevor er fragt breitet sich ein bitteres taubes Gefühl in seinem Mund aus, das ganz langsam in seinen Rachen wandert.
„Emi.."
Schluchzend bricht ihre Stimme ab, während Idan kein Wort herausbekommt.
„Emi ist .."
Erneut wird Lynns Stimme abgewürgt. Für Idan läuft alles in Zeitlupe ab, doch sein Herz rennt.
„Gib das verdammte Telefon her Lynn."
Ciels Stimme ertönt dunkel in Idans Ohren.
Wenn Ciel da ist bedeutet das nichts gutes.
Er macht sich bereit.„Was hast du Arschloch dir eigentlich dabei gedacht abzuhauen und sie in einem solchen Zustands zurückzulassen. Bist du nicht mehr ganz dicht?! Ist mir ja egal was du anstellst, aber zieh da unseren Namen nicht mit rein."
Ciel geht es mal wieder nur um den Ruf der Familie.
Seine Unmenschlichkeit widert Idan an und doch ist es eine der Gemeinsamkeiten zwischen ihnen.„Ciel halt den Mund und sag mir was mit Emi los ist. Ist sie abgehauen?!"
„Sie hatte einen Autounfall.."
Mehr hört er nicht.
Ein schrilles Geräusch hallt in seinen Ohren, als er das Handy fallen lässt. Es dauert wenige Minuten bis Idan in die Knie sackt, sein Handy wieder an sich nimmt.„Hallo Idan? Bist du noch da?"
„Wie schlimm ist es?"
„Ihr Auto wurde gerammt, hat sich mehrfach überschlagen und ist dann auf der Straße liegen geblieben. Als der Notarzt bei ihr an kam war sie schon nicht mehr bei Bewusstsein."
Ciel rattert die Fakten gnadenlos runter.
„Sie hat ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit mehrfachen Schädelfrakturen und einer einfachen Hals-Wirbelsäulen Fraktur. Sie hat viel an Blut verloren."
„Wird sie es überleben?!"
Idan hält die Tränen zurück.
„Mach dich auf das Schlimmste gefasst und komm so schnell wie möglich zurück. Ich hab keine Lust mich um deine Angelegenheiten zu kümmern. Vor allem nicht wenn es nachher um die Beerdigung deiner Frau geht."
Die Leitung bricht ab.
Ciel hat einfach aufgelegt.
Idans Kopf funktioniert nicht mehr.
Egal welche Befehle er an seinen Körper weiter gibt.
Er macht nichts.Geschieht ihm Recht.
Die Situation war schon einmal so schlimm und trotzdem hat er sie allein gelassen.Doch Emi hat das nicht verdient. Zu sterben aufgrund seiner Ignoranz. So wie Noemie schon aus dem selben Grund gestorben ist.
Sein Versagen.
Seine Ignoranz.
Sein Selbsthass.Ohne noch weiter Minuten zu vergeuden macht Idan sich auf den Weg. Er lässt alles stehen und liegen. Diese Materiellen Dinge haben keine Bedeutung im Vergleich zu dem was er dabei ist zu verlieren. Noch nie hat er es so sehr bereut etwas nicht gesagt zu haben. Noch nie hat er eine solche Verzweiflung verspürt. Es wird Stunden dauern bei ihr anzukommen. Er kann nur hoffen. Aber hat er überhaupt ein Recht dazu? Selbst in diesem Moment beschäftigt ihn die bescheuerte Frage nach dem Recht. Was bringt das ihm schon am Ende.
Nichts.
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Ihr letztes Versprechen ~ KEANA
Romance!!Vorsicht Trigger-Warnung!! Dies ist eine Geschichte über Persönlichkeitsstörrungen, Neurosen und weitere Dinge, die das Leben verkomplizieren. ~ Sie fragt sich, ob sie einen Menschen jemals wirklich lieben kann. Ob sie ihre...