9. Begegnung

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Wie so oft ist Emi sich selbst im Weg.
Mittlerweile hat sie mehr über Gefühle gelernt als ihr lieb ist.
Eifersucht ist einfach nur schrecklich.
Trauer benebelt jeglichen Sinn.
Aber ein Gefühl ist das schlimmste von allen. Es ist das eine Gefühl, welches sie lieber nicht kennen würde.
Liebe.

Liebe gibt es in so vielen Formen.
Egoistisch oder Selbstlos.
Zu sich selbst oder zu jemand anderem.
Besitzergreifend oder offen.
Einsam oder Gemeinsam.

Emi hat angefangen zu lieben. Einsam. Ihre Liebe könnte nie erwidert werden. Nie Erfolg haben. Sie war nicht verboten abed auch nicht erlaubt. Es war grausam.
Sie würde ihn am liebsten verlassen, aber sie kann einfach nicht. Auch wenn er nur durch sie hindurch sieht, ist es trotzdem irgendwie warm. Auch wenn seine Liebe nicht ihr gehört, will sie alles tun um die Leere zu füllen.

Deshalb hat sie angefangen mehr mit ihm zu reden. Einfach so in sein Studio zu kommen.
Sachen die Noemie nie gemacht hätte aus Angst. Noemie hatte Angst fallen gelassen zu werden. Genau die Angst, die Emi jetzt auch hat. Das war es was es bedeutet zu lieben. Sich zu öffnen. Einem Menschen völlig schutzlos zu zeigen. Man übergab einem anderen die Macht über sich. Die Macht einen stärker zu verletzten als alles andere in der Welt.

Und warum?

Weil man vertraut.
Weil man die Nähe braucht.
Weil das Risiko es wert ist.
Weil dieser eine Mensch es wert ist.
Weil man sich von diesem einen Menschen auch gerne verletzten lässt.

Emi liebt vollständig und Selbstlos, genau wie Noemie. Doch die Angst hält sie im Zaum.

"Woran arbeitest du?"

"Immernoch der Suche nach dem Individuum. Mein verzweifeltes Projekt mit dem ich mich eigentlich selbst verwirklichen wollte."

Idan seufzt, lehnt sich zurück, die Hände hinterm Kopf.

"Und bist du schon weiter gekommen?"

"Weißt du mit dir hatte ich einen richtigen Durchbruch. Diese vollkommene Ehrlichkeit in deinen Augen, in deinem Ausdruck. Auch wenn es Verletzlichkeit bedeutete, hast du nie etwas zurück gehalten oder versteckt."

Ah so war das also.
Emi hat es durchschaut.
Noemie hat ihn von Anfang an geliebt. Diese Gefühle, diese Angst, das alles - war Liebe.
Und das hat sie zerstört.

"Und hast du herausgefunden, warum? Warum Noemie so einzigartig war?"

"Nein.. Es haben sich jeden Tag neue Rätsel aufgeworfen. Aber ich hatte noch nie so viel Spaß. Ich hab noch nie so viel über Gefühle, Wahrheit und das Individuum gelernt. Von daher war es eine gelungene Investition."

Seine Augen sehen irgendwie verrückt aus. So fixiert und doch frei. Entschlossen alles herauszufinden.

"Hast du schon mal dich selbst fotografiert?"

"Ach ich bin uninteressant."

Das stimmt nicht.
Er ist so interessant.
Sein ganzer Ausdruck.
Welche Seiten hat er Noemie noch gezeigt? Emi will sie alle sehen.

"Nein."

Sie geht auf seinen Arbeitsplatz zu. Er sitzt in einem Stuhl, sodass er beinahe auf Kopfhöhe mit ihr ist. Sie nimmt sein Gesicht in ihre Hände. Streicht ihm mit den Fingern über die Wangen.

"Ich glaube ein vollständiges Individuum gibt es nicht. Egal wie ich es wende."

Sie dreht seinen Kopf in ihren Händen.

"Eine Vollständige Wahrheit bilden wir nur in Verbindung mit jemand anderem oder etwas anderem. Zumindest die Art von Wahrheit, die du suchst."

"Nein. Das stimmt nicht. Du hast sie auch und du stehst ganz allein da. Sogar ohne Erinnerungen."

Es tut weh.
Es tut so weh.
Wasser fühlt ihre Augen.
Sie gibt einen verachtenden Laut von sich.
Lässt ihn los. Wischt die Tränen weg. Lächelt.

"Was ist los?"

"Nichts."

"Doch. Sag schon."

"Du verstehst auch nichts oder?"

"Was hab ich nicht verstanden?"

"Alles."

"Was meinst du?"

"Du bist manchmal so Verpeilt. Manchmal bist du so.."

"Was bin ich?"

"Ein Idiot. Ein Idiot, der nichts versteht."

Fragend schaut Idan Emi mit hochgezogener Augenbraue an.

"Du bist einfach doof."

Etwas genervt und irgendwie wütend stapft Emi aus dem Studio. Idan hält sie nicht auf. Er hat noch Arbeit zu erledigen. Sie hätte ja eh nur so eine Phase. Emi nimmt den nächsten Bus nach Hause. Kocht. Ohne ihn.
Diesen Abend kommt er spät nach Hause. Und als er endlich da ist, ist sie auch schon am schlafen. Na ja sie tut so.

Würden sie jemals nicht an einander vorbei reden?

Ihr letztes Versprechen ~ KEANAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt