4. Begegnung

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Als sie wieder zu Hause ankommen fühlt Emi plötzlich ein Ziehen in ihrer Brust.

"Gute Nacht."

Sie will gerade die Treppe hoch, als Idans Hand ihre erreicht. Energisch reißt er sie zurück. Legt seine andere Hand an ihre Taille.

"Tut mir leid. Ich kann mein Versprechen nicht halten."

Fragend hebt Emi ihre Augenbrauen.
Zu spät. Idans warme Lippen pressen sich auf ihre. Ein Impuls wandert durch ihren Körper. Sie kneift die Augen zusammen.

Als er sie wieder entlässt tragen ihre zittrigen Beine sie die Stufen hinauf.
Eine Mischung aus Neugier, Angst und Verwirrung breitet sich in ihr aus.

Alles war neu.
Aber nichts davon gehört ihr.
Nichts könnte sie behalten.
Am Ende gehörte jedes dieser Gefühle Noemie.

Betäubt schlief sie ein. Einerseits in der Hoffnung, dass sie noch mehr erleben darf. Andererseits mit der Erkenntnis, dass es irgendwann zu ende gehen wird.

In dieser Nacht hatte sie einen Albtraum.
Dreckige Hände die nach ihr griffen. Zerrissene Kleidung. Kalte Finger. Und ein übler Geruch. Eine Mischung aus Alkohol, Zigaretten und Blut.

Schweißgebaded, schreiend wird sie wach.
Idan hämmert an der verschlossenen Tier.

"Emi?! Bist du okay? Ist etwas passiert."

Stille. Sie kann ihn nicht rein lassen.
Das waren nicht ihre Erinnerungen. Das war alles, was Noemie in ihrem Herzen zerstört hat.

Nach einiger Zeit entfernen sich Idans Schritte. Sie kamen die Nacht nicht wieder.
Als wäre nie etwas passiert.

Es war ein Stück weit unfair von Noemie. Sie wollte nichts mehr fühlen und hat deshalb Emi ins leben gerufen. Aber Emi fühlt auch Dinge. Sie kann sie nur noch nicht beim Namen benennen. Sie weiß nicht warum man weint. Warum man zittert und schwer luft bekommt. Warum einem kalt ist, obwohl man in einer heißen Badewanne sitzt.
Nur weil sie Gefühle nicht versteht heißt das nicht, dass sie keine hat.

Je mehr Idan tut, um ihr Gefühle beizubringen, desto schmerzhafter wird es. Emi denkt nicht viel nach. Ihre Gefühle werden nicht analysiert. Trotzdem fühlte sie den Schmerz. Am Leben sein tut weh.

Idan kommt gegen Mittag an ihre Tür.

"Willst du Essen?"

Emi hat gelernt, dass man Bauchschmerzen bekommt, wenn man nichts ist und dass der Magen sich dann unangenehm zusammen zieht. Sie weiß also das Essen wichtig ist.

"Wollen ist der falsche Ausdruck. Wenn ich leben möchte MUSS ich essen."

"Ich hab auf jeden Fall gekocht. Es wird nicht so gut schmecken wie dein Essen, aber man kann es essen. Also wenn du willst komm runter."

Ihr essen..

Emi setzt sich auf. Ihr ist etwas schwindlig und ihr Kopf tut weh. Entweder vom Alkohol gestern Abend. Von den Tränen in der Nacht oder davon, dass sie noch nichts getrunken hat. Sie fängt an ein Bewusstsein für ihre Bedürfnisse zu entwickeln.

Aber so ein Bewusstsein zieht auch die Konsequenz mit sich, dass man darauf hören will.

Langsam geht sie die Treppe runter.
In die Küche.
Setzt sich hin.
Ihr Teller bereits gefüllt.

"Danke."

Dankbarkeit. Dieses Gefühl versteht sie noch nicht. Sie weiß nur, dass man Danke und Bitte sagen sollte. Also tat sie es.

Sie fängt an zu essen.
Klirrendes Besteck.
Und schweigende Gesichter.

Einsam und leer.

Die Atmosphäre drückt sich auf Emis Schultern nieder. Die sackt in sich zusammen. Erschöpft und müde, obwohl sie nichts anderes gemacht hat außer schlafen.
In so Momenten vergisst sie es manchmal zu atmen. Und jeder Atemzug den sie dann etwas zu spät nimmt hört sich beschwerlich an.

"Du kannst mit mir reden wenn etwas ist."

Sie schaut ihn an.
Hat er das Noemie auch angeboten.
Kommunikation ist etwas merkwürdiges und für die meisten schwer zu verstehen. Oft wollen sie nur ihre eigenen Interessen oder Bedürfnisse dadurch befriedigen. Idan war wahrscheinlich nur neugierig.
Neugierig wie viel Neomie noch in ihr steckt, was die Nacht passiert ist, was sie über ihn denkt.

"Nein danke."

Sie räumt ihren leeren Teller beiseite, verlässt die Küche und versucht nach oben zu gehn.

"Geh mir nicht immer aus dem Weg.. Wenn du so weiter machst bleibt mir nichts anderes übrig als dich einzuweisen."

Sie dreht sich um. Schaut ihm in Augen.

"Mach doch."

Es wird eh kein Unterschied machen oder?
So oder so will jeder ihr erklären das Sie Noemie ist. Aber wer kann ihr sagen, was passiert wenn Neomie zurück kommt.

"bitte.."

Idan ist es nicht gewohnt jemanden um etwas zu bitten. Er ist es nicht gewohnt seinen Willen nicht zu bekommen. Seine Träume sind immer in Erfüllung gegangen.
Warum kann er Noemie nicht haben?
Warum hat sie ihn verlassen?
Noch nie hat ihn jemand verlassen.
Noch nie war er auf jemanden angewiesen.
Was hat er sich gedacht, als er sie bei sich aufnahm? Zweckehe. Was war das eigentlich?

"Heute nicht."

Emi schüttelt nur den Kopf. Zieht sich wieder zurück und schläft. In ihren Träumen ist es wenigstens warm.

Ihr letztes Versprechen ~ KEANAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt