◇ Chapter 3 ◇

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Als ich wieder zu mir kam, nahm ich zuerst ein regelmäßiges Piepen und den Geruch von Desinfektionsmitteln wahr. Oh nein, ich war schon wieder hier! Das Piepen, mein Herzschlag- Heartbeat. Mit einem Schlag fiel mir alles wieder ein. Das Konzert, der Sturz. "Hey, du bist ja wieder wach!" Schwester Elena beachtete mich gar nicht weiter, sondern stellte das Piepen ab und brachte das Gerät aus dem Zimmer. Erst jetzt bemerkte ich meine Kopfschmerzen und ein seltsames Gefühl in meinem linken Bein. Es tat nicht richtig weh, fühlte sich aber auch nicht besonders angenehm an. 

"Andriana!" Ein großer, schon etwas älterer Mann betrat den Raum und sah mich tadelnd an. Der Oberarzt, Dr. Johansen. Ich konnte schon an seinem Gesichtsausdruck ablesen, dass er mir eine Standpauke halten wollte. " Wie viel Uhr ist es? Und welchen Tag haben wir heute?", fragte ich schnell, bevor er loslegen konnte. "Es ist zwei Uhr nachmittags. Und dein kleiner Ausflug war erst gestern. Aber ich denke, ein halber Tag Koma reicht auch, nicht wahr?" Wie ich seinen Humor hasste! "Ich hoffe, du weißt selbst, wie unverantwortlich das war. Du weißt auch genau, dass du dein Bein so gut wie gar nicht belasten darfst, dass du nicht singen sollst und dass du nicht mehr als zwei Schmerztabletten innerhalb von einer so kurzen Zeit nehmen darfst. Den Kreislaufzusammenbruch und das Koma hast du dir also selbst zuzuschreiben. Das mit deinem Bein, das war ein blöder Unfall." "Was ist denn mit meinem Bein?", fragte ich nach. "Das Glück war mal wieder nicht auf deiner Seite", berichtete Dr. Johansen niedergeschlagen. "Du hast dir das Kreuzband und den Innenmeniskus gerissen und das Innenband ist auch angerissen." "Aber... ich bin doch nur umgeknickt!", stotterte ich ensetzt. "Andriana!" Mit ernstem Blick stütze sich der Oberarzt auf den Bettrand. "Du weißt doch, wie instabil dein Bein, ach, was sage ich, dein ganzer Körper ist instabil!" Er kratzte sich am Hinterkopf. "Ist ja jetzt auch egal, du wirst auf jeden Fall übermorgen operiert." Damit verließ er mein Zimmer wieder und Schwester Elena kam wieder herein. "Draußen wartet so ein junger Mann auf dich,der ist fast schon genauso lang hier wie du selbst, darf ich ihn mitbringen?", fragte sie und grinste. Kein Wunder, denn ich hatte noch nie Besuch bekommen und hatte auch jetzt keinen blassen Schimmer, wer das sein konnte. Aber ich nickte. "Sehr gut. Dann hole ich nur noch schnell deine Medikamente für heute und bringe ihn dann mit." Oh nein, mein Fehler. Jetzt war mein Besucher dabei, wenn sie meinen Port (so ein Infusionszugang unter dem Schlüsselbein) anstechen musste, was mir jedes Mal unglaubliche Schmerzen bereitete. Schon beim Gedanken daran wurde mir ganz schlecht.

"Soo, da sind wir." Schwungvoll stieß Schwester Elena die Tür auf und hinter ihr stand... Marcus. Marcus Gunnarsen, mein Lieblingssänger, dem ich gestern Abend vor die Füße gefallen bin. Wie peinlich! So viel dazu, dass niemand mitbekommen sollte, wie schlecht es mir ging.

