63. [Lesenacht 2/7]

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"Also", sagt Felix und legt die Hände an seine frisch auf den Tisch gestellte Kakaotasse, um sich aufzuwärmen. Es war immerhin schon Mitte November und mächtig kalt draußen, was mir vorhin auf der Bank aber kaum aufgefallen ist. "Worüber willst du als erstes reden? Ich kann nicht versprechen, dass ich dir alles beantworten kann, aber soweit es geht, werde ich das tun."
"I-ich weiß nicht recht...", murmele ich und berühre kurz meine Teetasse, lasse meinen Finger allerdings sofort wieder zurückschnellen, da der Tee ebenfalls eben erst gebracht wurde und ziemlich heiß ist.
Felix nickte verständnissvoll und lehnte sich, mit der Tasse in der Hand, zurück gegen die Rückenlehne. "Kein Problem, lass dir Zeit."
Ich lasse eine Weile, in der wir uns bloß anschweigen, meinen Tee abkühlen und nehme dann einen vorsichtigen Schluck aus der Tasse. Anfangs hatte ich mich noch gegen das Getränk gewehrt, da ich Felix nicht auf der Tasche liegen wollte, da ich selbst kein Geld mitgenommen habe und er angeboten hat, mich einzuladen. Doch als er mich dann an die kalten Temperaturen draußen erinnert hat, habe ich schließlich nachgegeben, allerdings unter dem Vorwand, dass ich ihm die Kosten zurück zahlen werde sobald es geht.
"Wollen... wir vielleicht erstmal über etwas anderes reden?", unterbricht Felix schließlich die Stille und schaut von seiner halbleeren Kakaotasse auf, um welche er immer noch seine schlanken Finger geschlungen hatte.
Ich denke kurz nach und nicke dann. "Gute Idee und worüber?", frage ich, bevor sich die Qual der Wahl auf mich übertragen könnte. Ich mag es nicht wirklich, für andere mit zu entscheiden, sei es auch nur ein Gesprächsthema, um das es geht.
"Was interessiert dich denn?", entgegnet Felix.
Na toll, jetzt liegt die Entscheidung doch bei mir. Ich beiße mir kurz auf meine Unterlippe und schaue aus dem Fenster. Es hat mittlerweile angefangen zu regnen und feine Tropfen bahnen sich den Weg die Scheibe runter. Bevor ich wieder in einem Netz aus Bewunderung versinken kann, wende ich mich wieder von dem faszinierenden Anblick ab und schaue zu meinem Gegenüber. "Vielleicht irgendwas über dich? Wir gehen zwar in eine Klasse, aber hatten bisher ja nicht wirklich etwas miteinander zu tun."
"Okay, dann stelle ich mich mal vor. Also, wie du sicher weißt, heiße ich Felix und bin 15 Jahre alt, werde aber im März 16. Ich zocke gerne und echt viel und mache dann auch mal ohne es zu merken eine Nacht durch." Felix grinst bei dem Satz und auch ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Klingt ganz nach mir. Früher habe ich ja auch ab und zu Videos auf einem YouTube Kanal hochgeladen, aber damit habe ich mittlerweile aufgehört. Kontakt zu meinen Kollegen Michael und Maurice habe ich allerdings noch. "Keine Ahnung, was ich sagen soll. Ich bin eigentlich ein echt netter und aufgeschlossener Mensch, aber wenn mir jemand blöd kommt, kann ich mich oft nicht zusammenreißen, auch wenn ich nicht wirklich der Stärkste bin. Und ähm... ja, ich bin bisexuell und hatte bis vor kurzem noch eine Freundin..."
Interessiert stelle ich meine Tasse ab. "Du hattest? Darf ich fragen, was passiert ist?"
"Wir hatten einen Streit, nach dem sie sich von mir getrennt hat. Also... wir waren bei mir und waren am Handy. Und irgendwann ist es halt dazu gekommen, dass wir rumgeknutscht haben, aber mir ist dabei wohl der Name eines Jungen rausgerutscht und dann gab's Stress..." Felix knabbert etwas auf seiner Unterlippe rum und nimmt schnell einen Schluck aus seiner Kakaotasse. Er räuspert sich. "Aber ist ja auch egal."
"Das tut mir leid."
"Schon okay."
Und wieder breitet sich dieses unangenehme Schweigen aus. Vielleicht sollte ich es langsam mal wagen und ihn auf die Sache mit Freddie und Patrick und dem Rest der Ex-Truppe ansprechen. Ich hole tief Luft und frage etwas zittrig: "Du, Felix?"
"Ja?"
"Was war das eigentlich mit Freddie?"
Das ist kompliziert und ich glaube, da müsste ich erst die anderen fragen, ob es okay ist, wenn ich das erzähle. Tut mir leid. Aber sagen wir es so: Er hat gegen uns was in der Hand, womit wir von der Schule fliegen könnten."
"Oh...", murmele ich. "Hört sich nicht so gut an."
Felix winkt aber nur ab und leert seine Tasse mit einem großen Schluck. "Ich weiß auch nicht, ob das jetzt noch jemanden jucken würde. Damals war ich gerade mal 12 oder 13."
Ich blase meine Wangen auf und lasse die Luft mit einem 'Plopp'-Geräusch auf einen Schlag wieder entweichen. "Woah, ihr seid ja echt schon lange befreundet."
"Ja, Palle und ich kennen uns seit der ersten Klasse."
Nachdem wir beim Reden lockerer geworden sind und gemerkt haben, dass wir einander mögen, saßen wir noch eine ganze Weile in dem Café, bis Felix Vater ihn anrief und fragte, wo er blieb und wann er nach Hause kommen würde. Irgendwann musste er dann auch los, natürlich nicht, ohne für uns beide zu bezahlen. Ich verließ das Café ebenfalls und machte mich auf den Weg nach Hause.

CAN'T YOU SEE? ᵏüʳᵇⁱˢᵗᵘᵐᵒʳWo Geschichten leben. Entdecke jetzt