Der Weg in die Altstadt sind ungefähr 20 Minuten und in dieser Zeit sagt keiner von uns etwas. Ich habe es geschafft, meine Gedanken wenigstens etwas unter Kontrolle zu bekommen und meinen Gesichtsausdruck auf 'normal' und nicht 'sprich-mich-an-und-ich-bring-dich-um' zu halten. Es ist schwierig, aber machbar. Und vorallem etwas angenehmer, da ich keine leicht verstörten Blicke zugeworfen bekomme. "Soll ich nach dem treffen dann Slendy kontaktieren?" fragt Jeff und ich sehe zu ihm. Für einen moment denke ich nach, bevor ich den Kopf schüttele. "Ich habe noch ein Ding vor. Es wird meiner Psyche nicht gut tun, aber die ist doch eigentlich eh schon hinüber."
Mit einem gemurmelten: "Ich habe so eine Ahnung...", dreht Jeff seinen Kopf wieder nach vorn und wir treffen in der Altstadt ein, die um diese Tageszeit verdammt viel besucht ist. Ich halte dem leicht mies gelaunten Kerl meine Hand hin. "Damit wir uns nicht trennen. Ich kenne mich hier aus. Du nicht." stelle ich nüchtern fest und er betrachtet meine Hand, bevor er die Augen verdreht und sie dann aber trotzdem nimmt. "Wieder die Verlobten?" brummt er und ich muss schmunzeln. "Wir können auch einen auf Geschwister machen, wenn dir der Gedanke besser gefällt!" erwiedere ich und von ihm kommt nur noch ein grummeln.
Aus der ferne kann ich schon meine Leute sehen und will schon automatisch die Hand heben! Doch zwei Dinge halten mich davon ab. Erstens, Jeff's Hand und zweitens der Fakt, dass ich ja gar nicht mehr existiere. Ich lasse mir nicht anmerken, dass es mich doch echt härter trifft, als ich eigentlich gedacht habe und wir gehen auf die Gruppe mit den Jungs und Mädls zu, die im Bushäuschen sitzen und sich angeregt über eines der vielen Themen unterhält, die ich erst losgetreten habe. Wir setzen uns etwas abseits hin und ich halte Jeff's Hand immer noch fest.
"Das war deine Idee. Und die war beschissen!" ruft Hanna nun und fängt an zu lachen, als Jonas eine Fratze zieht. Domi und Beni streiten sich über ein Mädl und während Moni sich als Anführerin aufspielt, hört ihr keiner zu und Jakob verdreht nur die Augen. Ich sehe äußerlich vielleicht nachdenklich und unbeeindruckt aus. Aber innerlich spielen meine Emotionen gerade Achterbahn und es sieht so aus, als wären die Gleise nicht fertig gebaut worden und die Abteile schlittern in richtung abgrund. Sollte ich mich jetzt schon vollständig von meiner restlichen geistigen Gesundheit verabschieden? Oder gleich ein Grab schaufeln?
Ich werde aus meinem Selbstmitleid gerissen, als ich einen Arm um mich spüre und an die Brust von Jeff gedrückt werde. Überrascht sehe ich hoch und er blickt leicht genervt zurück. "Wenn ich dich rufe, solltest du wenigstens nach dem dritten mal hören!" knurrt er und ich hebe entschuldigend meine Mundwinkel, ehe ich mich an seinen Körper lehne und so ein wenig Sicherheit und ruhe bekomme. Ich höre meine Leute lachen und späße machen, während ich hier an einen Serienmörder gelehnt dasitze und meine Probleme gerade versuche, irgendwie auf die Reihe zu bekommen. Mit mäßigem erfolge, wenn ich das sagen dürfte.
Nach einiger Zeit des aushaltens, gehen sie endlich und ich richte mich wieder auf. Jeff lässt seinen Arm sinken und ich blicke auf den Boden. Ich habe es geschafft. Und ich werde es wieder schaffen, wenn es sein muss! Nickend, stehe ich auf und sehe zu Jeff. "Und jetzt noch einmal kurz nach hause!" Der schwarzhaarige lässt seinen Kopf hängen und steht leise fluchend auf. "Ich hab gewusst, dass du das noch willst." murrt er und geht doch wieder Hand in Hand mit mir durch die nachmittägliche und schon fast Abendliche Besucherschar des Altstadt, die sich mit vorranschreitender Stunde vermehrt hat.
Diesmal gehen wir die ganze Zeit als Verlobte durch meine alte Heimatstadt und fallen auch nicht wirklich auf. Immer mehr Paare tauchen auf und so tauchen wir einfach unter. Die kalte Nachtluft lässt meine Wangen und meine Nase so lange abkühlen, bis sie vor kälte brennen. Eigentlich auch meine Hände. Aber die eine ist in der Jackentasche und die andere in Jeff's Hand, die er sorgsam eingepackt hat, damit sie nicht kalt wird. "Ist dir nicht kalt?" frage ich, als wir am Haus ankommen und stehen bleiben. Unbeeindruckt sieht er auf mich hinunter. "Sollte es?" erwiedert er nur und ich hole meine andere Hand hervor, um seine hand zu befühlen.
"Die ist ja eiskalt!" rufe ich überrascht und nehme diese dann zwischen meine warmen Hände. Die kälte seiner Hand ist unfassbar und trotzdem scheint er nicht wirklich darauf zu reagieren. "Was machst du da?" fragt er und ich sehe ihn leicht genervt an, während ich seine Hand zwischen meinen aufwärme. "Deine Hand erhalten! Wenn die noch kälter wäre, hättest du die gleich amputieren können!" zische ich nur und sehe wieder auf unsere Hände runter. Natürlich habe ich maßlos übertrieben. Aber ich mache mir nunmal sorgen und seine Hand ist meinetwegen so kalt!
Ich lasse ihn erst los, als seine Hand wieder die Temperatur eines lebenden Objekts angenommen hat. "Mach so etwas nicht, nur um mich zu schützen..." murmle ich leise vor mich hin, bevor ich zum Haus sehe. Dort bemerke ich, dass das Auto fehlt und das Garagentor weit offen ist. "Hast du was gesagt?" fragt Jeff und ich nicke ernst. "Meine Eltern sind gerade nicht da." sage ich laut und gehe voraus. "Das hatte sich aber anders angehört!" meint der schwarzhaarige, doch ich ignoriere ihn vollkommen. Lasse mich nicht beirren und halte die Klappe. Was weiß er schon? Er hat keine Ahnung.
Ich sehe mich schnell um und gehe dann in der dunkelheit der Nacht zur Verande. Dort knie ich mich hin und hole den Ersatzschlüssel unter einer der losen Dielenbretter hervor, der dort immer versteckt wird. "Alte gewohnheiten...!" sage ich schmunzelnd und schließe auf, bevor ich den Schlüssel wieder verstecke und die Diele wieder so hinrichte, wie sie vorhin war. Schließlich sollte es nicht auffallen, dass eine nicht existente Tochter in das Haus gekommen ist. Und vielleicht noch so rein theoretisch einen Serienmörder mitgenommen hat. Leise schließen wir die Tür hinter uns und ich lasse meine Augen ersteinmal an die dunkelheit gewöhnen.
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Another Life
FanfictionSera hat einen Freund, den sie noch nie zuvor gesehen hat. Dennoch weiß dieser alles über sie. Was sie in wirklichkeit macht. Wie sie Leute manipulieren kann. Und was wirklich hinter ihren Aktionen steckt. Die beiden treffen sich immer in einer Höhl...