"Hey, wie geht es dir?", fragte er etwas schüchtern. "Gut", antwortete ich nicht ganz wahrheitsgemäß. "Du siehst irgendwie nicht so aus." Irgendwie war er im Moment so gar nicht der Marcus, den ich gestern auf dem Konzert kennengelernt hatte. Er wirkte extrem schüchtern. "Hör mal, ich wollte dir nur sagen, dass es mir leidtut. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Konzert gestern nicht so war, wie du es dir gewünscht hast und es war immer meine Schuld. Aber ich konnte ja nicht wissen, dass das passiert..." "Warte mal kurz", unterbrach ich ihn. Er sah mich so niedergeschlagen an, dass es mir schon fast leidtat, aber ich musste mich jetzt wirklich darauf konzentrieren, Schwester Elena so gut wie möglich zu unterstützen, sodass mir das Anstechen so wenig Schmerzen wie möglich bereitete. Ich schloss die Augen und wartete auf den Stich. Keine Ahnung woran es lag, aber es tat mir heute noch viel mehr weh als sonst. Ich verkrampfte meine Finger und krallte mich an der Bettdecke fest. Erst als die kalte Flüssigkeit bereits einige Sekunden lang durch meine Adern lief, verebbten die Schmerzen soweit, dass ich mich wieder auf Marcus konzentrieren konnte. "Was war das denn?" Er sah richtig entsetzt aus und rümpfte die Nase. Ich angelte nach einer Dose Kaugummi in der Nachttischschublade und bot ihm auch einen an. "Das hilft gegen den Chemo- Geruch." "Chemotherapie?" Marcus blickte noch entsetzter an. "Mist!" Ich schlug mir die Hand vor den Mund. Ich wollte nicht, dass es jemand wusste, erst recht nicht er. Und jetzt war ich noch nicht mal fünf Minuten mit ihm allein und schon hatte ich mich verplappert. Es war zum Haareraufen. Marcus zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu mir. "Möchtest du mir das alles erklären? Du musst es mir nicht sagen, aber ich glaube es wäre einfacher für uns miteinander zu sprechen." Ich nickte. Jetzt war es sowieso schon zu spät und selbst wenn ich es nicht erzählte, würde er sich das Wichtigste zusammenreimen können. "Soll ich ganz am Anfang anfangen?" Marcus nickte eifrig und grinste. "Ich will alles wissen. Aber kannst du mir vielleicht zuerst noch verraten, wie du überhaupt heißt und wie alt du bist?" "Ich heiße Andriana und ich bin sechzehn Jahre alt."  "Wann hast du Geburtstag?" "Am 25. November." "Sehr gut, Adri, dann schieß mal los."

"Okay, es hat vor ungefähr einem halben Jahr angefangen. Genau eine Woche nachdem ich die Karten für das Konzert gestern gekauft habe, haben meine Eltern mir eröffnet, dass wir umziehen. Es war nicht weit weg, nur eine halbe Stunde Autofahrt, aber ich musste die Schule wechseln. Sie hatten auch schon ein Haus gekauft in dem Dorf, Trofors oder so." Marcus lachte. "Da wohne ich. Allerdings habe ich dich da noch nie gesehen glaube ich. Und normalerweise kennt man sich dort." "Richtig, du kannst mich dort gar nicht gesehen haben, weil ich nämlich noch nie dort war. Einen Tag bevor wir umgezogen wären, bin ich beim Packen die Treppe runtergefallen und habe mir das Schienbein gebrochen. Das allein wäre ja gar nicht das Problem gewesen, wenn die Ärzte nicht bei der Operation einen Tumor am Schienbein entdeckt hätten, den sie in der Operation nur teilweise entfernen konnten. Das, was sie entfernen konnten kam natürlich ins Labor und dort kam raus, dass es eine sehr aggressive Art von Knochenkrebs ist. Erst ca. Drei Monate später haben sie dann noch gemerkt, dass er eigentlich schon gestreut hatte, in die Lunge. Deswegen auch der schreckliche Husten gestern. Auf jeden Fall habe ich das Krankenhaus seit vier Monaten bis gestern nicht mehr verlassen. Jede Woche dasselbe Programm, schrecklich. Das einzige, was mir geholfen hat, das alles auszuhalten und nicht einfach alles hinzuschmeißen und zu warten, bis ich sterbe, war eure Musik und die Konzertkarte. Mein Ziel war es, bis dahin wieder vollkommen gesund zu sein. Das habe ich zwar nicht geschafft, aber ich hoffe du kannst dir vorstellen, dass ich langsam die Nase voll habe von dem Ganzen hier und deshalb bin ich gestern abgehauen. Ich habe alles aufs Spiel gesetzt und ich glaube, es hätte wirklich schlimmer ausgehen können."

Heartbeat ~ Marcus and Martinus ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt