◇ Chapter 6 ◇

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P.o.V Martinus

Auf dem Weg ins Krankenhaus erzählte Marcus mir alles, was er bisher über Andriana erfahren hatte. Jetzt hatte ich ein extrem schlechtes Gewissen, weil ich so vorschnell über sie geurteilt hatte. Sie war krebskrank und ich hatte sie für drogenabhängig gehalten. Hoffentlich würde sie das nie erfahren, sonst würde ich mich wohl in Grund und Boden schämen. 

Im Krankenhaus mussten wir uns zu ihrem Zimmer durchfragen, da wir uns vorhin beide die Zimmernummer nicht gemerkt hatten. Glücklicherweise trafen wir nach einigen Minuten auf die Krankenschwester, die vorhin auch die ganze Zeit bei ihr gewesen war. Sie erkannte uns sofort wieder und nahm uns gleich mit. "Schön, dass ihr wieder da seid. Andriana hat heute einen wirklich schlechten Tag, da wird ihr etwas Ablenkung nicht schaden", plapperte sie drauflos. So ging das weiter, bis wir gefühlte Stunden später endlich an ihrem Zimmer angekommen waren. Marcus öffnete die Tür und ich sah... erst einmal gar nichts. Es war extrem dunkel in dem Zimmer. Schwester Elena wuselte an uns vorbei und zog die Vorhänge ein Stück auf, damit wir zumindest etwas sehen konnten. Jetzt erkannte ich auch das Mädchen von gestern mit den wunderschönen Haaren und den so intensiv grünen Augen, die ich jetzt allerdings nicht sehen konnte, denn sie schlief offenbar. Und neben ihr lag... ein Hund. Wait what? Seit wann waren denn im Krankenhaus Tiere erlaubt?


P.o.V Andriana

Ich wurde durch grelles Licht aus dem Schlaf gerissen. So schrecklich hell. Ich wollte meine Augen am liebsten gar nicht öffnen, denn heute war wieder so ein Tag, an dem ich von normalem Licht solche Kopfschmerzen bekam, dass ich eigentlich die ganze Zeit im Dunkeln lag. Warum Schwester Elena die Vorhänge jetzt doch geöffnet hatte war mir unklar. Auf jeden Fall schien mir die Sonne jetzt direkt ins Gesicht und ich bekam schon wieder Kopfschmerzen. Wobei die Schmerzen in meinem Knie, die sich jetzt auf einmal bemerkbar machten, noch deutlich schlimmer waren. Wieso hatte sich die Wirkung der Schmerzmittel bloß schon wieder verflüchtigt? Ich zwang mich dazu, meine Augen zu öffnen und drehte mich umständlich zur Seite, um Schwester Elena nach neuen Schmerzmitteln zu fragen. Allerdings war sie gar nicht mehr im im Zimmer, dafür waren auf einmal Marcus und Martinus hier. "Kann jemand vielleicht kurz Schwester Elena holen?", flüsterte ich und Marcus machte sich sofort auf den Weg. Ich versuchte so vorsichtig wie möglich den Golden Retriever Nanook, der halb auf meinem verletzten Knie lag, beiseite zu schieben. "Sind Tiere im Krankenhaus nicht eigentlich verboten?", fragte Martinus schließlich und deutete auf Nanook. "Eigentlich schon, ja, aber er hier ist ein Therapiehund, deswegen haben sie heute eine Ausnahme gemacht. An normalen Tagen würden sie mich wahrscheinlich nicht mal in zwei Meter Entfernung an ihm vorbeilaufen lassen, weil das Infektionsrisiko viel zu hoch ist." Ich kraulte das goldblonde Fell, während Marcus mit Schwester Elena zurückkam und sie mir nach einer kurzen Diskussion doch noch eine Dosis Schmerzmittel verabreichte. 

"Hast du dich schon vorgestellt?", fragte Marcus seinen Bruder als wir wieder alleine waren. Ich musste grinsen. "Ich glaube, so dringend ist das nicht nötig. Deinen Namen kenne ich immerhin schon, Martinus." "Tinus reicht auch." Endlich lächelte er mal. Der skeptische Blick von vorhin hatte mich ja schon ein wenig verunsichert. "Und für mich Mac, bitte", ergänzte Marcus schnell. "Na dann, sucht euch einen Spitznamen für mich aus, ich habe noch keinen." "Adri", sagten die beiden wie aus einem Mund. Ich wollte gerade ansetzen und nachfragen, ob ich meine Geschichte noch einmal für Tinus erzählen musste, da ging die Tür schon wieder auf und die Frau, die für die Therapiehunde zuständig war, kam herein um Nanook wieder mitzunehmen. 

"Wieso war hier überhaupt ein Hund? Die sind doch im Krankenhaus eigentlich gar nicht erlaubt, oder?", fragte Mac verwirrt. "Richtig und deshalb müssen wir euch mal kurz nach draußen schicken, damit wir hier ein wenig saubermachen können. Nehmt das Mädchen doch mal ein wenig mit raus in den Park oder so." Schwester Elena war wohl unbemerkt mit ins Zimmer gekommen. So lief das also, man wurde mit dem Besuch nach draußen geschickt. Das war wohl der Grund, warum ich bisher noch nie draußen gewesen war. Vorsichtig half Mac mir in den Rollstuhl, den Schwester Elena schon bereitgestellt hatte und Tinus brachte mir meine Sonnenbrille aus dem Schrank, die mich vor dem für mich viel zu hellen Sonnenlicht schützen sollte. "Also wegen dem Hund...", wollte ich gerade zu einer Erklärung ansetzen, doch als ich mich zu den beiden umdrehte, starrten sie nur entsetzt auf mein Bein. Ich muss sagen, selbst ich war geschockt, als ich hinsah und ich hatte ja schon viel gesehen, die lange Zeit hier hatte mich durchaus abgehärtet. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich wieder meine Shorts trug, die ich vor dem Konzert auch angehabt hatte. Dadurch hatte man freie Sicht auf mein Schienbein, auf dem eine dicke Narbe vom Sprunggelenk bis knapp unterhalb des Knies verlief. Doch eigentlich war mein Knie eher ein verstörender Anblick. Es hatte sich lila-bläulich verfärbt, war ein wenig angeschwollen und immer noch irgendwie ein wenig nach innen gedreht. Es sah wirklich seltsam aus. "Wolltest du nicht gerade sagen warum der Hund hier war, wenn das eigentlich verboten ist?", brach Tinus schließlich die Stille und wir setzten uns langsam wieder in Bewegung.

"Stimmt. Das war ein Therapiehund. Die dürfen in absoluten Ausnahmefällen mit in die Zimmer. Bei mir war es eben so, dass die vielen Medikamente (und Donnerstags sind es ja immer besonders viele) so viele Nebenwirkungen haben. Die letzten Wochen hatte ich immer extreme Kopfschmerzen und Übelkeit, mir war extrem kalt und bei der hohen Dosis an Medikamenten hatte ich des Öfteren noch minimale Herzprobleme. Ich weiß auch nicht, woran das lag, aber heute waren es mal wieder die psychischen Nebenwirkungen. Ich hatte so schlimme Angstzustände und Panikattacken in der Zeit wo ihr weg wart, dass sie beschlossen haben, mir den Hund zu geben, weil der anscheinend für sowas ausgebildet ist." "Das muss doch schrecklich sein, wenn du das jede Woche hast", stellte Tinus fest. Ich nickte. "Das ist es auch. Aber es hilft wohl nicht." "Was passiert eigentlich mit dir, wenn du einmal entlassen wirst?", fragte Mac plötzlich. Tja, darüber hatte ich mir schon oft den Kopf zerbrochen. "Das weiß ich nicht", gab ich zu. "Aber ich denke mal ich muss ins Heim bis ich 18 bin und danach kann ich mir selbst eine Wohnung kaufen. Ich glaube nämlich, dass das Haus meiner Eltern und die Wohnung meiner Schwester verkauft wurden." "Du solltest auf jeden Fall nach Trofors kommen, das ist nämlich der schönste Ort in ganz Norwegen", schwärmte Mac, wofür er von Tinus nur komisch angegrinst wurde. 

Wir verbrachten über eine halbe Stunde draußen, bis ich in meinen Shorts schon wieder fröstelte. "Sollen wir morgen wiederkommen?", fragte Tinus auf dem Rückweg. Ich war froh, dass gerade er das vorschlug, denn vorhin hatte er kaum gesprochen und ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass ich ihn langweilte oder er mich nicht mochte. "Klar, wenn euch das nichts ausmacht. Ich bin ja nicht gerade der Typ, mit dem man besonders viel unternehmen kann", scherzte ich.

Zurück in meinem Zimmer war das Bett frisch bezogen und der Geruch von sehr vielen Desinfektionsmitteln lag in der Luft. Kaum lag ich wieder in meinem Bett, schickte Schwester Elena meine Besucher weg, weil die für mich erlaubte Besuchszeit schon lange überschritten war.


Heartbeat ~ Marcus and Martinus ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt