◇ Chapter 20 ◇

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"Ich habe gute Neuigkeiten", verkündete Dr. Johansen freudestrahlend. "Es ist schon mal nichts Schlimmes. Auf den Bildern kann ich nichts erkennen." Erleichtert atmete ich aus. Ich hatte schon ein bisschen befürchtet, dass der Krebs vielleicht doch nicht weg war.

"Ich denke, es liegt daran, dass du Muskeln aufgebaut hast und deswegen weder der Gips noch die Schiene noch richtig passen. Den Gips wirst du meiner Meinung nach nicht mehr lange brauchen, deswegen werde ich nur eine neue Schiene fertigen lassen. Die wird in einer Woche ungefähr hier sein." "Und was mache ich so lange?" "Das war eine schwierige Entscheidung, Andriana, aber ich habe mich dazu entschieden, dein Bein für diese Woche eingipsen zu lassen. So richtig, ohne Klettverschluss. Deinem Schienbein wird es guttun und wie ich gehört habe, hast du sowieso noch Probleme damit, dein Knie zu beugen, richtig?"

Das stimmte, aber eingipsen? Nichts, was ich unbedingt gerne mochte. Ich hasste es, um genau zu sein. Dieses Gefühl, dass man sich nicht bewegen konnte darin. Außerdem juckte es schrecklich und das Runterschneiden war auch so eine Sache.

"Es ist ja nur eine Woche. Du kannst ja trotzdem versuchen, vorsichtig dein Bein zu belasten. Aber vorsichtig, hörst du?" Ich nickte stumm. "Gut dann, ich hoffe, die haben schon alles vorbereitet, dass du es gleich eingipsen lassen kannst." Er lächelte mich an, aber ich stand nur wortlos auf und wollte gehen. 

"Andriana?" An der Tür stoppte er mich noch einmal. "Ich glaube, deine Lunge ist soweit, dass du langsam wieder mit dem Singen starten kannst. Du wirst ja selber merken, wann es genug ist." Jetzt musste ich doch Lächeln und brachte sogar noch ein "Danke. Auf Wiedersehen." heraus.

Als wir auf dem Weg zum Auto waren, war ich noch unzufriedener als zuvor. Mein Bein war wirklich komplett eingegipst, von den Zehen bis drei viertel des Oberschenkels. Da blieb ganz viel Bewegungsfreiheit übrig. Wenigstens hatte ich die Farbe aussuchen dürfen und ich hatte mich für ein schönes lila entschieden. Meine Lieblingsfarbe.

Zuhause wurden wir schon erwartet und alle waren ganz neugierig darauf, was Dr. Johansen gesagt hatte. Gerd-Anne erzählte alles, während ich nur am Küchentisch saß und Löcher in die Luft starrte. "Guck doch nicht so böse." Mac lächelte mir von der anderen Seite des Tisches aufmunternd zu. "Doch", sagte ich missmutig und stütze den Kopf in die Hände. Ich glaube, das war das erste Mal, dass ich richtig schlechte Laune hatte, seitdem die beiden mich kannten. Und ich muss sagen, mit schlechter Laune bin ich sehr schnell reizbar und furchtbar anstrengend. 

"Ah, ich seh es schon, du bist wohl kein großer Fan von Gipsen?", stellte Mac fachmännisch fest. "Nein, bin ich nicht. Und ich glaube, das wärst du auch nicht", antwortete ich etwas schnippisch. "Hm, wenn du Lust hast können wir nachher was zusammen singen", schlug er dann vor. "Ich kann mich noch an das Konzert erinnern, du hast wirklich eine tolle Stimme." Ich nickte. "Das hört sich doch gut an."

Gleich nach dem Abendessen schleppte er mich dann also in das Musikzimmer, von dem ich bisher noch gar nichts gewusst hatte. Als erstes fiel mir die Gitarre auf, die in einer Ecke lehnte. "Darf ich mal spielen?", fragte ich sofort. Ich hatte schon seit Ewigkeiten nicht mehr gespielt. Hoffentlich hatte ich es nicht verlernt. Doch kaum hatte ich den ersten Ton gespielt, war es als ob ich nie damit aufgehört hätte. Ich konnte es immer noch genauso gut wie früher. 

Mac appladierte leise, als ich fertig war. "Respekt, du bist wirklich gut. Was kannst du denn noch alles? Hast du noch irgendwelche anderen Hobbys von denen ich nichts weiß?" Ich zuckte die Schultern. "Also ich kann noch ein bisschen Klavier spielen, aber jetzt nicht so krass. Und ich nähe gern, aber das weißt du ja schon." 

"Irgendwelche sportlichen Talente?", fragte er weiter. "Ich weiß nicht, wie es jetzt aussieht, aber früher hab ich getanzt und manchmal mit meinen Freunden Fußball gespielt. Das ist allerdings schon eine Weile her." 

Mac raufte sich die Haare. "Du bist so talentiert, du machst mir Angst." "Klar", lachte ich. "Das sagt der weltberühmte Profi-Sänger." "Ach, machen wir uns nichts vor", sagte er ehrlich. "Ohne Tinus wäre ich nichts. Dann hätte ich vielleicht eine Begabung fürs Singen, aber wir sind doch auch nur berühmt geworden, weil wir Zwillinge sind und die Leute uns damals süß fanden." Wenn man so darüber nachdachte, hatte er recht. 

"Aber eine Begabung fürs Singen hast du auch und das will ich jetzt unbedingt hören." Mac grinste neugierig. "Wir sollten zusammen singen, alleine mag ich nicht", sagte ich. "Gut, von mir aus. Willst du was von uns singen? Da kann ich die Texte auswendig." "Ach, so ein Zufall", gab ich etwas sarkastisch zurück. "Was ist denn dein Lieblingslied?", fragte er.  "Heartbeat. Aber das will ich nicht singen. Was hältst du von Light it up? Da kann ich auch den ganzen Text." "Das ist ja schon total alt... naja wir werden sehen, ob ich das noch hinbekomme." 

Wir teilten die Parts von Tinus gerecht auf und starteten dann. Ich war irgendwie nervös. Gut, dass Marcus anfangen musste. Aber hey, ich hatte es geschafft, vor ungefähr 2000 Leuten oder mehr auf dem Konzert zu singen, da werde ich es doch wohl noch hinbekommen, hier ein wenig zu singen.  Und wir bekamen es tatsächlich nahezu perfekt hin. 

"Du bist ja jetzt noch viel besser als auf dem Konzert", stellte Mac anerkennend fest. "Damals durfte ich auch eigentlich nicht singen, jetzt schon." "Wir sollten First Kiss auch noch zusammen singen", schlug er dann vor. "Du kannst die Teile von Tinus haben." 

Wir sangen also das auch noch, aber ich merkte schon, dass es mich sehr anstrengte. Ich hatte überhaupt keine Kondition mehr, weder zum Singen noch für irgendwas anderes. "Ich glaube, das reicht für heute. Sonst bekomme ich wieder so einen Hustenanfall wie beim Konzert." Mein Hals kratzte schon, ich musste unbedingt noch etwas trinken, bevor ich irgendetwas anderes machte. 

Meine Hausaufgaben zum Beispiel. Die hatte ich bis jetzt komplett vergessen, aber ich musste sie dringend noch machen. Am Schreibtisch saß allerdings Tinus schon, weshalb heute ich meine Sachen unten am Küchentisch erledigte.

Heartbeat ~ Marcus and Martinus ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt