27. Moment

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"Ich muss dir etwas sagen. Ich weiß nur nicht wie."

Ist das erste, was Noemie am nächsten Tag liest. Sie bereut es nicht wach geblieben zu sein. Er ist noch eine ganze Weile danach online gewesen. Vielleicht hat er auf ihre Reaktion gewartet. Was will er ihr sagen?
Was wenn er ihr sagt, dass er sie nicht lieben kann?
Was wenn er ihr sagt, dass es besser ist alles zu beenden?
Ist es schon vorbei?

Aus Angst schaltet sie das Handy komplett aus. Sie will ihm nicht schreiben. Sie will es nicht hören.

Er wird dich im Stich lassen.
Er liebt dich nicht.
Er ist genau wie die anderen.

Noemie hält sich die Ohren zu damit die Stimme aus ihren Gedanken verstummt.
Es funktioniert, aber sie traut dem ganzen nicht. Sie versucht eine Routine in ihren Tag rein zu bekommen. Macht sich einen Wochenplan. Je weniger Zeit sie hat nachzudenken desto besser. Sie macht das Radio an. Musik vertreibt die Stimmen in ihrem Kopf.

Frühstücken,
An der Leinwand arbeiten,
Aufräumen,
Lesen,
Draußen spazieren gehen,
Sport,
Abendessen kochen,
Eine Serie schauen oder wieder lesen,
Schlafen gehen.

Das soll vorerst ihre Routine sein.
Hin und wieder Arztbesuche oder mal einkaufen gehen. Wiederholende Abläufe bringen Ruhe in ihr Inneres. Aber ihre Gedanken schweifen immer noch zu ihm ab. Egal was sie macht seine Name taucht bei den unterschiedlichsten Kleinigkeiten erneut auf. Sei es eine Szene in dem Buch, die ihm gefallen würde. Essen, das er mag oder sein Geruch im Bad, an ihren Klamotten und den Bettlaken.

Abends als sie das Handy neben sich liegen sieht, wird sie nervös. Ihr Herz schlägt unangenehm schnell. Ihr Atem geht unregelmäßig und alles scheint durcheinander. 'Was wenn' kommt ihr wiederholt in den Sinn. Sie erträgt es nicht mehr. Nimmt es in die Hand und schaltet es ein.

Sie haben womöglich neue Nachrichten.

Informiert sie die Benachrichtigungsleiste, während das Internet lädt. Bedrückend legt sich etwas auf ihre Brust nieder und schnürt ihr so langsam die Luft ab.

2 neue Nachrichten von Idan (Ehemann).

Will sie sie wirklich öffnen?
Neugierde und Angst sind eine ungute Mischung. Zitternd bedient sie den Display.

"Redest du jetzt nicht mehr mit mir?"

"Hab ich etwas falsches gesagt?"

Die Nachrichten kamen beide gegen Mittag an. Sie wartet darauf zu sehen, wann er zuletzt online war.

Online.

Ihr Herz bleibt stehen.
Sie verlässt den Chat so schnell es geht.
Aber seine Nachrichten werden bei ihm schon blaue Haken haben und oben wird er sehen, dass sie noch gerade in der App war.

Frustriert würde sie sich am liebsten jedes einzelne Haar raus reißen. Kann sie auch mal etwas richtig machen?

Hör auf dich schlechter zu machen als du bist.

Diesmal ist es nicht eine dieser zersetzenden Stimmen, sondern seine die mit ihr spricht. Selbst wenn er nicht da ist und auch wenn sie solche Sachen nur denkt, weiß sie sofort, was er sagen würde.
Warum hat sie also Angst vor dem, was er ihr erzählen möchte? Hat sie so wenig Vertrauen?

"Tut mir leid. Ich hatte Angst vor dem, was du sagen könntest, also hab ich nicht geantwortet."

Wie sonst auch ist sie ehrlich.
Sie weiß, dass er das am meisten schätzt.

"Du machst dir schon wieder zu viel unnötige Gedanken."

"Ich weiß.. Tut mir leid."

"Hör auf dich immer zu entschuldigen."

"Warum?"

"Weil ich mich dann schlecht fühle."

"Tut mir leid."

Sie kann einfach nicht aufhören.
Es ist das, was sie fühlt.
Und außerdem ist es eine neue Möglichkeit ihn aufzuziehen.

"Das machst du Extra."

"Vielleicht.."

"Gehts dir jetzt besser? Hast du keine Angst mehr?"

"Was wolltest du denn sagen?"

Wie immer wenn es unbequem wird wechselt sie das Thema.

"Sag ich dir, wenn ich wieder daheim bin. Ich hab mir überlegt, dass es besser ist es dir persönlich zu sagen statt zu schreiben."

"Okay.."

"Mach dir bitte keinen Kopf. Es ist nichts schlimmes."

"Okay..."

Die Punkte hinter dem Okay nehmen mit stetiger Unsicherheit zu. Aber was kann sie schon tun. Sie möchte ihm vertrauen.
Diesmal geht sie, aber nicht schlafen bevor sie keine Antwort hat oder sich sicher ist, dass er nicht mehr schreibt.

Sie wartet also noch einige Minuten, nachdem er es gelesen hat. Bevor sie wirklich schlafen geht schaut sie noch einmal nach wann er, dass letzte mal online war. Als Bestätigung, das er ihr wirklich nichts mehr darauf erwidert. Als Beruhigenden Fakt. Einfach damit er das letzte ist an das sie denkt bevor sie schlafen geht. Dann ist es beinahe so als wäre er hier. Als wäre sie auf unsichtbare Weise mit ihm Verbunden.

Jetzt weiß sie, was sie als Statisten auf die Leinwand bringt. Ein klares Bild zeichnet sich hinter ihren Augen. Und wenn es fertig ist, zeigt sie es ihm als aller erstes.
Das ist ihre Aufgabe für die Zeit in der er weg ist. Eine sinnvolle Beschäftigung, die ihr helfen wird ihr Versprechen zu halten.

Das hoffte sie zumindest.

Ihr letztes Versprechen ~ KEANAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt