One Shot 12 // Vampire

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Harry sah sich um. Er musste sich zu hundert Prozent sicher sein, dass er allein hier war. Ihn durfte niemand sehen. Sonst würde er etwas tun, was gegen seine Prinzipien verstieß. Und darauf hatte er eigentlich nicht wirklich viel Lust. Nachdem er sich versichert hatte, dass niemand anderes außer ihm, und dem kleinen Reh in der Lichtung vor sich, hier war, konzentrierte er sich wieder auf besagtes Reh. Er hatte nämlich ziemlichen Hunger, da er seit ein paar Tagen nichts, außer ein paar Wurzeln und Beeren, gegessen hatte. Harry lief das Wasser im Mund zusammen, wenn er nur daran dachte, wie gut das Blut des jungen Rehs wohl schmecken würde. Aber er musste sich jetzt konzentrieren, sonst würde er das Reh vielleicht noch verscheuchen. Und dann würde er wieder ohne Essen schlafen gehen. Und darauf hatte er keine Lust. Er war viel zu hungrig um sich nur mit Wurzeln und Beeren zufrieden zu geben. Er beobachtete das Reh, während er sich langsam und ganz leise, Schritt für Schritt, näherte. Er musste aufpassen. Rehe waren besonders scheu und hörten jedes noch so kleine Geräusch. Deswegen waren sie wirklich schwer zu erwischen. Selbst für Vampire. Denn die Tiere flüchteten schon, wenn ihnen etwas komisch vorkam. Und sie hatten irgendwie einen sechsten Sinn dafür, wenn sich ihnen jemand näherte. Harry hatte es trotz allem geschafft, sich dem Tier auf 3 Meter zu nähern. Oft war es ihm bisher nicht gelungen. Und oft versucht hatte er es auch noch nicht. Aber heute würde ihm das übliche Kaninchen oder Eichhörnchen nicht reichen. Also musste das Reh heute daran glauben. So Leid es Harry manchmal auch tat, aber er hatte wenig Lust, sich immer nur von Gemüse, Obst, Nüssen, Beeren und Wurzen zu ernähren. Ab und zu musste es ein wenig Blut sein. Vor allem wenn er mehrere Tage hintereinander kein richtiges Essen hatte. So wie diese Woche. Gerade als er zum Sprung ansetzen wollte, hob das Tier den Kopf und sah in die entgegen gesetzte Richtung. Harry folgte dem Blick was sich als Fehler erwies, denn was auch immer dort war, verschreckte das Reh und es sprang davon. Harry konnte nur noch verdattert seinem Essen hinter sehen, als er auch schon den Grund für dessen Flucht hörte. „Hallo? Ist hier jemand?" Harry stellte sich ein wenig weiter hinter den Baum und lugte um die Ecke. Auch wenn man ihm den Vampir nicht ansah, wollte er nicht von jedem gesehen werden. Am anderen Ende der Lichtung stolperte jetzt ein junger, braunhaariger Mann, mit zerrissenen Klamotten und Kratzern an Armen und Beinen aus den Büschen hervor. Sein Blick huschte die ganze Zeit von links nach rechts und er sah ziemlich verwirrt aus. Harry kniff ein wenig die Augen zusammen um ihn genauer betrachten zu können. Und ihm stockte der Atem. Der Junge hatte auf den ersten Blick schon attraktiv ausgesehen, doch bei näherer Betrachtung war er noch schöner. Er hatte blaue Augen, die von Harry's Standort nur schwer zu erkennen waren, aber er war sich sicher, dass man sich wunderbar in ihnen verlieren konnte. Der Unbekannte kam immer näher zu Harry, so konnte dieser ihn noch genauer sehen. Seine Haare waren auf eine wunderbar süße Art und Weise verstrubbelt, seine Augen strahlten in einem so kräftigen Blau, dass es Harry schon fast Angst machte. Dieser Mann vor ihm fesselte ihn und nahm seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. „Hallo?! Bitte, wenn hier jemand ist, helfen Sie mir! Ich will doch einfach nur wieder nach Hause..." Er ließ sich auf den Boden fallen und vergrub seinen Kopf in seinen Händen. Die darauf folgende Stille wurde nur von ein paar leisen Schluchzern unterbrochen. Harry focht unterdessen einen inneren Kampf mit sich selber aus. Er wusste nicht, was er tun sollte. Eigentlich sollte er einfach abhauen und sich etwas anderes zu essen suchen und den Fremden einfach dort liegen lassen. Andererseits faszinierte er ihn so sehr, dass er schon fast magisch angezogen wurde. Er lief also langsam aus seinem Versteck auf die Lichtung. Direkt neben ihm angekommen, ließ er sich langsam sinken und setzte sich neben ihn. Der junge Mann schreckte auf und sah Harry mit großen, verheulten blauen Augen an. „Hey." Harry setzte sein Grübchen-Lächeln auf. „Alles okay? Du hast dich verlaufen, oder? Ich bin übrigens Harry." Harry bekam ein zurückhaltendes Lächeln zurück. „Ich heiße Louis und ja, ich hab mich verlaufen. Ich wollte nur ein paar Minuten in den Wald gehen, um meine Ruhe zu haben, daheim herrscht so dicke Luft, ich hab mich doch grad erst von meiner Freundin getrennt, weil ich gemerkt hab, dass ich schwul bin und... oh verdammt, ich rede schon wieder zu viel, oder? Tut mir Leid, wenn ich nervös oder aufgeregt oder so bin, rede ich immer so viel." Louis sah verschämt auf den Boden und spielte mit seinen Fingern. Er war sich sicher, dass der Lockenkopf sich nicht sonderlich für seine ganze Lebensgeschichte interessierte. Zu seiner Überraschung hörte er nur ein kleines Kichern neben sich. Louis drehte sein, inzwischen total rotes, Gesicht überrascht zu Harry. Dieser sah ihn nur grinsend an und legte den Kopf ein wenig schief. „Ist ok. Und ich kann dir nach Hause helfen, wenn du willst. Ich kenn diesen Wald wie meine Westentasche." Louis' Augen wurden kugelrund und fingen an zu strahlen. Er hatte wohl wirklich keinen blassen Schimmer wie er hier raus kommen sollte. Harry stand auf und hielt Louis seine Hand hin. Während er ihm aufhalf, fielen ihm die ganzen Kratzer an seinen Armen und Beinen wieder auf. Ein paar davon bluteten sogar noch und der Geruch des Blutes stieg Harry jetzt in die Nase. Er zog tief die Luft ein und schloss für eine Millisekunde die Augen. Er musste jetzt widerstehen. Er durfte nicht schwach werden. Sonst würde er Louis wehtun. Und auch wenn er ihn noch keine halbe Stunde kannte, wollte er ihm nicht wehtun. Er wusste nicht, wieso, doch er wusste, dass es so war. Er lächelte Louis an und fragte ihn dann, wo er genau hinmusste. Und während des gesamten Weges, auf dem Harry seinen Hunger total vergaß, unterhielten die zwei sich über alle möglichen Sachen. Sie redeten über Louis' Familie, die anscheinend nicht damit umgehen konnte, dass er schwul war. Als sie am Waldrand angekommen waren, mussten sie sich verabschieden. Denn Harry's Magen machte sich langsam bemerkbar und er musste dringend noch etwas essen. Also verabschiedete er sich von Louis und drehte um. Er lief den ganzen Weg mit gesenktem Kopf und er wusste, er würde Louis nie wieder sehen. Hinter ihm sah Louis ihm traurig hinterher. Irgendwie fühlte er sich zu Harry hingezogen. Er wusste nicht wieso, aber es war so. Er seufzte, fuhr sich durch die Haare und drehte sich um, um sich auf den Heimweg zu machen. Dann atmete er frustriert aus, bei dem Gedanken daran, was ihn zu Hause erwarten würde. Sein Vater hatte sowieso schon was gegen ihn, keiner wusste warum, ab jetzt würde das Ganze nur noch schlimmer werden. Er atmete vor der Tür noch einmal tief durch und klingelte dann. Das würde noch eine lange Nacht werden.

Larry Stylinson One Shots IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt