12. Moment

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Emi hat nach Tagen das erste Mal die Augen geöffnet. Doch ihre Reaktion war merkwürdig und nicht vollständig. Die Ärzte sagten Idan, dass sie im Wachkoma liegt. Ein Zustand in dem es ungewiss ist, wann sie wieder aufwacht. Man weiß nicht genau, was sie mit bekommt, aber noch lebt sie.

Erleichterung macht sich für einen kurzen Momen in ihm breit, um dann durch Befürchtungen ersetzt zu werden. Was wenn sie nie wieder klar wird? Wenn sie den Zustand nicht verlassen kann?

Idan weiß nicht wann er das letzte mal etwas gegessen hat. Wann er das letzte mal zuhause war oder duschen gegangen ist. Verwahrlost.
Das Problem ist, dass sie niemanden hat außer ihm, der nach ihr schaut. Na ja vorher hat ihn das auch nicht interessiert.
Das er sich jetzt der Verpflichtung ihr gegenüber annimmt aufgrund von Schuldgefühlen ist nicht fair. Idan ist sowie so nie fair was Gefühle anbelangt.

Er teilt sie nicht.
Er nimmt sich, was er will.
Er versteht oft nicht was andere empfinden und wenn er es versteht ist es zu spät.
Lieber zieht er sich aus der Affäre, anstatt Verantwortung zu übernehmen. Warum also nicht jetzt?

Seine Empfindungen sind schon zu tief mit Emis verwoben. Er kann sich da nicht mehr heraus nehmen.

Erschöpft von dem Chaos das er selbst verursacht hat riskiert er es sie ein zwei Stunden allein zu lassen, um sich wieder ordentlich zu machen.

Daheim angekommen schaut er sich um.
Sie hat alles unverändert gelassen.
Ihr Zimmer ist unangetastet, seins hingegen ein kleines Chaos. Scheinbar hat sie ihn mehr vermisst als sie es gezeigt hat.

Er muss schmunzeln. Aus irgendeinem Grund freut es ihn.

Dann wenige Sekunden später stirbt dieses warme Gefühl. Überall liegen seine alten Skizzenbücher. Sie beinhalten Informationen in Form von Bildern, die er eigentlich niemals preis geben wollte. Ob Emi die Geheimnisse entdeckt hat? Seine Emotionen die er darin verschlossen hat?

Ein kalter Schauer läuft ihm den Rücken runter. Die Angst vor ihr emotional entblößt zu sein beunruhigt ihn.

Nur zu Recht.
Er hat sie schließlich auch dazu gezwungen sich zu öffnen. Schon von ihrer ersten Begegnung an hat er gefordert, aber nie zurück gegeben. Es ist also nur richtig das sie diese Dinge gesehen hat.

Idan geht duschen.
Isst etwas und macht sich wieder fertig fürs Krankenhaus.
Er packt ihr ein paar Sachen ein.
Gegenstände die ihr etwas bedeuten und ihr vielleicht beim zurück kommen helfen.
Gerüche,
Geräusche,
Vielleicht auch Berührungen.
All diese Dinge können ihr Bewusstsein anreizen.

Zu Idans Überraschung ist er nicht allein als er ins Krankenzimmer herein kommt. Eine unbekannte Frau schaut ein wenig weggetreten auf Emi herab. Sie ist kein Personal. Doch irgendetwas an ihr kommt ihm bekannt vor.

"Wer sind sie?"

"Oh.. tut mir leid, dass ich hier einfach so herein gekommen bin. Vielleicht sollte ich jetzt lieber wieder gehen."

Sie wendet den Blick zum Boden, dreht sich um und will schleunigst an Idan vorbei.

"Ich frag noch einmal, wer sind sie?"

Die Frau dürfte um die 50 sein.
Klein. Etwas rundlich und nicht gerade in der besten Verfassung. Entschuldigend schaut sie ihn an.

"Ich weiß ich sollte nicht hier sein, aber ich hab von dem Unfall erfahren und musste einfach nachsehen ob es wirklich sie ist."

Idan packt die Frau ungeduldig am Arm.

"Ein letztes mal, wer sind sie?!"

"Ich bin ihre Mutter."

Erschrocken lässt er sie los.
Diese Frau könnte nicht weniger Ähnlichkeiten mit Emi haben. Nichts deutete diesen Verwandtschaftsgrad an.

"Ich bin ihr Mann. Idan Nôe."

Auch wenn es ihn reizt weiter nachzubohren kann Idan seine Erziehung nicht vergessen. Höflich stellt er sich vor.

"Ich weiß. Noemie hat uns einen Brief geschrieben. Es tut mir leid, dass wir nicht bei der Hochzeit dabei waren. Die ganze Situation ist etwas kompliziert. Aber ich bin beruhigt sie in so guten Händen zu wissen."

Verächtlich verzieht Idan seine Mundwinkel. Diese Frau lügt entweder oder Noemie hat ihm nicht die volle Wahrheit gesagt. Letzteres hält er für sehr unwahrscheinlich. Er kann es nicht glauben wie ihre Mutter jetzt auf einmal ein Interesse an ihr zeigt. Gleichzeitig kennt er nicht alle Umstände, also hält er seinen Zorn zurück.

"Ach ja. Und was an dieser Situation lässt sie glauben, dass sie in guten Händen ist?"

Er bemüht sich so freundlich wie nur möglich zu bleiben, aber er kann seine Abneigung nicht zurück halten.

"Es tut mir leid. Ich weiß ich hatte kein Recht hier her zu kommen und ich hab auch kein Recht mich irgendwie in Noemies jetziges Leben einzumischen. Und ich hab auch absolut kein Recht mich wie ihre Mutter aufzuführen, aber bitte, bitte, kümmern sie sich gut um sie."

Idan hat beinahe Mitleid, doch er findet keine weiteren Worte für diese Frau. Er lässt sie einfach stehen und geht weiter zu Emi.

Sie sieht so ruhig aus.
Sanft. Sie hat also höchstwahrscheinlich nichts hier von mitbekommen.
Gut so.

Idan hört gerade noch wie die Frau die Zimmertür hinter sich zu macht. Erleichtert atmet er auf.

"Ich bin wieder da."

Er streicht ihr behutsam über die Stirn.

"Dies mal werde ich wirklich nicht mehr gehen. Ich hab dir sogar mein Parfüm mitgebracht."

Idan sprüht etwas davon auf das Kopfkissen. Er hat bemerkt wie daheim seine ganze Bettwäsche danach roch. Anscheinend hat sie das gegen die Einsamkeit gemacht.

Ins geheim verspricht er sie nie wieder allein schlafen zu lassen. Vielleicht hören so auch ihre Albträume auf und die Angst das er sie nur liebt weil sie Noemies Körper besitzt. Dabei hat er sich in beide Seiten von ihr verliebt.

Aber was ist wenn sie nie verbunden sind? Wenn er nur eine der Seiten bei sich haben kann?

Idan denkt nicht weiter über solche komplexen Hirngespinste nach. Er mag diese ganzen was wäre wenn nicht. Vor allem dann nicht wenn sie tatsächlich eintreten.

Ihr letztes Versprechen ~ KEANAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt