7. Erinnerung

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Noemi hatte nur so getan.
So getan, als hätte sie ihn nicht bemerkt, als wäre sie am schlafen. Denn eigentlich erkannte sie ihn an seinen Schritten, den dumpfen Klängen und seiner Stimme. Sie war gut darin nur so zu tun, als ob. Gut darin anderen etwas vorzumachen.
Es war eine Angewohnheit, um es irgendwie durchs Leben zu schaffen.
Selbst als er ihre Position ausnutzte, blieb sie ruhig. Die Gefahr, das er sie sonst verließ war viel zu hoch. Die Gefahr alles zu verlieren, was sie gar nicht besaß.
Warum machte ihr das mehr Angst als die Berührung? Es war ungewohnt. Neu.

Für sie beinahe wie eine Sucht.
Für ihn ein einfaches Spiel.

Wer hatte zuerst verloren?

Jedes mal als seine kalten Hände sie berührten, zuckte sie ein wenig zusammen. Sie versuchte es unter Kontrolle zu halten. Sie versuchte ihr Bestes, aber dieses eine Gefühl, dieser merkwürdige Schwindel, eine komische Übelkeit, die schon viel zu weit in ihre Knochen gewandert war, konnte sie einfach nicht los lassen.
Würde sich ihr Körper je daran gewöhnen?
Sie hoffte es.
Denn es war so warm mit ihm.
Nah bei ihr.
Es wurde kalt.
Als er sie zurück ließ.
Es wurde eisig.
Als seine Präsenz sich völlig auflöste.

Diese Gefühle hatte sie das erste mal.
Dieser Konflikt zwischen der Angst und der Sehnsucht nach seiner Wärme.
Vielleicht war es diese Wärme nach der die Menschen immer suchten. Eine Wärme, die sie nie geben könnte. Deshalb hatten sie alle allein gelassen. Aber es war oke, denn so musste sie sich die Vorwürfe nicht mehr anhören, die sie sowie so nicht verstand. Den manchmal gibt es einfach Dinge, die man nur verstehen kann, wenn man sie fühlt. Doch wenn man nichts fühlt, dann kann man auch nichts verstehen. Oder?

Er vielleicht sogar mehr als sie.

Menschen sagten immer wie kalt, wie schrecklich und verletztend Noemi sich verhielt. Doch das ergab nie einen Sinn. Die Menschen waren es die ihre kalten, ekelhaften und schmerzvollen Berührungen nicht zurückhalten konnten. Die all dies auf sie zwangen. Sie zum fürchten brachten. Sie allein ließen. Noemie wollte doch nie jemandem weh tun.
Ihre Gefühle.
Dieses ständige hin und her.
Es tat weh.
Ihr und Ihnen.
Ihm.
Aber wer würde das je verstehen?

Wie lange hat er gebraucht, um es zu akzeptieren?

Am nächsten Morgen öffneten sich ihre Augen blinzelnd gegen das Licht. Der Stoff ihres Kleides kratze fürchterlich. Schlaftrunken stand sie auf, verbog sich, öffnete den Reißverschluss und ließ das Kleid an ihrem Körper herabsinken. Ein befreiendes Erlebnis.
Vorsichtig bewegte sie sich auf den Kleiderschrank zu, öffnete die Türen und wunderte sich. Dort waren kaum Kleidungsstücke.
Alles war so leer und nichts davon sah aus als würde es ihr gehören.
Düster, farblos, monochrom.
Sie schloss die Tür wieder, legte den Kopf schief und bemühte sich einen klaren Gedanken zu fassen.
Etwas erschütternd machte sich die Erkenntnis in ihren Knochen breit. Ernüchternd.
Sie war nicht zuhause.
Dies war seine Wohnung.
Dies war sein Schlafzimmer.
Und dies waren seine Anziehsachen.

"Musst du nicht zur Uni?",Idan stand gelassen im Türrahmen, während Sie rot an lief.

Er hatte freie Sicht auf ihre Brust,
Ihren Bauch,
Ihre Arme,
Ihre Beine,
Auf alles.
Sie lief rot an und kreuzte die arme vor ihrem Oberkörper. Es war kalt und doch schlug die Hitze in Wellen durch ihren Körper.
Er ging starr an ihr vorbei.
Er öffnete die Schranktür.
Er nahm ein Shirt heraus.
Er hilt ihr das Shirt geduldig hin.
Der letzte Anstand den er hatte, gebot ihm sich leicht wegzudrehen. Es war nicht so, als hätte es das alles nicht schon einmal gesehen. Als könnte er es nicht auseinander halten. Doch er wollte Respekt zeigen für die Grenze eines anderen Lebewesens.
Trotzdem beobachtete sie jeden seiner Schritte.
Alamiert und zu Flucht bereit.

"Ich habe aufgehört."

Sie zog sich das Oberteil über den Kopf und ließen den Stoff an sich herab sinken.
Langsam band sie die Haare hoch, setzte sich aufs Bett und blickte ihn mit überschlagenen Beinen an.
Ruhe breitete sich erneut in dem Chaos aus.

"Rate Wessen Schuld das ist."

Spöttisch schaute er auf sie herab, als er sich langsam näherte.

"Was soll ich jetzt deiner Meinung nach machen?"

"Trag Verantwortung.",die Worte schlugen an sein Ohr wie eine Peitsche.

Sie wusste gar nicht, was sie damit meinte, aber es schien als käme das erste Mal die Wahrheit aus ihrem Mund. Verantwortung.. Was genau hieß das denn?

"Wofür?",verachtend gab er die lauten Worte zurück.

"Dafür das mich nun jeder sieht.."

Ihre Stimme war auf einmal wieder leise, fast schüchtern. Er verstand es nicht wirklich, aber eigentlich war es ihm auch egal. Das Leben ist nicht viel wert und auch das ging an ihm vorbei.

"Oke.. Gut, lass uns einen Deal machen.",höhnisch kitzelten die Silben in ihren Ohren. "Ab heute gehört dein Leben mir. Ich darf Bilder machen so viel ich will, wann ich will und wo ich will. Alles bis auf reine Nacktbilder. Es wir dann mein Recht sein sie zu veröffentlichen, wo immer es mir gefällt. Du verzichtest in diesem Bereich auf all deine Rechte, dein Leben lang."

Ihr Magen begann sich umzudrehen.

"Im Gegenzug wirst du nie wieder allein sein müssen. Ich werde dich niemals anrühren. Du wirst meinen Namen annehmen und wirst durch mich angesehen. Du darfst deiner Kunst nachgehen, von mir persönlich lernen und ich werde dich als mein Eigentum beschützen.. Ich werde dich behandeln als wärst du Meins. Dein Leben lang. Oder bis zu dem Tag an dem du sagst, dass ich gehen soll. Doch selbst danach gehören deine Bilder mir."

Wie honigsüßes Gift durchzogen die Worte ihren Körper.
Stück für Stück.
Bittersüß und Zartherb.
Was ist es Wert.
Das Leben.

"Deal?"

Für wen war der Preis höher?
Warum wirkte es so, als hätte er mit einem mal alles in ihr verstanden?
Warum waren seine Worte nur so betörend?

Ihr letztes Versprechen ~ KEANAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt