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Am nächsten morgen verläuft eigentlich alles wie immer. Vom Wecker aufgeweckt werden, grummelnd diesen versuchen, NICHT gegen die Wand zu schmettern, aufstehen und umziehen, Kaffee und Frühstück, Zähneputzen und Zeug herrichten und schlussendlich wieder irgendwas von meinen Eltern vorgemeckert bekommen. Heute ist es meine Moral, wie ich denn morgens hier herum laufe. Griesgrämig und ohne Lust auf den Tag. Doch auch das lasse ich wortlos und mit hin und wieder am Kaffee nippen, über mich ergehen. Meine Augen sind währenddessen nur halb offen und mein Hirn afk. Fehlt eigentlich nur noch die Windowsmusik, wenn es sich mal einschaltet und hochfährt!

Mit meiner gepackten Tasche, gehe ich aus dem Haus und mache mich auf dem Weg zu meiner Ausbildungsstätte, die nicht unbedingt weit entfernt ist. Dort angekommen, ziehe ich mich um und merke, dass irgendetwas nicht stimmt. Dennoch schüttle ich dieses Gefühl ab und schiebe es auf meinen fehlenden Schlaf, den ich gefühlt seit der fünften Klasse vermisse. Also gehe ich in meine Abteilung und setze wieder ein lächeln auf, dass ich die nächsten acht Stunden nicht absetzen werde. Patientenkontakt erfordert eine menge sensibilität und man hat jemanden eher in das Vertrauen gezogen, wenn die Person lächelt und kein Grinch ist.

Als ich bei meiner Ausbildungsleitung ankomme, sehe ich mich verwirrt um. "Wo ist denn Betti?" Zur Info: das ist diejenige, die so hinterfotzig ist. Aber sie sollte eigentlich schon hier sein! Denn sie will immer einen guten Eindruck hinterlassen, damit ich wieder schlecht dastehe. So hat sie sich auch die Weiterbildung erschlichen, die ich eigentlich bekommen sollte. Veronika, meine Ausbildungsleitung, sieht mich traurig an und eine Träne läuft ihre Wange hinunter. "Betti wird nicht mehr kommen. Sie-" Ein schluchzen unterbricht die sonst so starke Frau und im nächsten moment liegt sie in meinen Armen. Etwas überfordert, lege ich meine Arme auf ihren Rücken.

Doch anstatt trauer oder entsetzen zu fühlen, keimen Fragen auf. Was ist passiert? Hatte sie einen Unfall? Gekündigt worden ist sie nicht. Dann würde Veronika anders reagieren. Ist sie Tot? Hat das mit gestern zu tun? Habe ich das herausbeschworen? Neben der leichten Verwirrtheit, breitet sich auch erleichterung aus. Etwas überrascht von meiner eigenen Gefühlswelt, runzle ich die Stirn. Bin ich ein Psychopath?! Sollte ich nicht so etwas wie trauer fühlen? Doch da ist nichts in der hinsicht. Alles was da ist, ist die erleichterung. Der psychische Terror, wird mir erst jetzt bewusst. Unter welchem Druck und unter welcher Belastung ich gestanden habe.

Veronika löst sich von mir und sieht mich mit roten Augen an. "Du stehst auch unter Schock, hm?" sagt sie leise und ich nicke. Alleine, um nicht aufzufallen. "Ich realisiere das erst später... Aber dann kommts dicke." erwiedere ich ebenso leise und sie lächelt mich schief an. "Geh nach Hause, Hase. Ich schaffe das schon!" Zwiegespalten, lege ich den Kopf schief, doch Veronika schiebt mich schon in richtung Ausgang. "Ich gebe dir den Rest der Woche frei. Heute ist Mittwoch, also sehen wir uns nächste Woche wieder!" Ich kann hören, dass sie versucht, stark zu sein.

Mit einem schiefen lächeln, nicke ich ihr zu und umarme sie nocheinmal, bevor ich mich mitsamt meiner Tasche zu den Umkleiden im Keller begebe und mich wieder in meine Alltagsklamotten stecke. Währenddessen bin ich die ganze Zeit am nachdenken. Was genau ist passiert? Ist das nur ein Zufall, dass Betti jetzt nicht mehr lebt? Zugegeben, große Schuldgefühle habe ich nicht. Dennoch finde ich es komisch. Gestern habe ich mit ihm darüber gesprochen, dass ich sie am liebsten umbringen würde. Und heute ist sie tot? Je länger ich darüber nachdenke, desto komischer und verwirrender wird die ganze Sache erst.

Mit einem nachdenklichen Gesicht, verlasse ich meine Arbeitsstätte und gehe nach hause. Meiner Mutter erkläre ich die gesamte Sache und ausnahmsweise, hat sie mitleid mit mir. Tröstend, nimmt sie mich in den Arm und ich lasse es nur über mich ergehen. Auch, lässt sie mich machen, was ich will. Und so ende ich mit meinem Handy, Musik in den Ohren und Gedankenverloren in der Höhle, in der ich immer auf den Kerl warte. Die Höhle liegt in einem Waldstück, ziemlich gut versteckt. Gefunden habe ich sie nur durch einen Zufall und sehr schlechtes Wetter. Bei Gewitter in einem Wald zu sein, ist nicht unbedingt das witzigste.

Seufzend, lasse ich mich wieder an meine Stelle sinken und rutsche an der Steinwand entlang auf den Boden. Mein Rücken ist ein wenig aufgeschrabbt, aber nicht wirklich der rede wert. Ein Bein ziehe ich an meinen Körper und lege meinen Kopf darauf, während mein Blick einfach nur aus der Höhle geht und ins nichts geht. Das es kalt ist, ist mir relativ egal. Zwar hat sich eine Gänsehaut ausgebreitet, dennoch bin ich immer noch in Gedanken versunken. Es ist immer noch keine trauer. Sondern kalte berechnung. Wie es jetzt weitergeht, da diese psychische Belastung weg ist.

"Bist ziemlich früh da! Was ist los?" Diese Stimme reisst mich aus meinen Gedanken und ich schalte die Musik aus, ehe ich die Ohrstöpsel rausnehme und mein Handy samt Kabel verstaue. Etwas misstrauisch runzle ich die Stirn. Etwas in der Stimmlage passt nicht. Als wüsste er eigentlich schon, um was es geht! "Kann ich dich etwas fragen, ohne dass du mich gleich hasst?" entgegne ich und für einen moment herrscht eine unangenehme stille, gegen die meditierende Mönche ja noch richtiggehende Partyleute sind. Er scheint darüber nachzudenken, ob er es riskieren sollte, oder eher nicht. Nicht ahnend, WAS ich fragen möchte.

Dann höre ich ein Seufzen. "Hau raus!" meint er und ich schlucke, ehe ich aufstehe und die Lianen ansehe, die mich von ihm trennen. Ich atme tief ein und aus, ehe ich meine Stimme erhebe. "Hast du Betti getötet?" frage ich und bin mir nicht sicher, ob meine Stimme gezittert hat, oder nicht. Ich bin mir generell bei so vielem unsicher. Aber in dieser Sache, hätte ich gerne sicherheit. Und zwar 100%! Keine Vermutungen. Die Stille, die nun wieder herrscht, beantwortet meine Frage eigentlich schon voll und ganz und ich lasse meine Schultern sinken, während mein Blick auf die Lianen fixiert ist. Plötzlich unterbricht er die stille. "Und was ist, wenn ich es war?"

Another LifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt