Kapitel 49

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"Wow."

Das ist das Einzige, was ich von den dreien neben mir in den nächsten Sekunden höre. Und ich kann dem nur zustimmen. Der Laden ist nicht wie andere Stoffläden in denen ich war. Nicht so unsortiert, nicht so zerwühlt. Es ist fast schon magisch.

Durch ein Anstupsen von Anna werde ich aus meiner Starre geweckt. Ehrfürchtig flüstert sie mir zu:

"Träume ich gerade?"

Ich schüttele den Kopf. Das mag jetzt alles sehr übertrieben wirken, aber dieser Moment und auch der Laden sind wirklich etwas Besonderes. Wir stehen in einem großen Saal, der mehrere kleine Durchgänge zu wahrscheinlich weiteren Räumen hat. Insgesamt zähle ich fünf.

In der Mitte des Saal hängt ein gigantischer Kronleuchter, der aus Unmengen von Diamanten bestehen muss, auf jeden Fall funkelt er dementsprechend. Außerdem sind Kerzen darauf angebracht. Erst nach einiger Betrachtung stelle ich fest, dass diese gar nicht echt sind, obwohl sie verblüffend danach aussehen.

Alles im Saal ist in rotem Samt gehalten und man kommt sich vor, als stünde man in einem Palast. Und überall sind Stoffe, die sich teilweise bis zu drei Meter hoch stapeln. Um diese noch erreichen zu können, gibt es verschiebbare Leitern an jedem der Regale.

Dazu gibt es goldene Details, wie Bordüren oder aber die Schilder über den Durchgängen. Als wir uns umschauen und daran vorbei gehen, steht auf diesen in altertümlicher Schrift geschrieben: Knöpfe, Spitze, Bordüren, Aufnäher und Faden.

"Kann ich euch helfen?", fragt plötzlich eine Stimme hinter uns.

Damit werde ich aus meinem Staunen gerissen und drehe mich erschrocken um. Hinter uns steht eine ältere Dame.

"Oh, entschuldigt mich, das war unhöflich von mir. Ich hoffe, ich habt euch nicht zu sehr erschreckt."

Nachdem wir ihr versichert haben, dass das nicht der Fall ist, betrachte ich die Frau genauer. Sie ist etwas kleiner als ich und hat graues schulterlanges Haar. Ihre Gesichtszüge und auch ihre Haltung haben etwas sehr Vornehmes, gleichzeitig aber auch Gütiges. Das wird durch ihre Augen unterstrichen und das warme Lächeln, dass sie uns schenkt.

"Ich wollte fragen, ob ich euch helfen kann, ihr saht etwas hilflos aus.", erkundigt sie sich.

"Wir wurden nur in den Bann gezogen von ihrem unglaublichen Laden. Und danke für das Angebot, aber ich denke, wir schauen uns erst einmal selbst um.", entgegnet Lily schnell.

"Es freut mich, dass euch der Laden gut gefällt. Meldet euch einfach, wenn ihr Hilfe braucht."

Mit diesen Worten schreitet sie zu einer Theke, die rechts vom Eingang steht. Wir entscheiden uns währenddessen, dass sich jeder erst einmal alleine nach einem passenden Stoff umschaut.

Ich wandere einige Zeit herum und finde ein paar Stoffe, die ganz cool sind, aber keiner haut mich wirklich vom Hocker. Anna und Lily scheinen im Gegensatz zu mir schon ihre Stoffe auserkoren zu haben. Jedenfalls deuten sie seit einiger Zeit immer wieder auf die gleichen Stoffe.

Im nächsten Moment kommen sie zu Cassy und mir geschlendert und fragen, ob wir schon einen Stoff gefunden haben, der uns gut gefällt. Ich sage ihnen das Gleiche, was ich mir eben schon gedacht habe und Cassy stimmt mir zu. Ihr ist es genau so ergangen wie mir.

Dann ziehen uns Anna und Lily begeistert zu ihren Stoffen, damit wir sagen können, wie wir sie finden. Anna hat sich für einen einfachen fein schwarz-weiß karierten Stoff entschieden. Lily hingehen möchte einen Stoff, der bunte Blumen aus Aquarell aufgedruckt hat.

Als sie ihn uns zeigt muss ich lächeln, denn er passt einfach perfekt zu ihr und ihrer aufgedrehten Art. Cassy und ich versichern beiden, wie gut diese Stoffe sind und meinen es beide aus vollem Herzen. Ich kann mir gut vorstellen, wie sie Tops aus diesem Stoff tragen.

Dann helfen die beiden uns, unsere Stoffe zu finden. Für Cassy haben wir bald einen gefunden. Anna hat ihn etwas weiter oben gesehen und ist mit viel Gekicher auf die Leiter gestiegen, während wir unten mit lachen mussten, denn das mit der Leiter war schon irgendwie lustig. Man kommt sich vor, als wäre man um ein Jahrhundert zurückgesetzt worden.

Als sie sicher wieder unten stand - teilweise hatte ich echt Angst sie würde runter fallen - hält sie in ihren Händen einen Batikstoff, der weiß und dunkelblau eingefärbt ist. Es hat etwas Lockeres und Verspieltes und erinnert mich gleichzeitig an den Strand. Sofort verliebt sich Cassy in den Stoff.

Schwieriger ist es, den passenden Stoff für mein Outfit zu finden. Denn ich habe eine sehr genaue Vorstellung, wie es am Ende werden soll. Und es ist nicht einfach, denen gerecht zu werden. Andere wären jetzt bestimmt schon genervt, aber meine drei Freundinnen suchen immer noch motiviert nach einem Stoff. Wofür ich sie gerade einfach knutschen könnte.

Plötzlich fällt mir ein kleiner Stofffetzen ins Auge, der ganz oben im obersten Regal liegt. Er könnte perfekt sein. Vor lauter Freude stoße ich einen leisen Schrei aus. Sofort drehen sich die anderen zu mir um und kommen neben mich, während ich mich fertig mache für die Besteigung der Leiter. Oh Gott, wie dramatisch das klingt.

Als ich oben bin, zwinge ich mich auf keinen Fall nach unten zu schauen, denn etwas Höhenangst habe ich doch. Schnell greife ich mit meiner linken Hand nach dem Stoff und klettere wieder runter. Ich bin froh, als ich wieder festen Boden unter den Füßen habe und zeige den anderen begeistert meine Wahl.

Und sie finden den Stoff mindestens so gut wie ich. Es handelt sich um einen einfachen karierten Stoff in beige, Bordeaux, weiß und schwarz.
Ich kann nicht genau sagen, warum mich der Stoff so in den Bann zieht, aber es scheint den anderen auch so zu gehen.

"Der ist perfekt.", stößt Cassy hervor und schaut mich mit einem großen Grinsen an.

"Ich glaube, wir haben jede unseren Stoff, oder?"

Wir nicken einstimmig. Gerade wollen wir uns aufmachen, um den Stoff zuschneiden zu lassen, als mit einfällt, dass wir ja auch noch Reißverschlüsse und so brauchen.
Schnell erinnere ich die anderen und wir sammeln schnell zusammen, was wir brauchen. Die Räume erleichtern es uns die Sachen in einer Rekordzeit zu finden.

Zufrieden mit unserem guten Fang, den wir gemacht haben, gehen wir zur netten Verkäuferin, die uns eben angesprochen hatte. Sie schneidet uns mit einem Lächeln auf den Lippen die Stoffe in die gewünschten Größen und bringt sie direkt zur Kasse, wo wir alles bezahlen.

Mit einem einstimmigen "Tschüss, schönen Tag noch!" verabschieden wir uns dann von der Frau und treten aus der Tür. Die Sonne empfängt uns und scheint mir warm ins Gesicht.

"Das war wirklich schön.", meine ich dann, "Wo wollen als Nächstes hin?"

Schnell sprechen wir uns ab und schlendern schon weiter in Richtung des nächsten Ladens.

Drei Stunden später stehen wir erschöpft, aber glücklich in der Bushaltestelle und warten auf den Bus. Mein Fuß tut mittlerweile etwas weh, aber der Schmerz wird überlagert durch die Freude, dass wir alles gefunden haben.

Zurück im Camp gibt es als erstes Abendessen. Danach treffen wir uns bei Cassy und mir in der Hütte und begutachten nochmal alles, was wir heute erworben haben. Lily und Anna nehmen ihre Stoffe aus unserer gemeinsamen Tüte, sowie die sonstigen Materialien, die sie brauchen.

Den Einkaufszettel haben wir bereits Erik gezeigt und er hat uns das Geld für die Nähsachen sofort ausgehändigt.
Wäre das schön, wenn ich immer das Geld für alles was ich einkaufe, direkt wieder bekommen würde.

Ich habe mir heute außer den Materialien noch eine goldene Kette mit einem kleinen Perlenanhänger gekauft, der das Outfit perfekt ergänzt. Genauso wie die weißen Air Force 1. Die anderen drei waren der Meinung, ich bräuchte dringend neue Schuhe, da meine anderen total ausgetreten sind. Also habe ich mich für die entschieden und bin ziemlich zufrieden damit.

Gemeinsam reden wir noch eine ganze Weile über Gott und die Welt, bis wir alle so müde sind, dass Lily und Anna schnell in ihre Hütten gehen und auch Cassy und ich todmüde in unsere Betten fallen.

Only one summer Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt